Echt fränkisch
Über das Immaterielle Kulturerbe in Franken
Was Identität und Gemeinschaft stiftet, sind häufig nicht die Monumente und steinernen Wahrzeichen eines Ortes, sondern das gelebte Leben darin; die Aktivitäten, Bräuche und Rituale. Aber wie sichert man dieses sich im Fluss befindliche Kulturgut? Eine Initiative der UNESCO hilft, Kulturformen zu dokumentieren und zu erhalten. Beispiele aus Franken zeigen, wie vielfältig und wertvoll dieses Immaterielle Kulturerbe ist.
Seit 2003 rückt die UNESCO kulturelle Ausdrucksformen wie Bräuche, Feste, Musik und traditionelle Handwerkstechniken in den Blick der Weltöffentlichkeit. Überliefertes Wissen und Können sowie Alltagskulturen sollen als sogenanntes Immaterielles Kulturerbe erhalten und gefördert werden. Im Zentrum stehen von Generation zu Generation kreativ weitergetragene Aktivitäten, die Gemeinschaftsgefühl, Identität und Kontinuität vermitteln.
Die Bundesrepublik Deutschland ist diesem UNESCO-Übereinkommen 2013 beigetreten. Als erste deutsche Phänomene wurden 2016 die Genossenschaftsidee und die Falknerei in die internationale repräsentative Liste des Immateriellen Welterbes aufgenommen; im Dezember 2017 folgten Orgelbau und Orgelmusik als dritter deutscher Beitrag.
Zentrales Element der Umsetzung in Deutschland ist ein bundesweites Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes. Darin befinden sich derzeit 68 Kulturformen und vier Erhaltungsprogramme, sieben dieser Kulturformen stammen aus Franken, außerdem ist die Genussregion Oberfranken eines der vier deutschen Gute-Praxis-Beispiele.
Auf Länderebene werden die im Freistaat Bayern verorteten immateriellen Ausdrucksformen in einem eigenen Bayerischen Landesverzeichnis dokumentiert. Fünf dieser fränkischen Kulturphänomene werden hier porträtiert, eine Liste aller in Franken beheimateten Ausdrucksformen, die bislang in das bayerische Verzeichnis aufgenommen worden sind, findet sich am Ende des Artikels.
Bamberg als Gärtnerstadt
Der urbane Erwerbsgartenbau in der fruchtbaren Bamberger Regnitz-Aue ist seit dem 14. Jahrhundert belegt und konzentrierte sich bis ins 19. Jahrhundert auf die Produktion von Gemüsesaatgut und Süßholz. Europaweit exportierten die Bamberger Gärtner Salat- und Kohlsorten, Spargel, Rettich, Zwiebeln, Knoblauch, Süßholz, Petersilie und Rote Beete. Noch heute produzieren sie nach bewährter Tradition und vermarkten ihre Waren hauptsächlich auf dem Grünen Markt, in Hofläden und Restaurants.
Ist die gärtnerische Nutzung kostbarer innerstädtischer Grundstücke über Jahrhunderte hinweg für sich genommen bereits eine Sensation, so ließ sich das Expertengremium auch von den vielfältigen sozialen, religiösen und korporativen Traditionen der Gärtner beeindrucken. Diese manifestieren sich unter anderen in Wohnformen, Kleidung und Sprache. Sowohl für die angebauten Sorten als auch für Werkzeuge und deren Anwendung sind Bezeichnungen im lokalen Dialekt üblich.
Zu Fronleichnam und anderen repräsentativen Anlässen wird eine 1891 eingeführte Festzugstracht getragen. Die historische Arbeitskleidung besteht aus einer Bluse mit ergonomisch weiten Ärmeln und einem Kopftuch als Sonnenschutz. Identitätsstiftend wirkt auch der Zusammenschluss der Gärtner in Vereinen.
Ein Kinderfest stiftet Identität
Das historische Festspiel Dinkelsbühler Kinderzeche geht auf ein Schulfest des 16. Jahrhunderts zurück, das im Zeitalter des Historismus durch ein Festspiel ergänzt wurde, welches die sagenhafte Aufhebung der Schweden-Belagerung von Dinkelsbühl im Jahr 1632 durch kindliche Friedensdiplomatie zum Thema hat. An dem Festspiel – jährlich an den Wochenenden um den dritten Montag im Juli – wirken Schülerinnen und Schülern der Klassen 1 bis 8 aller Dinkelsbühler Schulen mit sowie weitere 1.100 Aktive.
Um dem Ursprung des Festes als Kinderfest Rechnung zu tragen, bekommen alle teilnehmenden Kinder eine mit Süßigkeiten gefüllte Tüte, die sogenannte "Gucke". Außerdem werden an mehreren Tagen historische Kinder- und Reigentänze aufgeführt. Jeweils um Ostern herum beginnen die Dinkelsbühler mit den Vorbereitungen für das Fest, das den im Glauben tief gespaltenen Bürgern die Möglichkeit eröffnet hat, konfessionsübergreifend die Geschichte ihrer Stadt zu feiern.
Liebe auf den ersten Lindentanz
In Limmersdorf wird alljährlich zur Kirchweih in der dafür eigens als ‚Ballsaal‘ gestalteten Krone des 1686 gepflanzten Lindenbaumes musiziert und getanzt. Nachweislich seit 1729 ist die Lindenkirchweih der unbestrittene gesellschaftliche Höhepunkt des dörflichen Lebens: Jugendliche ‚debütieren‘ beim Lindentanz, viele lernen hier die Partnerin oder den Partner fürs Leben kennen.
Tanzlinden erkennt man an ihren „geleiteten“ Ästen, die ein säulengestütztes Tanzpodium tragen. Der Wuchs des Baumes wird so gelenkt, dass ein regelrechter Baumsaal entsteht. Tanzlinden sind somit nicht nur Natur-, sondern auch Baudenkmäler. Die Verbindung von Natur-, Architektur- und Kulturgut ist einzigartig und von weit über die Dörfer hinausgehender Bedeutung. Tanzlinden finden sich heute noch in den oberfränkischen Ortschaften Peesten, Langenstadt sowie in Effelder, Sachsenbrunn und Oberstadt in Thüringen.
Genossenschaftlich Wirtschaften: die Osingverlosung
Der Osing ist eine gemeindefreie Hochfläche von 274 ha oder 213 Feldanteilen im Landkreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim. Seit mehr als 550 Jahren existiert die genossenschaftliche Praxis, den gemeinschaftlichen Besitz in den Dörfern Humprechtsau,Krautostheim, Herbolzheim und Rüdisbronn alle zehn Jahre durch ein genau festgelegtes Losverfahren neu unter den bäuerlichen Rechte-Inhabern zu verteilen.
Nach zweiwöchiger Vorbereitung und Vermessung der Ackerfläche durch jeweils einen Vertreter aus jedem Dorf findet die Verlosung im Osinghaus statt. Hier treffen sich Nutzungsberechtigte, Osingverwaltung, Gäste und Medien, um an der von örtlichen Musik- und Gesangsvereinen begleiteten Verlosung teilzunehmen. Ab mittags können zugeloste Felder getauscht werden. Ein ausgeklügeltes System soll sicherstellen, dass fruchtbare und weniger geeignete Felder gerecht verteilt werden. Vor- und Nachteile der Grundstücke werden mit Geld ausgeglichen und übrige Nutzungen wie Obstbaumerträge, Karpfenweiher und Jagdrechte werden von der Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten verpachtet.
Brunnengemeinschaften
Wunsiedel feiert alljährlich am Samstag vor Johanni ein Brunnenfest, bei dem die 35 öffentlichen Brunnen der Stadt mit Blumen und Lichtern dekoriert werden. Es basiert auf der Sage, nach der die Wunsiedler im 18. Jahrhundert nach einer Dürre die Brunnen mit Arnikakränzen und Blumen geschmückt hätten, woraufhin diese wieder gesprudelt haben sollen. Das Fest ist seit 1833 belegt. Einheimische und Gäste ziehen mit musikalischer Begleitung von einem Brunnen zum nächsten.
Jedem dieser Brunnen ist heute eine für den Schmuck zuständige Brunnengemeinschaft zugeordnet, die sich aus Vereinen, Anwohnern, Firmen und Einzelpersonen zusammensetzt. Auch Kindergärten und Jugendzentren bilden Brunnengemeinschaften, wodurch die Freude an dem Brauch schon früh vermittelt wird. Die Brunnengemeinschaften treffen sich im Vorfeld, um Motive zu finden, Accessoires vorzubereiten, Blumen zu pflücken und die Brunnen herzurichten. Brunnengemeinschaften haben keine Vorsitzenden, bei eventuellen Meinungsverschiedenheiten finden demokratische Abstimmungen statt. In der Vorbereitung und Durchführung des Brunnenfestes entstehen Freundschaften, die auch über das Fest hinaus bestehen.