ForMaD 20.06.2023 - „Weil zwei unten sind und drei oben sind.“ Wie Kinder Mengen wahrnehmen und strukturieren

Mengen zu erfassen und ihre Anzahl zu bestimmen ist eine wesentliche Voraussetzung z. B. für erste arithmetische Rechenoperationen. JProf. Dr. Priska Sprenger von der PH Freiburg unterscheidet bewusst diese zwei Prozesse der Mengenwahrnehmung und der Anzahlbestimmung als eigenständig. Wahrnehmung ist dabei die Voraussetzung für die Bestimmung der Anzahl der Objekte einer Menge.

Wahrnehmung bettet Sprenger zudem in die Forschungskontexte der Kognitionspsychologie ein und verdeutlicht, dass visuelle Impulse immer von den Wahrnehmenden gedeutet und mit vorhandenem Wissen angereichert und mit diesem abgeglichen werden. Ein gezielter Auftrag der Anzahlbestimmung kann aus dieser Perspektive als endogene Wahrnehmung kennzeichnet werden, da eine bewusste kognitive Entscheidung der Fokussierung der Aufmerksamkeit auf vorliegende Mengen unterstellt werden kann.

In einer Interventionsstudie mit 95 Kindern im letzten Kindergartenjahr hat Sprenger, Methoden erarbeitet, diesen wesentlichen Prozessen der so genannten strukturierenden Mengenwahrnehmung und der strukturnutzenden Anzahlbestimmung genauer auf die Spur zu kommen. Den Kindern wurden Aufgaben zur Anzahlbestimmung von Konstellationen von Eiern in einem 10er-Eierkarton angeboten und die Reaktionen in Gesten, Lauten und verbalen Äußerungen sowie die Augenbewegungen im Prozess der Wahrnehmung analysiert.

Das eye tracking bietet hierbei vielfältige ergänzende Hinweise, um Einblicke in den nicht sichtbaren Prozess der Mengenwahrnehmung zu gewinnen, die bei einer reinen Videobeobachtung der Reaktionen der Kinder nicht aufgezeichnet werden. Gleichwohl, so macht Sprenger eindrücklich deutlich, sind die Daten der Augenbewegungen zunächst eben nichts anderes als die Option zu "discover where users look at". Die besondere Herausforderung liegt darin, dass es keine standardisierten Analyseverfahren dieser so erzeugten Daten gibt. Die interpretative Deutung der Daten ist damit zwingend. Die Deutung der eye tracking Daten werden bei Sprengers Studie je mit den Daten der Analyse von Gesten und Äußerungen in einem iterativen, interpretativen Prozess zusammengeführt. So kann sie schließlich Kategorien bilden, um mögliche Prozesse der Mengenwahrnehmung und Anzahlbestimmung festzuhalten.

Ein auch für die Praxis wesentliches Ergebnis ist, dass die geschickte Wahrnehmung einer Teil-Ganzes-Struktur in der Menge noch nicht bedeuten muss, dass diese Strukturierung auch bei der Anzahlbestimmung genutzt wird. Es braucht also auch in der Förderung in Kindergärten und im Anfangsunterricht vielfältige Optionen, non-verbal über Materialhandlungen (Memory, Legen und Umlegen, Einkreisen, Zeigen etc.) den Mehrwert von Teil-Ganzes-Strukturierungen zu erfahren, um die eigenen Kompetenzen darin zu schulen und auch sichtbar für andere deutlich machen zu können - ohne diese zwingend zu verbalisieren.

Leseanregungen

Sprenger, P. (2021). Prozesse bei der strukturierenden Mengenwahrnehmung und strukturnutzenden Anzahlbestimmung von Kindern im Elementarbereich: Eine Eye-Tracking Studie. Springer Spektrum. https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-33102-3

Gasteiger, H., Bruns, J., Benz, C., Brunner, E. & Sprenger, P. (2020). Mathematical pedagogical content knowledge of early childhood teachers: a standardized situation-related measurement approach. ZDM Mathematics Education, 52(2), 193–205. https://doi.org/10.1007/s11858-019-01103-2

Sprenger, P., & Benz, C. (2020). Children’s perception of structures when determining cardinality of sets—results of an eye-tracking study with 5-year-old children. ZDM Mathematics Education, 52(4), 753–765. https://doi.org/10.1007/s11858-020-01137-x