„Man kann den Armen nicht sagen, dass Gott sie liebt und sie gleichzeitig verhungern lassen“

„Der Papst, der alles anders macht?“ Unter diesem Thema steht die diesjährige Ringvorlesung „Theologisches Forum“ des Instituts für Katholische Theologie der Universität Bamberg. Die zweite Veranstaltung dieser Vortragsreihe fand am 27.11.2014 statt; das Thema lautete: „Gott und die Armut. Befreiung, eine Herausforderung für den Vatikan“. Zu Gast war Prof. em. Dr. Elmar Klinger, der bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2003 den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaften an der Universität Würzburg innehatte.

Prof. Dr. Jürgen Bründl führte zunächst in die Thematik ein. Ausgehend von der Frage, was das Papstamt in der heutigen Zeit auszeichne, beschrieb er Armut als existentiell wie sozial katastrophale Wirklichkeit mit gravierenden Folgen: „Zahlreiche Unterprivilegierte bezahlen den Überfluss der wenigen Wohlhabenden mit ihrem Leben.“ Da dieser Umstand jedoch eine sündhafte Ungerechtigkeit vor Gott darstelle, sei es umso mehr Aufgabe der Kirche, den Menschen in seiner Menschenwürde aus dieser Situation zu befreien. Während bei Papst Franziskus der ekklesiologische Gedanke einer „Armen Kirche der Armen“ geradezu programmatischen Charakters sei, stelle sich abschließend die Frage, ob auch der Vatikan bereit wäre, den Herausforderungen dieser Wirklichkeit zu begegnen, die im Folgenden von Prof. Klinger erörtert wurde.

Zu Beginn seines Vortrags definierte Prof. Klinger Armut als einen „Mangelzustand, der verhindert, dass Kleidung, Nahrung, Wohnung, Gesundheit und Menschenrechte nicht mehr zu garantieren sind“. Neben „relativer Armut“, sei vor allem das Problem der „absoluten Armut“ evident: Von einem solchen Leben unterhalb des Existenzminimums in permanenter Todesgefahr seien derzeit etwa 1,25 Milliarden Menschen betroffen; sie müssen von etwa 1 US-Dollar pro Tag leben. Während auf säkularer Ebene zunächst der Staat, die Gesellschaft, die Wirtschaftsordnung und die Politik gefordert seien, sei es Aufgabe der Kirche, helfendes Hoffnungszeichen der Armen zu sein.

In diesem Zusammenhang ging Prof. Klinger auf die Eckdaten des Zweiten Vatikanischen Konzils ein, das er als zentrale Weichenstellung für die kirchliche Position zur Armut bezeichnete. Statt sich auf moralische Appelle zu beschränken, begann die Kirche damit, den Menschen von der eigenen Tradition her zu betrachten; sich „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen, besonders der Armen und Bedrängten aller Art“ (Gaudium et Spes 1) zu eigen zu machen, um so Kirche dieser Menschen zu werden, was notwendig einen intensiven Kontakt zu den Menschen nach sich ziehe. Da sich die Kirche als ein Volk unter den Völkern der Erde verstehe (vgl. Lumen Gentium), sei sie von sozialen Fragen vor allem innerlich betroffen. Notwendigerweise müsse sich die Kirche daher an dem Anspruch messen lassen, Wort und Tat Hand in Hand gehen zu lassen, wie es auch die dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung, „Dei Verbum“ zu Beginn hervorhebe. Das Problem der Armut aus geistlicher Perspektive zu betrachten bedeute also, Arme zum Subjekt der Armut zu machen und aus ihrer Perspektive diese Thematik zu erörtern.

Im folgenden Teil spannte Klinger den Bogen von Papst Johannes XXIII hin zu dem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ von Papst Franziskus, das die Eckdaten des Konzils zur Armutsthematik vertiefe. Die „Missionarische Umgestaltung der Kirche“ (Evangelii Gaudium 1) finde in der Welt von heute statt, zu der sie gehöre und Verantwortung trage. Das Evangelium an allen Orten ohne Zögern und ohne Angst und Widerstreben zu verkünden sei ihre Mission. Des Weiteren erhebe der Papst seine Stimme gegen eine Wirtschaft der Ausschließung, einer neuen Vergötterung des Geldes, gegen Geld, das regiere, statt zu dienen und gegen soziale Ungleichheit, die Gewalt hervorbringe. Im gleichen Atemzug fordere er aber eine Spiritualität der Kleriker ein, wende sich gegen egoistische Trägheit, sterilen Pessimismus oder Krieg und plädiere deutlich für von Christus geprägte, zwischenmenschliche Beziehungen, deren innerer Pol das Evangelium darstelle, um als „Ferment Gottes in der Menschheit“ zu wirken. Inhalt der Erstverkündigung müsse die soziale Dimension des Evangeliums sein: Das Gemeinschaftsleben, die Verpflichtung gegenüber anderen, Werkzeug der Befreiung der Armen zu sein, um so Raum für Brüderlichkeit, Gerechtigkeit, Würde und Frieden zu schaffen, statt eine Art „Nächstenliebe à la carte“ zu praktizieren. Folglich könne niemand die Ohren vor dem Schrei der ärmsten Völker der Erde verschließen. Gerade deshalb sei es umso wichtiger, die strukturelle Herausforderung an die Ämter der Befreiung anzunehmen, die Kirche von den Armen her zu verstehen.

Trotz dieser Bemühungen seien jedoch innerkirchliche Gegenpositionen nicht zu leugnen. Gerade der Vatikan erweise sich als ambivalent, weil er sowohl Teil des Problems ist, als auch Motor für dessen Lösung sein muss. Von seiner Natur her als hierarchischer Staat sei es dennoch seine Aufgabe, seiner gesamtkirchlichen Leitungsfunktion nachzukommen. Gerade die Anforderung, die Armen nicht mehr als Objekte zu betrachten, stellt eine Herausforderung dar, die signifikante Probleme in der Kirche aufwirft, zumal die Armen bis heute im gültigen Kirchenrecht keine Rolle spielen, weshalb die Vorstellung einer „Armen Kirche der Armen“ nicht unmittelbar einzuklagen sei. Daraus ergebe sich, dass das Ziel der Befreiung der Armen noch lange nicht erreicht sei. Doch die Freude am Evangelium, dieser Befreiung kontinuierlich näher zu kommen, erweise sich als konstitutives Element, auf diesem Weg voranzuschreiten.

Hinweis

Diesen Text verfasste Ludwig Martin Jetschke. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.