Zur Kategorie der Wahrheit in der Medienwelt in ethischer Perspektive
Der letzte Vortragsabend des Theologischen Forums im Wintersemester 2017/18 stand im Zeichen medienethischer Reflexionen: Prof. Dr. Alexander Filipović (Hochschule für Philosophie München) referierte am 18. Januar 2018 zur Kategorie der Wahrheit in der Medienwelt aus ethischer Perspektive.
»Es möge ja sein, dass dies Fakten seien, [...] er jedoch verlasse sich auf das Gefühl der Menschen. Und dieses Gefühl sage ihm, dass die Verbrechen zugenommen hätten«, so lautete die Antwort von Newt Gingrich im Wahlkampf von Donald Trump auf die Frage einer CNN-Journalistin zu einer FBI-Statistik, welche darüber informierte, dass die Kriminalität in den letzten Jahren nicht zugenommen hat.
Ähnliche Tendenzen lassen sich gegenwärtig in verschiedenen Kontexten feststellen: Beim Thema Wahrheit geht es verstärkt um die damit verbundenen Gefühle der Menschen. Aber kann aufgrund dieser Entwicklungen von einer offensiven Salonfähigkeit der Lüge in einem postfaktischen Zeitalter gesprochen werden, welches sich durch eine »Unwahrheitskultur« auszeichne? Dieser Fragestellung ging Prof. Dr. Alexander Filipović, Inhaber des Lehrstuhls für Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München, am fünften Vortragsabend des Theologischen Forums auf den Grund.
Von Fake News, Echokammern und manipulierenden Bildern
Beispiele für Fake News gebe es – so Filipović – in den letzten Monaten genug. Neu sei nicht die Tatsache, dass Unwahrheiten publiziert werden, sondern die Unverfrorenheit, mit welcher Unwahrheiten veröffentlicht werden, konstatierte der Medienethiker: »Alternative Fakten« und die Desinformation hätten zu einer fundamentalen Wahrheitskrise und einem Vertrauensverlust in die Massenmedien geführt. Gemäß Stefan Ruß-Mohl ersetze gegenwärtig eine »Desinformationsökomonie« Georg Francks Modell der Aufmerksamkeitsökonomie; Gesellschaft ist also geprägt durch den Handel mit Desinformation. Ein entsprechendes »Gegenmittel« sieht Filipović unter Bezug auf Ruß-Mohl nicht in der Politik, sondern in den Wissenschaften und dem Journalismus. Diese Berufsgruppen gründen ihr berufliches Ethos in der Wahrheitssuche und könnten daher der Desinformationsökonomie entgegenwirken.
Eine weitere Herausforderung seien die sog. Echokammern, so Filipović. Michael Seemann beschreibt mit diesem Begriff das Phänomen, dass Wissen und Nachrichten im Internet durch algorithmische Filterung für den Nutzer auf der Basis von Personendaten gefiltert werden, mit dem Ziel, aus der Fülle an Informationen diejenigen zu extrahieren, welche für den Nutzer relevant sind. Darin gründet das Problem der Echokammern, denn es konnte empirisch nachgewiesen werden, dass die Personalisierung von Nachrichten automatisch zu einer Einschließung des Nutzers in eine »Filterblase« führe, wenn durch die Filterung nur die Nachrichten an den Nutzer herangetragen werden, die seinen Ansichten bereits entsprechen. Die Folge sind sog. »digitale Stämme« oder »tribes«, also Nutzer in einer Echokammer, die gleiche bzw. ähnliche Ansichten vertreten. Innerhalb dieser Kammer werden stimmig erscheinende Informationen unreflektiert angenommen, die unstimmigen blind abgelehnt.
Aber nicht nur Texte können nach der Aussage Filipovićs Träger von Fake News sein, sondern auch Bilder, insofern sie bei ihren Betrachtern suggestiv wirken und so die Trennung von Fiktion und Wahrheit nivellieren. Dies zeigte Filipović am Beispiel des Jungen Omran, dessen Foto aus Aleppo weltweit für Schlagzeilen sorgte. Das Bild des kleinen Jungen, welches eine große Wirkung auf den Betrachter hatte, wurde medial zur Ikone des Krieges stilisiert, bis Omrans Vater die Rettung seines Sohnes als Inszenierung entlarvte. Dadurch kann das Bild nun als Beleg für den Bürgerkrieg und seine Opfer, aber auch als Beleg für die Propaganda mit Kinderbildern herangezogen werden. Das Projekt »Photojournalism Behind the Scenes« von Ruben Salvadori zeige, wie Fotografen Kriegsbilder bewusst mit dem Ziel der Verunsicherung inszenieren.
Wahrheit als medienethisches Kriterium
Im Anschluss an die exemplarische Darstellung medienkonturierter Wahrheitskrisen ging Filipović der Frage nach der Wahrheit als Kriterium in der Medienwelt nach. Eine zentrale Rolle spiele dabei das Ethos der Journalisten. Ein wichtiges Kriterium im Qualitätsjournalismus sei die Trennung zwischen Meinung und Nachricht, um die Wahrheit fokussieren zu können. Vor diesem Hintergrund sind die Aspekte ›Öffentlichkeit‹ und ›Wahrheit‹ von tragender Bedeutung, denn Öffentlichkeit ist der entscheidende Bezugspunkt demokratischer Selbstbestimmung und unter normativen Vorzeichen ein Grundwert der Medienethik. Im Lichte der Öffentlichkeit muss aber auch die Wahrheit erkennbar und diskutierbar sein, denn sie beschreibt die fundamentale Norm des öffentlichen Diskurses. Somit müssen die Interessen und die strategische Ausrichtung aller Beteiligten in diesem Diskurs hinterfragt werden, damit Propaganda nicht die Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit des Journalismus gefährdet.
Überdies gilt es zu klären, wie die Meinungsfreiheit, die zu den zentralen Grundwerten der Demokratie und zum Menschsein gehöre, mit dem Wahrheitskriterium vereinbar und ob angesichts des Postulates der Redefreiheit überhaupt Kritik an der »Unwahrheit« von Fake News zulässig sei, denn auch für die Äußerung von Unwahrem werde die Redefreiheit in Anspruch genommen. Zur Beantwortung dieser Fragestellung bezieht sich Filipović auf Onora O’Neills moralphilosophisches Modell der Zwecke von Kommunikation. Danach erfüllt Kommunikation den Zweck des theoretischen Beurteilens der Wahrheit einer Aussage sowie der praktischen Selbstverpflichtung, Vertrauen aufzubauen. O’Neill plädiert für mehr Toleranz auf der Seite der Hörenden bzw. Lesenden. Sie versteht darunter nicht das Recht des Sprechers, alles sagen zu dürfen, sondern die Verpflichtung der Hörenden, Sprechakte auch dann zu tolerieren, wenn man weiß, dass diese unwahr sind. In ihrem Werk »Toleranz versus das Recht auf freie Meinungsäußerung« geht O’Neill davon aus, dass eine Kollision von verschiedenen Wahrheitsansprüchen zum Ans-Licht-Kommen der eigentlichen Wahrheit führen könne. Der Sinn der Kommunikation liege – so Filipović also darin, die Zwecke (Wahrheitsanspruch und Selbstverpflichtung) zu erfüllen, und dabei seien Verständlichkeit, Überprüfbarkeit und die Möglichkeit, dem Gegenüber zu vertrauen, wichtiger als ein bloßer Rechtediskurs.
Die »redaktionelle Gesellschaft« als Herausforderung
Zum Schluss thematisierte Filipović das Ideal einer redaktionellen Gesellschaft. In der Medienkommunikation müssen die Kommunikationspartner Rechte und Pflichten einhalten, um zu einem Gelingen beizutragen. Dazu gehört bspw. das Wahr- und Ernstnehmen des jeweils anderen. Jedoch kann das Recht auf Kommunikation durch die immensen Innovationen im letzten Jahrhundert (z. B. die Alphabetisierung) nicht mehr als repräsentatives System bezeichnet werden, vielmehr entwickelt sich eine rasante Demokratisierung des Publizierens. Somit sprechen nicht mehr ein oder mehrere Personen für eine bestimmte Gruppe an Menschen (repräsentativ), sondern jeder hat die Möglichkeit (z. B. über das Internet), für sich selber zu sprechen. Diese Möglichkeit nehmen viele Menschen gerade vor dem Hintergrund des Vertrauensverlustes in die Medien wahr. Zu differenzieren sei hierbei jedoch zwischen dem reinen Publizieren und der Arbeit der Journalistinnen und Journalisten, die sich durch Kompetenzen auszeichnet. Angesichts dieser redaktionellen Gesellschaft liege ein elementarer Bildungsauftrag auf der Befähigung der bzw. des Einzelnen zu kompetentem redaktionellem Handeln. Um die bestehende mediale Wahrheitskrise zu überwinden, setzt Filipović weiterhin auf Wissenschaft sowie Journalismus und appelliert an das Vertrauen in den Qualitätsjournalismus, der eine der tragenden Säulen der Demokratie darstelle.
Hinweis
Diesen Text verfasste Alisha Bleicher. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.