Dr. phil. h. c. Tankred Dorst

Autor, Dramatiker, Regisseur

Geboren am 19. Dezember 1925 in Oberlind (Sonneberg), Thüringen

Verstorben am 1. Juni 2017

Datum der Ehrenpromotion: 5. Februar 2009

Im Alter von 91 Jahren verstarb am 1. Juni 2017 Tankred Dorst, einer der meistgespielten deutschen Dramatiker der Gegenwart. Tankred Dorst stammte aus Thüringen; seit 1951 lebte er in München. Hier schrieb er seine ersten Stücke für das Marionettentheater (Das kleine Spiel), seit 1960 dann Dramen für Schauspieler. Sein Werkverzeichnis umfasst mehr als 50 Titel, darunter auch Übersetzungen und Bearbeitungen fremder Werke, vier Ballett- und Opernlibretti und acht Filme, bei dreien davon führte er selbst Regie. Seit Anfang der siebziger Jahre bestand die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit seiner Frau Ursula Ehler; sie schrieben fortan fast alle Theatertexte gemeinsam. 2006 inszenierte Tankred Dorst, wieder gemeinsam mit seiner Frau, bei den Bayreuther Festspielen Richard Wagners Ring des Nibelungen. Seine letzten Lebensjahre (seit 2013) verbrachte er in Berlin; das letzte Theaterstück des Paares Das Blau in der Wand wurde 2016 uraufgeführt.

In einem großen Interview, das beide anlässlich von Dorsts neunzigstem Geburtstag gaben, erinnerte er sich an seine Anfänge in den sechziger Jahren:

"Es gab damals, als ich angefangen habe, Stücke zu schreiben, die Bedingung, ein Stück muss Modellcharakter haben. Was auf der Bühne hergestellt wird, soll auf prägnante Weise reflektieren, was in der Welt vorhanden ist. Das war die Zeit von Brecht, Frisch und Dürrenmatt, für mich keine Vorbilder, aber Autoren, die anregend waren. Nach ’68 hab ich gedacht, mit diesem Modell wird unser Blick auf die Menschen zu eng. Er lässt nichts zu, was dramaturgisch unordentlich ist. Man muss die Form offener machen, damit mehr wirkliches Leben reinkommt, das war mir eigentlich immer wichtig, dass man sich nicht zu strikt an einen Handlungsstrang bindet."

 

Nicht Tragödien, so schrieb der Dichter in einem Kommentar zu einem frühen Stück, sondern Farce, Groteske und Parabel wollte er den Zuschauern bieten. In einer Diskussion äußerte er einmal: "Ich will, daß mir jemand eine Geschichte erzählt" – seine Stücke folgen einer narrativen Dramaturgie mit prägnant charakterisierten Figuren. An anderer Stelle heißt es:

"Avantgardistisch will ich nicht sein – formale Spielereien und Theorien sind mir gewiss das Fremdeste und sind mir sogar hassenswert. Ich habe ein einziges Problem: das ist der Inhalt. Es gibt für mich nur Inhalt, Menschen, und daraus ergibt sich alles andere."

 

Tankred Dorsts Werk ist außerordentlich vielfältig; die thematische Spannweite reicht von revuehaften Stücken wie Kleiner Mann, was nun? (nach dem Roman von Hans Fallada, 1972) über Politisches (Toller, 1968) und Stücke mit autobiographischen Elementen (Auf dem Chimborazo, 1975; Die Villa, 1980) bis zu albtraumhaften Grotesken (Korbes, 1988; Herr Paul, 1994). Der Autor hat auch immer wieder Stoffe aus der mittelalterlichen Literatur Deutschlands oder Frankreichs aufgegriffen, beginnend mit Die Mohrin (1964, 1969 als Libretto für Günter Bialas Die Geschichte von Aucassin und Nicolette) über Merlin oder Das wüste Land (1981) bis zu Die Legende vom armen Heinrich (1997, nach Hartmann von Aue), Purcells Traum von König Artus (2004) und mehrfachen Annäherungen an die Parzival-Figur, zuletzt 2011 als Musiktheater Der durch das Tal geht (Musik Pierre Oser, uraufgeführt in Hanoi). Sein vielleicht bedeutendstes Werk Merlin ist ein polyphones Stück Welttheater, in dem nicht nur die Ritter von der Tafelrunde, sondern auch Clowns, Engel und Teufel oder Christus auftreten. Dieses Schauspiel, das ungekürzt den Rahmen eines Theaterabends sprengen würde, hat inzwischen Aufführungen in allen Teilen der Welt erlebt.

Im Jahr 1991 übernahm Tankred Dorst die Poetikprofessur der Bamberger Universität, 2009 verlieh die Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften dem Bamberg eng verbundenen Dramatiker die Ehrendoktorwürde. Damit würdigte sie sein vielstimmiges literarisches Werk, nicht zuletzt seine Bemühungen um eine zeitgemäße Vermittlung mittelalterlicher Literatur.

Prof. i. R. Albert Gier, Bamberg