ForMaD 24.10.2013 - Kernideen und Dialogisches Lernen
Der große Hörsaal des MG1 bot gerade Platz genug für die vielen Interessierten am Beitrag "Kernideen und Dialogisches Lernen" von Prof. Dr. sc. math. Peter Gallin, der extra aus Zürich angereist war.
Schon in den 1990er-Jahren hat Gallin zusammen mit dem Kollegen Urs Ruf aus der Germanistik die Idee des "Dialogischen Lernens" entwickelt. Mittlerweile findet sich dieser Ansatz in vielen deutschprachigen Schulen in der Praxis, aber auch in Forschungs- und Entwicklungsprojekten (SINUS, SINUS-Transfer etc.) wieder.
Gallin verstand es, seinem Publikum den Spiegel vorzuhalten und die eigene und fremde 'Mathematikschädigungen' bewusst zu machen. Nicht nur in der Schule, sondern auch im Alltag tritt oft ein völlig verkürztes und damit unbrauchbares Verständnis von Mathematik an den Tag, das allein aus algorithmischen Handlungsanweisungen oder Formeln besteht, die man abarbeitet. Lehrpersonen werden zur Rolle des 'Vormachens' dieser Handlungen verführt. Der Mensch, so mahnt Gallin, wird aber durch Algorithmen entmündigt.
Was läuft also falsch und wie kann man den größten Fallen in der Gestaltung von Lernanlässen begegnen?
Das Schlüsselwort ist das von Gallin und Ruf geschaffene Kunstwort 'Kernidee'. Diese umreißen Stoffgebiete zunächst vage. Sie fordern die Lernenden zu sachbezogenem Handeln auf.
Wichtig ist in einem ersten Schritt die 'provokative Wirksamkeit' der schulischen Stoffe ans Licht zu heben, sich der Kernideen also bewusst zu werden. Die Lernenden treten dann mit der Idee in einen Dialog, der durch tatsächliche Dialoge mit Mitschülerinnen und Mitschülern ergänzt werden kann. Jede und jeder verfolgt zu Beginn ganz individuellen, singulären Ansätzen, die durch Moderation der Lehrperson auch mit den mathematischen Regeln und Normen, also dem Regulären, in Dialog treten. Die Heterogenität wirkt dabei, so Gallin, der auch Physik studiert und unterricht hat, als 'Potentialdifferenz' wie eine Energiequelle. Von besonderer Bedeutung im dialogischen Lernen ist, dass die Schülerinnen und Schüler ihr Tun in einem Lernjournal dokumentieren. Diese Dokumente oder auch von der Lehrperson gezielt zusammengestellte Ausschnitte können dann wiederum Gegenstand dialogischer Auseinandersetzung werden.
Der Mathematikunterricht verabschiedet sich von den Verlockungen der 'Schnellstraßen des Könnens' und nimmt sich Zeit für die Auseinandersetzung mit der Kernidee, um Verstehen und dauerhaft und lebendiges Verinnerlichen regulären Wissens zu ermöglichen.
Einige Leseanregungen
Gallin, P. (2012) Die Praxis des Dialogischen Mathematikunterrichts in der Grundschule. Publikation des Programms SINUS an Grundschulen. IPN Kiel
Ruf U. und Gallin P. (2011) Dialogisches Lernen in Sprache und Mathematik, Band 1: Austausch unter Ungleichen. Seelze: Kallmeyer
Ruf U. und Gallin P. (2011) Dialogisches Lernen in Sprache und Mathematik, Band 2: Spuren legen - Spuren lesen. Seelze: Kallmeyer
Gallin P. (2005) 51 weitere Mathematikaufgaben. Köln und Zürich: Aulis Verlag Deubner und Orell Füssli
Ruf U. und Gallin P. (1999) Ich mache das so! Wie machst du es? Das machen wir ab. Sprache und Mathematik für das 4. - 6. Schuljahr. Zürich: Lehrmittelverlag des Kantons Zürich.
Gallin P. und Ruf U. (1995) Ich mache das so! Wie machst du es? Das machen wir ab. Sprache und Mathematik für das 1. - 3. Schuljahr. Zürich: Lehrmittelverlag des Kantons Zürich.
Weitere Informationen und Literatur:
www.lerndialoge.ch