Studientag 2017 - Berichterstattung
Müssen Christen Vegetarier sein?
Ist es mit dem christlichen Glauben überhaupt vereinbar, Fleisch zu essen? Warum fällt es uns leichter, eine Fliege zu töten als einen Menschenaffen, obwohl doch beides Lebewesen sind? ... All dies sind Fragen, die vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen um Vegetarismus und Veganismus zu stellen sind, denn nach Angaben des Robert-Koch-Instituts ernähren sich bereits 4,3% der Bevölkerung in Deutschland vegetarisch. Für eine derartige Ernährung ohne Konsum von Fleisch oder tierischen Produkten spielen neben gesundheitlichen Aspekten oft auch moralische Faktoren eine zentrale Rolle. Denn: Abgesehen von den Problemen der Massentierhaltung, welche nicht nur Hühner oder Schweine, sondern ebenfalls Tiere wie den Lachs betrifft, werden zudem für den wachsenden Bedarf an Futtermitteln Regenwälder gerodet und in die Biodiversität der Lebensformen eingegriffen.
Diese Aspekte standen im Zentrum des Studientags für Oberstufenschülerinnen und Schüler, zu dem das Institut für Katholische Theologie am 16. März 2017 unter dem Motto »Müssen Christen Vegetarier sein? « eingeladen hatte. Ca. 330 Gymnasiastinnen und Gymnasiasten aus Bamberg, Forchheim, Münchberg, Pegnitz, Kronach, Ansbach und Rothenburg folgten der Einladung an die Universität Bamberg. Der Studientag gab neben der inhaltlichen Auseinandersetzung auch Einblicke in den Uni-Tag von Studierenden: In zwei Kurzvorträgen im Stil einer Vorlesung wurde die Fragestellung daher aus zwei unterschiedlichen theologischen Fachrichtungen – alttestamentlich und theologisch-ethisch – beleuchtet. Im Anschluss daran wurden in kleineren Seminareinheiten die Argumente von den Schülerinnen und Schülern erarbeitet und unter eigenen Schwerpunkten diskutiert, um diese in der anschließenden Podiumsdiskussion mit den Professoren einzubringen.
»Gott ist ein Vegetarier. Oder auch nicht.« Überlegungen aus alttestamentlicher Sicht
»Wie viele von Ihnen essen Fleisch, wie viele haben in den letzten Wochen kein Fleisch gegessen? Und isst Gott Fleisch oder lebt er vegan?« Mit diesen Fragen an die Schülerinnen und Schüler begann Prof. Dr. Klaus Bieberstein, Inhaber des Lehrstuhls für Alttestamentliche Wissenschaften, seinen Kurzvortrag. Ausgehend von soziokulturellen biblischen Kontextualisierungen erläuterte er, dass die Judäer nach der Zerstörung Jerusalems nach Babylon deportiert wurden und dort in Gefangenschaft nur kleine Gärten für ihr Überleben bewirtschaften durften. Da sie davon ausgingen, dass Gott ein Leben unter Gewalt nicht wolle, verfassten sie eine gewaltfreie Gegengeschichte zu der ihres Umfeldes – die sog. »Priesterschrift«. Als sie im Zuge der Einnahme Babylons durch Kyros II. befreit wurden, ging ein kleiner Teil von ihnen einige Jahre später nach Jerusalem zurück und errichtete den Tempel neu. Wenn in Jerusalem ein Tier geschlachtet wurde, wurde dessen Fett am Tempel als Opfergabe verbrannt, als mythisches Zeichen dafür, Gott als Gast einzuladen. Somit könne man davon ausgehen, dass Gott in diesen Texten als Fleischesser konzipiert bzw. gedacht worden ist. Jedoch lässt sich bei der Lektüre der Schöpfungserzählung der Priesterschrift anhand des parallel gegliederten Aufbaus der an sechs Tagen geschaffenen acht Werke folgern, wer wen ›fressen‹ dürfe oder auch nicht: Demnach stehen die Pflanzen (dritter Tag, viertes Schöpfungswerk) und nicht die Tiere (sechster Tag, siebtes Schöpfungswerk) dem Menschen (sechster Tag, achtes Schöpfungswerk) gegenüber. Auch Gen 1,30 bestätigt – so Bieberstein – dies: »Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen. Allen Tieren des Feldes, allen Vögeln des Himmels und allem, was sich auf der Erde regt, was Lebensatem in sich hat, gebe ich alle grünen Pflanzen zur Nahrung.«
Nach der Sintfluterzählung jedoch – nämlich beim Bundesschluss in Gen 9,3 – heißt es: »Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen. Alles übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen.« Dieser Vers stelle – Bieberstein zufolge – einen Kompromiss Gottes an die Menschen in Juda dar, denn die topographischen Verhältnisse lassen aufgrund der Dürrezeiten keine durchgängige Landwirtschaft zu und erfordern somit Viehzucht. Da in unserer gegenwärtigen Gesellschaft allerdings nicht das nahrungsmäßige Überleben gesichert werden müsse, da genug Pflanzen für den Menschen als Nahrung zur Verfügung stünden und mehr als Futtermittel für die Masttiere eingesetzt werden, müsse Gen 9,3 im heutigen Kontext neu interpretiert werden.
»Menschenrechte für Menschenaffen! Und die Mücken?« Überlegungen zum moralischen Wert und zur Würde des Tieres
Der Kurzvortrag von Prof. Dr. Thomas Weißer (Laubach), Inhaber des Lehrstuhls für Theologische Ethik, gab den Oberstufenschülerinnen und -schülern Einblicke in die Tiermoral und in die ethische Urteilsfindung. Die Frage nach dem Stellenwert von Tieren in unserer Gesellschaft sei im Kontext der Thematik des Studientags sehr zentral und könne dennoch nicht einheitlich beantwortet werden. Während das Tier im Tierschutzgesetz als zu schützendes Mitgeschöpf deklariert werde, gelten die meisten Tiere in der gesellschaftlichen Realität eher als Nutztiere und Fleischlieferanten. Doch zeigten sich hierbei unterschiedliche Wertungen von Tieren: Dem Hund oder der Katze, welchen ein intrinsischer Wert, also ein Eigenwert unabhängig von der erbrachten Leistung, zugeschrieben wird, stehen die vermeintlichen Nutztiere wie Schweine, Rinder etc. oder »Schädlinge« gegenüber, deren Tod man täglich durch Fleischkonsum, im Straßenverkehr oder durch den Ausbau der Infrastruktur usw. toleriert.
Was sind also Kriterien dafür, Tieren einen moralischen Status und damit eine Schutzwürdigkeit zuzuschreiben? Diese und die daran anknüpfende Frage, ob der »Konsum« von tierischen Produkten nun moralisch verwerflich sei, müsse aus verschiedenen ethischen Perspektiven untersucht werden: Neben pathozentrischen Ansätzen (vgl. Bentham, Singer), welche nur empfindungs- oder leidensfähige Wesen bei der Antwort berücksichtigen, klagt Ursula Wolf in Anknüpfung an Arthur Schopenhauer aus mitleidsethischer Sicht auf der Basis des generalisierten Mitleids ein gutes Leben für alle Tiere ein. Somit stehen egalitaristische Positionen, die allen Tieren den gleichen moralischen Status zugestehen, hierarchischen gegenüber, die zwischen den Lebewesen kriteriologisch differenzieren und diese davon ausgehend in moralischen Entscheidungen unterschiedlich in den Blick nehmen. Dadurch sei eine einheitliche Konsensfindung im Diskurs um Fleischkonsum impraktikabel und müsse advokatorisch (stellvertretend; hier: für die Tiere) in den Blick genommen werden. Generell sollte aber auf einen respektvollen Umgang mit Tieren, deren Haltung und vor allem deren »Gebrauch« geachtet werden.
Seminarphase und Podiumsdiskussion
Anschließend wurden die Schülerinnen und Schüler in Arbeitskriese eingeteilt, welche von Studierenden und Dozierenden geleitet wurden. In dieser Seminarphase konnten offene Fragen gestellt und die Argumente, Fragen und Thesen der beiden Vorträge bearbeitet, unter eigenen Gesichtspunkten neu verknüpft und diskutiert werden. In der daran anschließenden Pause hatten die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit, sich untereinander auszutauschen und mit frischen Brezen zu stärken, die von der Hauptabteilung Schule des Erzbistums Bamberg gesponsert wurden. In der abschließenden, von Florian Brustkern moderierten Podiumsdiskussion richteten zunächst drei ausgewählte Sprecherinnen und Sprecher der Arbeitskreise offene und kritische Fragen an die beiden Professoren Bieberstein und Weißer. Überdies beteiligten sich viele andere Schülerinnen und Schüler, indem sie unbeantwortete Fragen, kritische Anmerkungen und weitere Perspektiven in die Diskussion einbrachten. Somit wurde die Studientagsthematik in zahlreichen, z.T. sehr persönlichen Facetten diskutiert.
Am Schluss des sehr gelungenen Oberstufenstudientags bedankte sich Prof. Dr. Konstantin Lindner, Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts, bei den Oberstufenschülerinnen und -schülern sowie deren Lehrkräften für ihre Beteiligung, bei den Arbeitskreisleiterinnen und -leitern für deren Unterstützung und insbesondere beim Religionsdidaktik-Lehrstuhlteam (Florian Brustkern, Dr. Andrea Kabus, Angela Grüner und Marie-Theres Ultsch), das den erfolgreichen Verlauf des Studientages ermöglicht hat.
Diesen Text verfasste Alisha Bleicher. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.