Lesen, Schreiben, Rechnen – und Programmieren
Sollten Grundschüler Informatik im Unterricht lernen?
Prof. Dr. Ute Schmid erklärt, warum und auf welche Weise Lehrkräfte Kindern digitale Bildung vermitteln können.
Bamberg, 20.3.2018
Programmieren ist „so wichtig wie Lesen und Schreiben“, sagte kürzlich Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt. Sie forderte, das Programmieren in den Lehrplänen von Grundschulen zu verankern. Ähnlich sieht das Prof. Dr. Ute Schmid, Professorin für Angewandte Informatik, insbesondere Kognitive Systeme an der Universität Bamberg. Sie warnt aber davor, ein neues Unterrichtsfach einzuführen. Wie ein Bildungsangebot zum Lernen mit und über Computermedien stattdessen aussehen kann, erklärt sie mithilfe von Beispielen aus Bamberg und Umgebung.
Stimmen Sie Dorothee Bärs Forderung zu, dass Programmieren an Grundschulen unterrichtet werden sollte?
Kinder werden immer früher mit digitalen Medien konfrontiert – wer kennt nicht die Bilder von Kleinkindern am Tablet? Bildungseinrichtungen sind entsprechend in der Pflicht, Kinder hier nicht allein zu lassen. Kinder sollten frühzeitig die Gelegenheit haben, zu erfahren, dass Computermedien keine reinen Unterhaltungsmedien sind, sondern Werkzeuge zum kreativen Gestalten. Entsprechend bin ich sehr dafür, dass Programmieren ein Bildungsangebot bereits in der Grundschule wird. Aber ich warne vor blindem Aktionismus. Es macht wenig Sinn, Kinder einfach „losprogrammieren“ zu lassen, ohne konkrete Vorstellungen davon zu haben, welche Lerninhalte vermittelt werden sollten. Damit die Kinder sinnvoll grundlegende Konzepte der Informatik und die Nutzung von Software-Anwendungen verstehen können, ist eine Verknüpfung mit analogen, begreifbaren Lerneinheiten unverzichtbar. Zielführend wäre ein Konzept, das auf der Kombination medienpädagogischer Inhalte mit elementaren Informatikinhalten basiert. Kinder sollen angeregt werden, die „Black Box“ Computer zu hinterfragen und „Wie funktioniert das?“-Fragen zu stellen. Zudem sollten die ohnehin vollen Lehrpläne der Grundschule nicht durch ein weiteres Fach überfrachtet werden. Informatik ist ja diejenige Disziplin, die heute praktisch in jedem Bereich nutzbar ist und neue Anwendungen ermöglicht. Damit bereits Kinder Informatik als eine relevante Grundlage für viele Themengebiete erleben können, sollten entsprechende Angebote nicht nur im Sachkundeunterricht, sondern auch in Mathematik, Kunst oder Deutsch integriert werden. Die von der interdisziplinären Forschungsgruppe Elementarinformatik (FELI) entwickelte „Experimentierkiste Informatik“ basiert genau auf diesen Überlegungen.
Welche Angebote im Bereich der Digitalisierung gibt es bereits an Schulen?
Sehr begeistert bin ich vom Digitalisierungskonzept der Grund- und Mittelschule Burgebrach. Die Lehrkräfte an dieser Schule vermitteln den Schülerinnen und Schülern digitales Basiswissen, fördern das technische Grundlagenverständnis und verknüpfen dieses auf beispielhafte Weise mit der Programmierung von Anwendungen mit Lebensweltbezug. So wird im Sachkundeunterricht beispielsweise ein Bodenfeuchtigkeitsmessgerät konzipiert und programmiert, bei dem zugleich die Anwendung naturwissenschaftlichen und informatisch-logischen Wissens erforderlich ist. Oder denken wir an den Technikunterricht: Dort wurde aus Holz ein Fahrzeugunterbau konstruiert, auf den anschließend eine automatisch gesteuerte Motorkühlung angebracht wurde. Es ist beeindruckend zu sehen, wie gut Kindern hier der Transfer von einem Problem zu einem neuen gelingt. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Lehrkräfte das Programmieren dort gezielt durch Vermittlung algorithmisch-logischer Konzepte vorbereiten. Sie verwenden dafür analoge Materialien aus unserer Experimentierkiste.
Was würden Sie Eltern raten, die nach außerschulischen Veranstaltungen suchen, bei denen ihre Kinder beispielsweise Programmieren erlernen können?
Die Fakultät Wirtschaftsinformatik und Angewandte Informatik (WIAI) der Universität Bamberg bietet bereits seit 2005 Informatik-Workshops für Kinder und Jugendliche an. Seit 2008 haben wir Workshops für die Vor- und Grundschule im Programm. Hier würde ich auf alle Fälle empfehlen, einmal einen Blick auf unsere Nachwuchsseiten zu werfen.
Ein breit gefächertes Angebot für Schülerinnen und Schüler ab 14 Jahren bietet zudem das Schülerforschungszentrum der Technologie-Allianz-Oberfranken an seinen Standorten Bamberg, Bayreuth, Coburg und Hof.
Wie vermitteln Sie Mädchen und jungen Frauen den Spaß am Programmieren?
Keimzelle unserer Workshop-Angebote waren gerade spezifische Angebote für Mädchen ab zehn Jahren. Nach wie vor erleben Mädchen sich selber im Bereich Informatik als weniger kompetent als Jungen. Oft haben sie im Elternhaus kaum Gelegenheit, sich mit Technik und Informatik konkret zu beschäftigen und damit keine Chance, eigene Begabungen und Neigungen in diesem Bereich zu entdecken. Zudem fehlt es nach wie vor – gerade auch im familiären Umfeld – an Rollenmodellen. Wichtig ist uns entsprechend, dass in den Workshops praktische Aktivitäten angeboten werden, die das Interesse von Mädchen ansprechen, etwa die Programmierung interaktiver Spiele oder von Webchats. Wir achten darauf, dass Studentinnen und Dozentinnen in die Veranstaltungen integriert sind, sodass die Mädchen Frauen kennenlernen können, die Informatik studieren und als Informatikerinnen arbeiten. Bei unseren Angeboten für die Vor- und Grundschule scheint es uns nicht relevant, gezielt Programme nur für Mädchen anzubieten. Bei den Mädchen ab 10 Jahren zeigt sich dagegen deutlich: Wenn der gleiche Workshop einmal in einer reinen Mädchenveranstaltung und einmal in einer allgemeinen Veranstaltung angeboten wird, kommt im ersten Fall ein großer Ansturm von Mädchen, im zweiten Fall sinkt der Mädchenanteil typischerweise auf etwa 15 Prozent. Dies zeigt uns, dass für ältere Mädchen und gerade in der Pubertät weiterhin spezielle Angebote wichtig sind.
Wie können sich Lehrerinnen und Lehrer fortbilden, um Medienkompetenz zu vermitteln?
Für ein Gelingen der Einführung von digitalem Lehren und Lernen in der Grundschule ist es absolut wichtig, dass die Lehrkräfte hier nicht alleingelassen werden. Unsere Forschungsgruppe Elementarinformatik bietet in Kooperation mit dem Bamberger Lehrerbildungszentrum, der Fachakademie für Sozialpädagogik Bamberg und der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Dillingen Fortbildungen an, bei denen der Fokus auf informatischer Bildung und der Förderung von Medienkompetenz bei Schülerinnen und Schülern liegt. Außerdem haben wir überregionale Kooperationspartner, zum Beispiel die Geschäftsstelle des Bundeswettbewerbs Informatik oder das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg. Wir sind in diesem Bereich jedoch nicht der alleinige Anbieter. Auf großes Interesse stieß beispielsweise auch der Bamberger Medienbildungstag des Vereins für Medienbildung. Interessante Lehrerfortbildungen werden darüber hinaus auch über das bereits erwähnte Schülerforschungszentrum angeboten.
Welche Projekte und Forschungsarbeiten möchten Sie in Zukunft durchführen, um das Thema Digitale Bildung voranzubringen?
Wir planen gerade die Einrichtung eines digitalen Lehr-Lern-Labors für die Vor- und Grundschule. Dort möchten wir neue Konzepte zur digitalen Bildung erstellen und praktisch erproben. Zugleich soll das Labor als Aus- und Fortbildungsort für pädagogische Fach- und Lehrkräfte dienen und zusätzlich Veranstaltungen zur Förderung informatischen Interesses und handlungsbezogener Medienkompetenzen bei Kindern für interessierte Eltern anbieten. Wir möchten insbesondere untersuchen, mit welchen Ansätzen das Interesse und Verständnis für informatisch-technische Zusammenhänge bei Kindern nachhaltig gefördert werden kann. Zudem entwickeln wir Lehr-Konzepte und Methoden-Handbücher, um pädagogische Fach- und Lehrkräfte dabei zu unterstützten, digitale Lerninhalte in den Unterricht zu integrieren.
Das Interview führte Patricia Achter vom Dezernat Z/KOM.