ForMaD 07.05.2024 - Von politischen Aufgaben zur Bilderflut: 85 Jahre Veränderungen in der Gestaltung von Mathematikschulbüchern am Beispiel Hauptschule

Schulbücher sind ein wesentliches Medium des Mathematikunterrichts - und das schon vielen Jahrzehnten. Einige Veränderungen in Mathematikschulbüchern erscheinen offensichtlich. Exemplarisch fallen in der Zeit des Nationalsozialismus Themenstellungen mit politischen Inhalten ins Auge. Auch eine steigende Anzahl an Abbildungen ab den 60er Jahren oder das Auftreten von Erklärtexten, die von den Lernenden erläutert und nicht nur gelesen werden sollen, lassen sich beim Durchblättern historischer Schulbücher feststellen. Die Zielsetzung des von Jennifer Postupa 2023 abgeschlossenen Dissertationsprojekts, die Gestaltungsmerkmale von Mathematik-Schulbüchern über Epochen seit der NS-Zeit zu analysieren, trifft auf einen dringenden Bedarf.

Die Forschung bettet sich dabei ein in vorliegende Studien zu Schulbüchern, die u.a. historische Perspektiven, den internationalen Vergleich oder Wirkungen von Einzelaspekten fokussieren. Die im Beitrag von Jennifer Postupa vorgestellte Arbeit stellt sich dem Anspruch, ein Analyseinstrument zu erarbeiten, dass eine Vielzahl von Gestaltungsmerkmalen umfasst und über je quantifizierbare Daten auch das Zusammenspiel von Merkmalen herausarbeiten kann. Im Wesentlichen gelingt es dem Instrument, Abbildungen, Erklärungen und Aufgaben als Merkmale in den je gegebenen Ausprägungen zu analysieren. Die Analyse von 17 Schulbüchern am Beispiel Hauptschule aus sechs Epochen (30er bis 2000er Jahre) und insgesamt 21.000 erfassten Schulbuchelementen erlaubt die Generierung erster Hypothesen zur Gestaltung und Veränderung von Mathematikschulbüchern.

Im Beitrag wird dem interessierten Publikum dieses Vorgehen am Beispiel der Aufgaben genauer exemplifiziert. So kann Postupa z.B. festhalten, dass bezogen auf den Kontext Sachbezüge in ihrem prozentualen Anteil eher abnehmen und hingegen innermathematische Kontexte zunehmen. Bei Sachbezügen kann zudem nachgewiesen werden, dass der abnehmende Realitätsbezug mit einer gleichzeitigen Änderung des Lebensweltbezug einhergeht: Aktuellere Bücher adressieren als Lebenswelt die private Nahwelt der Lernenden und weniger allgemeine oder gesellschaftliche Themen. Aus mathematikdidaktischer Perspektive interessant ist u.a. auch der Befund, dass verbale Präsentationsformen bei Aufgaben stark zurückgehen. Dies ist vor dem Hintergrund der sprachlastigen Aufgaben in Vergleichsstudien wie Pisa höchst erstaunlich und bietet Anlass für vertiefende Detail-Forschungen, die beispielweise Schulbücher aus den verschiedenen Schulformen (Gymnasium, Realschule, Mittelschule) in diesem Gestaltungsmerkmal vergleichen und damit Erklärungsansätze für unterschiedliche Voraussetzungen der Jugendlichen bieten könnten. In eine ähnliche Richtung verweist, die prozentuale Zunahme von Routineaufgabe über die untersuchten Epochen. Die durch die KMK Standards geforderten prozessbezogenen Kompetenzen (mathematisch Kommunizieren, mathematisch Argumentieren, Problemlösen etc.) wirken somit - wider Erwarten - bei den untersuchten Büchern nicht positiv auf Anteile der genutzten Aufgabenfunktionen.

Leseanregungen

Postupa, J. (im Druck). Abbildungen im Mathematikschulbuch: Thesen zu deren Gestaltung und Veränderung. In ... (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht 2024 (S. xy). Münster: WTM-Verlag,

Postupa, J. (2020). Analyse der Gestaltung von Mathematikschulbüchern durch Merkmalskombinationen. In H. Siller, W. Weigel & J. Wörler (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht 2020 (S. 729-732). Münster: WTM-Verlag,

Postupa, J. (2019). Comparing mathematics textbooks – an instrument for quantitative analysis. In S. Rezat, L. Fan, M. Hattermann, J. Schumacher, & H. Wuscke (Hrsg.), Proceedings of the Third International Conference on Mathematics Textbook Research and Development (S. 293 – 298). Paderborn: Universitätsbibliothek Paderborn.

Postupa, J. (2019). Mathematikschulbücher im Vergleich – Entwicklung und Erprobung eines Instruments zur quantitativen Analyse von Mathematikschulbüchern unter didaktischen Gesichtspunkten. A. Frank, S. Krauss & K. Binder (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht 2019 (S. 625-628). Münster: WTM-Verlag