Tod und Leben von der Kunst verzaubert

Unter dem Titel „Tod und Leben von der Kunst verzaubert“ beleuchtete Peter B. Steiner, Honorarprofessor der Technischen Universität München mit dem Fachgebiet Kunstgeschichte und Weltkunst, am 08. November 2018 die Frage nach der Verzauberung der Welt durch Kunst. Das Theologische Forum widmet sich im Wintersemester 2018/19 aus verschiedenen Perspektiven interdisziplinär der Relevanz religiöser Symbolwelten in säkularer Zeit.

Steiner eröffnete mit der Aussage, dass „Verzauberung“ momentan eine Konjunktur erlebe. Er wies auf aktuelle Publikationen wie etwa „Die Verzauberung der Welt: Eine Kulturgeschichte des Christentums“ von Jörg Lauster hin, aber auch auf ‚zauberhafte‘ Momente wie die spektakuläre Eiskunstlaufkür von Aljona Savchenko und Bruno Massot bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang im Februar 2018.

Anknüpfend an Max Weber definierte Steiner zunächst den Begriff der Entzauberung: „Entzauberung ist der Abbau von magischen Vorstellungen; sie ist Entmythisierung und Enttranszendentalisierung.“ Doch dieser Entzauberung laufe, so Steiner, das Proprium der (Bild-)Kunst zuwider, weil jede Abbildung einen Inhalt in neue Formen und Formate übersetzt. Dabei verhält es sich bei dieser Übersetzung – wie auch bei sprachlichen Übersetzungen – immer auch um eine Interpretation. Jedes neue Werk füge, so Steiner, Aspekte hinzu oder verheimliche andere, die im Ursprungsmaterial nicht enthalten sind. Ganz besonders etwa bei der Übertragung vom Text- ins Bildformat werden Details (wie beispielsweise Farbe, Form, Größe, …) im Bild definiert, die im Text nicht so exakt beschrieben werden. Diese Ungenauigkeit der Übersetzung fördert nach Steiner, Mystifizierung, Transzendentalisierung und den Aufbau magischer Vorstellungen.

Vor dem Hintergrund dieser knappen Kritik an Weber führte Steiner seine Überlegungen mit über zwanzig Abbildungen aus, die allerdings verschiedene Motive bespielten. Exemplarisch sollen hier zwei dieser Motive vorgestellt werden.

Das Motiv des Kirchturms. Die Silhouette einer Stadt etwa in den Darstellungen der Schedelschen Weltchronik, so Steiner, kann erst durch ihre Kirchtürme identifiziert werden. Kirchtürme, die Himmel und Erde verbinden, prägen das Erscheinungsbild von Städten und schaffen Identifikationsmöglichkeit. Steiner zeigte dies unter anderem an den Türmen der gotischen Kathedrale von Straßburg und des Freiburger Münsters. Über den funktionalen Zweck von Kirchtürmen hinaus, mittels ihrer Glocken zu kommunizieren, strukturieren sie das Leben durch den Stundenschlag und binden zugleich die Zeit zugleich an die Ewigkeit Gottes. Die Höhe der Türme kommt jedoch nicht nur der Reichweite der Glocken zugute, sondern kann auch als religiöser Ausdruck gedeutet werden. Gott wird, durch die Türme, in der Höhe gepriesen. Kirchtürme nähern sich – eben weiter als andere Bauwerke – dem Himmel und somit dem Sitz des Göttlichen. Dadurch stellen sie eine Verbindung zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen her, sind ein Hinweis auf das, was nach dem Leben kommt. Diese religiöse Bedeutung von Höhe korreliert mit der Größe der Kirchenbauten, die in Romanik und Gotik hinsichtlich der Einwohnerzahl der Städte völlig überdimensioniert waren. Sie dienten nicht primär der versammelten Gemeinde, sondern wurden als Abbild der Größe Gottes v erstanden. Zugleich erzählen die Türme aber auch von der Bedeutung ihrer Bauherren. All diese Aspekte der Interpretation eines Bauwerkes wirken in seiner Erscheinung im Hintergrund mit, ohne dass sie explizit formuliert werden müssen.

Das Motiv des Sternenhimmels. Steiner zeigte anhand des Mausoleums der Galla Placidia in Ravenna dieses Motiv. Die Kuppel des Mausoleums ist wie ein Sternenhimmel inszeniert. Diese Darstellung entspricht einer antiken Vorstellung der Erde. In der ägyptischen Mythologie etwa wird der Erdkreis durch den Körper einer Frau gebildet, die sich über die Erde wölbt und somit den Himmel darstellt, der von Sternen übersät ist. In der christlichen Kunst des 5. Jahrhunderts wird dieser Sternenhimmel mit dem Bild des Guten Hirten verknüpft. Eine Bildsprache, die dann in der späteren Geschichte des Christentums und in anderen kulturellen Kontexten nicht mehr verstanden wurde. Sie wird ersetzt durch Bilder, in denen Jesus als Tür oder Weg erscheint. Erweitert wird diese Darstellung etwa in den mittelalterlichen Portalen gotischer Kirchen durch die Darstellung Jesu als Weltenrichter. Alle Darstellungen, darauf wies Steiner hin, zielen unter anderem darauf ab, Trost und Zuversicht angesichts von Tod und Elend zu spenden. Diese Möglichkeit, durch Bauwerke, Abbildungen oder andere künstlerische Darstellungen, Gefühle in Menschen hervorzurufen oder zu lindern, sei, so Steiner, ein besonderes Merkmal der ‚Verzauberungsleistung‘ der Kunst.

Vor diesem Hintergrund spannte Steiner den Bogen bis in die Moderne hinein: Bilder, Skulpturen oder Videokunst zeigten eindrücklich, wie das künstlerische Schaffen auch als Verzauberung gedeutet werden kann. Kunst, so Steiner, hilft bei der Lebensbewältigung, erinnert Mythen, verzaubert Welt und weist über sie hinaus. Ohne Kunst, so schloss der Vortragende den Abend, „ist das Leben trostlos.“

Hinweis

Diesen Text verfasste Simon Scheller. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.