,Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee‘ (Papst Franziskus). Impulse für die Politik

Der letzte Vortrag beim diesjährigen „Theologischen Forum“ zur Frage „Der Papst, der alles anders macht?“ stand am 29. Januar 2015 unter dem Thema „,Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee‘ (Papst Franziskus). Impulse für die Politik“. Als Referentin war die ehemalige Ministerin für Kultus, Jugend und Sport des Bundeslandes Baden-Württemberg, ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung und aktuelle Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl Dr. h.c. Annette Schavan eingeladen.

Prof. Dr. Joachim Kügler, der die Referentin aus seiner Zeit als nebenamtlicher Studentenseelsorger der bischöflichen Studienstiftung Cusanus-Werk, dessen Geschäftsführerin sie in den Jahren 1991-1995 war, kennt, begrüßte Schavan im Namen des Instituts sehr persönlich und humorvoll.  Er übergab Schavan das Wort mit der Frage, was es denn mit diesem Papst auf sich habe und was man noch von ihm erwarten dürfe.

„Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“ (Papst Franziskus)

Schavan begann ihren Vortrag mit dem Hinweis auf die Autorität dieses Papstes, „der in der Lage ist, die Welt und die Kirche zu bewegen“. Die Eindrücke, die sie als Botschafterin von ihm gewinnen konnte, lassen sich in einem zentralen Wort des Papstes zusammenfassen: „Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee.“ Damit, so Schavan, meine der Papst den Primat der Wirklichkeit vor der Idee. Eine Idee sei nämlich nur dann bedeutsam, wenn sie Einfluss auf Wirklichkeit nehmen könne. Das Zitat des Papstes zeige vor allem, dass ein solcher Einfluss, eine solche Veränderung der Welt mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnen müsse, was auch ein leitendes Prinzip in der Politik sei. Dieser Vorrang der Wirklichkeit vor der Idee bedeutet für Schavan erstens, dass man die Blickrichtung immer wieder ändern muss, so dass sich zweitens auch die Bewertung von Fakten ändern kann. Statt immer wieder das Gleiche zu sagen, muss man von dem sprechen, was der tatsächlichen Realität angemessen ist.

Ein jesuitischer Papst nennt sich „Franziskus“

Gerade in dieser Hinsicht dürfe man von diesem Papst noch sehr viel erwarten. Eine Wegweisung bedeute bereits die Namenswahl „Franziskus“. Franz von Assisi habe nicht bei einer Theorie angesetzt, sondern zunächst gelebt, sich mit den Bedürftigen solidarisiert und durch diese Praxis weiterreichende Entwicklungen angestoßen. In der Namenswahl werde aber auch die ganz persönliche Spiritualität des Papstes erkennbar, der – wie der italienische Heilige – keinen Gegensatz zwischen Mystik und Politik, zwischen Gebet und sozialem/politischem Handeln aufmacht. Diese „schlichte gegensatzlose Verbindung“ bringe der Ausspruch Franziskusʼ von Assisi „Niemand erreicht den Himmel, der die Erde verachtet“ zum Ausdruck.

Barmherzigkeit: Nicht um die Mitte kümmern, sondern um die Ränder

Schavan zu Folge sieht der Papst im barmherzigen Handeln den „Schlüssel für die Glaubwürdigkeit“ der Frohen Botschaft. Für ihn sei die „Barmherzigkeit die stärkste Kraft der Botschaft des Herrn“. Daher erwarte er von den Christen mehr „Anstrengungen des Herzens und des Verstandes“ besonders an den Rändern von Kirche und Gesellschaft. So führten den Papst auch seine ersten Reisen nach Lampedusa und in asiatische Länder.

Theologisch sehe der Papst in den Seligpreisungen sowie in Mt 25 so etwas wie einen „Aktionsplan für gelebten Glauben“. Seine Radikalität erörtert Schavan mit einer Unterscheidung, die auf den Moraltheologen Eberhard Schockenhoff zurückgeht und nach der sich „moralischer Rigorismus“ und die „Radikalität des jesuanischen Ethos“ ausschließen, da Nachfolge Jesu Christi gerade unter dem Vorzeichen der Barmherzigkeit stehe. Allerdings sei gerade eine solche kompromissbereite Barmherzigkeit auch schon zur Zeit Jesu eine tiefe Störung der bisherigen Ordnung gewesen, die Jesus letztlich das Leben gekostet habe.

Papst Franziskus, die Tradition und das Zweite Vatikanische Konzil

So konzentriert der Darstellung Schavans zufolge Papst Franziskus die Kirche „wieder auf die Urkunde des Christentums“. Ihre 2000-jährige Tradition meine deshalb nicht nur Bewahrung, sondern vielmehr Unruhe, Bewegung und Reformen. „Das besondere weltanschauliche Programm“ des Christentums bestehe besonders daraus, dass es primär keine Philosophie oder Weltanschauung sei, sondern zunächst „Einladung zur Nachfolge und zur Tat“.

Ausgehend von den Lehrtexten des Zweiten Vatikanischen Konzils ruft der Papst die Kirche dazu auf, die Zeichen der Zeit zu deuten und sich mit dem Evangelium auf den Weg zu den Menschen zu machen. Schon auf dem Konzil habe sich diese „Option für die Armen“ im so genannten Katakombenpakt niedergeschlagen. Darin verpflichteten sich insgesamt über 500 Bischöfe, bescheiden und demütig zu leben, sich besonders den Armen und Hilfsbedürftigen zuzuwenden und sich dafür bei den „Verantwortlichen der Regierungen“ einzusetzen. Schavan stellte aber fest, dass dieser konziliare Aufbruch vor allem in den reichen Ländern der ersten Welt noch nicht wirklich rezipiert worden sei.

Impulse daraus für die Politik

Zuletzt nannte Schavan Impulse, die die Politik aus der Grundidee des Papstes vom Primat der Wirklichkeit vor der Idee ziehen könne. Abzuleiten sei daraus (1) das Prinzip der Partizipation, also die Hineinnahme und Beteiligung der Bürger sowie die Berücksichtigung der Weltwirklichkeit der Menschen in politische Entscheidungen, damit die „Idee nicht zur bloßen Rhetorik wird“. Daraus folge (2), dass eine durchaus notwendige „Kultur des Streites“ von Empathie für die Belange aller Betroffenen getragen sein müsse. (3) Politik habe mehr Vertrauen in die „Gestaltungskraft von Menschen“ zu setzen und dadurch Teilsysteme im Sinne der Subsidiarität stärken. Schließlich sei es im Kontext einer pluralen Gesellschaft (4) unerlässlich, gute Voraussetzungen für den interreligiösen Dialog zu schaffen. Schavan betonte mit Franziskus, dass dieser Dialog der Religionen die Bedingung weltweiten Friedens sei. Eine besondere Herausforderung bestehe hier im Verhältnis zum Islam. Dabei hob Schavan nach den Worten des Papstes die Friedfertigkeit „des wahren Islams und einer angemessenen Interpretation des Korans“ hervor und verlangte insbesondere von Deutschland die Aufnahme von Einwanderern mit einer Haltung von Zuneigung und Respekt.

Hinweis

Diesen Text verfasste Alexander Schmitt. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.