Markus Vogt: Brennpunkte ökologischer Gerechtigkeit aus christlicher Sicht
Im Rahmen des »Theologischen Forums« war am 13. Januar Prof. Dr. Markus Vogt (München) zu Gast. Der Umweltethiker leuchtete für die Vorlesungsreihe, die sich nach der Beteiligung des Christentums an (Un-)Gerechtigkeiten in dieser Welt fragt, Zentralbegriffe des Diskurses aus und zeichnete dabei die Entwicklung zu einem ökologischen Bewusstsein auf.
Zum Auftakt machte Vogt für die »Grammatik der Begriffe« im Reflektieren auf ökologische Problemstellungen aufmerksam. Die Wahl des Vokabulars ist keine unschuldige Entscheidung, sondern setzt dem Diskurs ein spezifisches Prägemal auf: Gerechtigkeit, Verantwortung, Solidarität – welches Modell strukturiert das Reflektieren vor? Im Gegensatz zur begrenzten Perspektive der »Ressourcengerechtigkeit«, die einen klar anthropozentrischen Akzent identifiziert und ihre Stärke in wirtschaftlichen Zusammenhängen hat, machte Vogt die »ökologische Gerechtigkeit« als Reflexionskriterium stark. Sie überführt den Gerechtigkeitsbegriff aus sozialen Kontexten in das Mensch-Welt-Verhältnis und erhebt über die mitschwingende Kritik am Anthropozentrismus hinaus den Anspruch des Transformatorischen.
Als ersten Eckpunkt seiner umweltethischen Überlegungen benannte Vogt die intergenerationelle Verantwortung. Die Erkenntnis, dass die Lebenschancen von Menschen künftiger Epochen eine abhängige Größe von unserer Art zu leben ist, bezeichnet er als »Entdeckung der Zukunft«. Diese sieht er durch Hans Jonas »Prinzip der Verantwortung« (1979), die Aufnahme des Umweltschutzes ins Grundgesetz (1994) und den Millenniumsbericht der UNO (2015) entscheidend vorangetrieben. Die zeitliche Entgrenzung der Ethik, so bilanziert Vogt, ist angesichts dieser Horizonte unumgehbar geboten. Die Enzyklika Laudato Si (2015) vermag dieses Bewusstsein weiter zu befördern, insofern Papst Franziskus Ökologie als »Denken in Vernetzung« vorstellt, das sich für systemische Zusammenhänge offen zeigt. Anfragen, die an eine Fixierung von Verantwortung über die Generationengrenze hinaus gestellt werden, bezog Vogt dabei ebenfalls mit ein. So stellen etwa die zeitliche Reichweite oder die rechtliche Anwendbarkeit einer derart vernetzt formatierten Verantwortung große Herausforderungen dar.
Der Blick auf die Zukunft birgt aber, so Vogt in einem zweiten Schritt, die Gefahr, die Wahrnehmung der globalen Ressourcengerechtigkeit im Hier und Jetzt zu verstellen. Viele Umweltprobleme haben Kollektivgutcharakter, das heißt, dass eine eigene Investition zwar im Sinne aller sinnvoll sein wird, der individuelle Nutzen jedoch gering bleibt. Stattdessen kommt es zu einer dreifachen Externalisierung der Umweltkosten zulasten Armen, die Zukunft und die Natur. Diese Problematik erhellte der Umweltethiker mit der aristotelischen Unterscheidung in Legal-, Distributiv-, Tausch- und Korrektivgerechtigkeit. Letztere beispielsweise lege, erwägt Vogt, das Desiderat einer Regresspflicht auf die Industrienationen frei. Das wiederum korrespondiere mit der bislang unzureichend institutionalisierten sozialen Veranlagung des Menschen.
Einige Spotlights, die die Klimagerechtigkeit als Bewährungsprobe für globale Fairness ausweisen, vernetzte Vogt mit den vorangegangenen dia- und synchronen Analysen: Ein ökologischer Gerechtigkeitsbegriff müsse die Organisation langfristiger Interessen gegenüber kurzfristigem Profit forcieren. Im Gefolge der green develoment rights (Kyoto 1997) gelte dabei der Vorrang des Rechts auf Armutsüberwindung gegenüber der Pflicht auf Beteiligung. Die Beschlüsse von Glasgow (2021) sind in diesem Licht mit dem keineswegs selbstverständlichen Festhalten am Pariser 1,5-Grad-Ziel einerseits und dem zögerlichen Bekräftigen der green development rights andererseits differenziert zu bewerten.
Zuletzt konturierte Vogt die ökologische Gerechtigkeit als theologische Herausforderung. Nicht weniger als die »Rückkehr der Gottesfrage« bedeute es, die genannten Problemhorizonte zusammenzuführen und in die Erfahrung der Gebrochenheit von Schöpfung zu integrieren. Die notwendige Transformation sei ohne Religion nicht zu bewerkstelligen, insofern sie mit einer Revision von Mensch- und Weltbild einhergehen und sinnstiftende Antworten in der Frage nach dem »großen Ganzen« erhalten müsse.
In der angeschlossenen Diskussion mit dem digitalen Auditorium sprach sich der Umweltethiker weiterhin dafür aus, den christlichen Schöpfungsglauben als Tat-Sache zu produktiv zu wenden. Die empirische Wirklichkeit stellt den Prüfstein dar, die Relevanz des Gottesglaubens selbst zu erproben – hier plädierte Vogt für die Wiederentdeckung des Begrenztseins als Gelingensbedingung für ein Leben in Fülle.
Das Theologische Forum wird am 3. Februar 2022 Frau Dr. Christiane Florin beschließen. Zu Ihrem Vortrag unter dem Titel »Weiberaufstand. Die »Frauenfrage« als Machtfrage in der katholischen Kirche« auf Zoom ergeht herzliche Einladung!
Den Text verfasste Simon Steinberger. Er steht Journalist:innen zur freien Verfügung.