Heilige im Chassidismus

Die Fortsetzung der Vortragsreihe „typisch jüdisch“ – „typisch christlich“ übernahm am zweiten Abend des Theologischen Forums vom 6. November 2019 Prof. Dr. Susanne Talabardon, Professorin für Judaistik an der Universität Bamberg. Unter dem Titel „Heilige im Chassidismus“ setzte sie sich mit der Frage auseinander, inwiefern jüdische Heilige überhaupt existieren können und zeigte diesbezüglich zentrale Paradigmata sowie Entwicklungen vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit auf.

Während Heilige häufig als „typisch christlich“ betitelt werden, ist die Bezeichnung bzw. das Vorhandensein im Judentum – nicht zuletzt aufgrund der mangelnden Existenz einer Institution, welche eine solche „Heiligkeit“ feststellen könnte – auf den ersten Blick eigentlich eher weniger etabliert.

So legte Talabardon zunächst dar, dass erste Ansätze zu einer Verehrung von „Heiligen“ zwar beispielsweise bereits in der Spätantike, sei es beim Aufsuchen von Gräbern biblischer Helden oder bei der Martyrologie von beispielsweise Jesaja oder der Makkabäer, zu finden sind – grundsätzlich bestand allerdings eine Skepsis in der Theorie: Zeitgleich zur Entwicklung des werdenden Judentums wurde das Leitbild des prophetischen Anhängers bzw. charismatischen Wundermannes gänzlich unterdrückt, vielmehr fand eine Umformung zum Gelehrten statt.

Trotzdem gibt es „Heilige“ im Judentum, wie Talabardon im zweiten Teil ihrer Überlegungen anführt. Am Beispiel des Rabbi Akiba machte sie deutlich, wie intellektuelle und spirituelle Normen des klassischen Judentums umgesetzt wurden, was schließlich hagiographische Motive auf sich gezogen hat. Das Leitbild des Gelehrten wurde damit jahrhundertelang zum Leitbild des jüdischen Lebens, wobei ebenfalls eine Parallelität zu biblischen Paradigmata – beispielsweise zur Mose-Erzählung oder zum Exodus-Motiv – zu ziehen ist. Darüber hinaus entwickelte sich eine Art „hagiographische Literatur“, wie Legenden über Raschi (1040-1105) oder Abraham ibn Esra (um 1235) belegen.

Im nächsten Schritt äußerte sich Talabardon zu der im Hintergrund vorfindbaren Bußbewegung der Chassidé Aschkenas. Hier ist erneut die typische Erzählweise über „Heilige“ als aktive Verteidiger der jüdischen Gemeinschaft vorfindbar, gleichzeitig stellt sich heraus, dass aufgrund des privaten jüdischen Umfelds im 12./13. Jahrhundert noch keine manifeste Heiligenverehrung installiert werden kann. In diesem Zuge verwies Talabardon auf den durch die (lurianische) Kabbala entstehenden Paradigmenwechsel, unter welchem sich durch eine öffentliche Repräsentation des Judentums ab dem 15./16. Jahrhundert nun ein vollwertiger Heiligenkult bildete, da beispielsweise auch Gräber besucht werden konnten. Ein weiterer, spannender Beleg findet sich in der Hagiographie um Jitzchak Luria: Legenden umfassen fortan das gesamte Leben des „Heiligen“ und entstehen bereits in sehr kurzem Abstand zum Leben.

Als vertiefenden Exkurs ging Talabardon auf den mittelosteuropäischen Chassidismus ein, welcher als jüdische Reformbewegung im 18. Jahrhundert in der heutigen Ukraine entstand und das Ziel verfolgte, das spirituelle Leben auch an einfache Menschen zurückzubinden. Die Position einer neuen Mittlerfigur nahm daneben Zaddik ein, der Gebet-, Talmud- und Kabbalastudium stellvertretend für seine Anhänger ausführte und diese dementsprechend von ihm mit ins Paradies gezogen werden können.

Abschließend fasste Talabardon einige Aspekte jüdischer Heiligenverehrung zusammen und griff dabei ebenfalls den Kult anderer Traditionen und Länder auf: Neben bedeutenden Persönlichkeiten aus den USA stellte sie beispielsweise einzelne chassidische Rebbes des 20. Jahrhunderts oder den sefardischen Zaddikim Baba Sali (1890-1984) vor.

Hinweis

Diesen Text verfasste Alexandra Hummel. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.