Im Fokus des zweiten Kongresstages standen Grundlagen und zentrale Begriffe katholischer und evangelischer Ethik. Vertreter beider Konfessionen diskutierten in drei Arbeitseinheiten zu Begründungsstrukturen theologischer Ethik, zu ihren zentralen Begriffen und zu anthropologischen Grundlagen. Die Tagesmoderation übernahm Prof. Dr. Michelle Becka (Würzburg).
Die Arbeitseinheit Begründungsstrukturen in der Ethik wurde von Prof. Dr. Christoph Hübenthal (Nijmegen) und Prof. Dr. Peter Dabrock (Erlangen) bestritten.
Christoph Hübenthal diskutierte in seinem Vortrag Ethische Begründung aus dem theologischen Grund des Säkularen die Frage, auf welchem Boden die Theologische Ethik steht. In Auseinandersetzung mit den Positionen Duns Scotus' und Thomas von Aquins deutete Hübenthal das Säkulare als eigentlichen Referenzrahmen des Ethischen – auch und gerade des Theologisch-Ethischen. Das Säkulare mutiert in dieser Interpretation von einem Kampfbegriff gegen das Religiöse zur Grundbestimmung Theologischer Ethik. Wenn, so die Überlegung, Christus wahrer Mensch ist, muss Menschsein und Freiheit als eben nicht-religiös, als säkular gedeutet werden. Anders formuliert: Die Unabhängigkeit der Menschennatur von Gott setzt Freiheit frei. Die Freiheit muss, hier bezog sich der Referent auf Hermann Krings, zugleich die Affirmation der Freiheit des Anderen (mit)denken.
Im Anschluss daran referierte der evangelische Theologe und Vorsitzender des Deutschen Ethikrates Peter Dabrock zu den Grunddimensionen konkreter Ethik unter dem Titel Fremdheit würdigen, verstehen und rechtfertigen, Orientierungskorridore anbieten. Grunddimensionen konkreter Ethik in evangelischer Perspektive. Dabrock erläuterte zunächst als wesentlichen konfessionellen Unterschied den Umgang mit Fragen der Lebensführung. Reformatorisch, so führte er aus, zähle nicht das Handeln, sondern allein das Vertrauen auf Gott. Insofern stellt Pluralität in ethischen Fragen kein Problem für die evangelische Ethik dar, sie lasse sich vielmehr als endgültige Vollendung des Glaubens verstehen. Der Umgang mit Pluralität selbst aber stellt die evangelische Ethik vor Herausforderungen. Denn Religionen, die sich als lebensdienlich begreifen, müssen sich daran messen lassen, wie sie mit gesellschaftlichen Entwicklungen umgehen können. Sie tragen, so Dabrock, die Beweislast, warum ihr Standpunkt, der sich nicht mit einer bestimmten gesellschaftlichen Veränderung vereinbaren lässt, relevant ist. Am Beispiel der Diskurse um Menschenwürde und Menschenrechte erläuterte der Referent, wie er sich die Reformulierung theologischer Topoi in säkularen Kontexten vorstellt, so dass diese für Nicht-Theologen vernunftbasiert verständlich zu machen sind.
In der zweiten Arbeitseinheit des Tages standen zentrale ethische Begriffe zur Debatte: Situation, Prinzipien und Gewissen. Hier referierten und diskutieren Prof. Dr. Stephan Ernst (Würzburg) und Prof. Dr. Klaus Tanner (Heidelberg).
Stephan Ernst reflektierte die zentralen Begriffe katholischer Moraltheologie wie lehramtlicher Verkündigung unter dem Titel Prinzip-Gewissen-Situation: Ein Blick auf die katholische Sicht. Er zeigte auf, dass der Vorwurf, die katholische Moraltheologie sei eine vor allem naturrechtlich fundierte Prinzipienethik, tatsächlich zum Teil zutrifft (etwa in der Enzyklika Veritatis Splendor). Doch Ernst konnte auch deutlich machen, dass schon etwa Thomas von Aquin neben präskriptiven auch deskriptive Erläuterungen der Handlung kennt. Neben die Prinzipienethik tritt schon hier eine Ethik der Verhältnismäßigkeit, in der die Umstände des Handelns und die konkrete Situation eine zentrale Rolle einnehmen. Die Trias von Situation, Prinzip und Gewissen erlaubt es so, sowohl die Singularität des Handelns zu berücksichtigen wie die Formulierung allgemein sittlicher Normen vorzunehmen. So kommt nicht nur der Handlung ein bestimmter Wert zu, sondern auch den Nebenwirkungen, die ebenso einen negativen bzw. positiven Wert besitzen, der mitzuberücksichtigen ist.
Klaus Tanner betonte in seinem Co-Referat Umstrittene Leitbegriffe theologischer Ethik aus evangelischer Sicht zunächst, dass sich eine ökumenische Reflexion durchaus in vielen Feldern ethischer Reflexion auffinden lasse (wie etwa im Handbuch der christlichen Ethik) oder in konkreten Dialogen evangelischer und katholischer Ethikerinnen und Ethiker. Vor diesem Hintergrund benannte Tanner zentrale Differenzen wie die ekklesiologischen Strukturen und den Umgang mit der Tradition. Er machte aber auch Gemeinsamkeiten aus wie etwa den synkretistischen Charakter der Theologischen Ethik und den gesellschaftliche Ausgangspunkt aller ethischen Fragen. Mit Kant fragte Tanner dann nach der Bindungskraft von Überzeugungen und arbeitete zentrales Aspekte des Gewissensbegriffs heraus, der ökumenisch anschlussfähig ist. Als zentrales Spannungsfeld des Gewissens bestimmte er das Verhältnis von Erkennen (cognitio) und das Wollen (voluntas). Aufgabe der Kirche wie der Theologie sei es, so Tanner, die Frage zu beantworten, wie Selbstbindung in Freiheit zu denken ist.
Nach der Mittagspause fand die Mitgliederversammlung der Internationalen Vereinigung für Moraltheologie und Sozialethik statt, auf der unter anderem eine neue Satzung einstimmig angenommen wurden. Zudem wurde Brixen als Tagungsort für den 39. Kongress in 2019 bestimmt.
Prof. Dr. Gunter M. Prüller-Jagenteufel (Wien) widmete sich in der letzten Arbeitseinheit des Tages Fragen der Anthropologie. Unter dem Titel Christenmensch: freier Herr und dienstbarer Knecht. Verantwortung in der Spannung von Souveränität und Gebundenheit arbeitete Prüller-Jagenteufel die konfessionellen Differenzen in Bezug auf die Anthropologie heraus. Die ev. Theologie, so der Referent, kritisiere am Katholizismus einen Mangel an theologischer Freiheit, die kath. Theologie hingegen nehme im Protestantismus einen Mangel an Einigkeit wahr. Zwar lässt sich als gemeinsame Basis der Konfessionen die Rede vom Menschen als Gottes Ebenbild und Würdesubjekt ausmachen. Allerdings liegt im protestantischen Diskurs eine personal-relationale Konzeptualisierung des Menschenbildes vor, in der die Rechtfertigung des Menschen aus Gnade im Mittelpunkt steht. Doch Handeln und Handeln können ist nicht irrelevant. Der Mensch kann sich aus der Welt nicht zurückziehen, sondern er erfährt in Liebe zum Nächsten seine Freiheit. In katholische Perspektive, so der Referent, zeigt sich hingegen stärker eine Vorstellung des Menschen, in der das gesamte Leben und Handeln relevant ist. Als Möglichkeit einer Annäherung der Konfessionen im Menschenbild konnte Prüller-Jagenteufel das Konzept der Autonomie des Menschen ausmachen.
Am Abend fand auf Einladung des Bamberger Erzbischofs Dr. Ludwig Schick ein gemeinsamer Gottesdienst in der Nagelkapelle des Bamberger Doms statt. In seiner Predigt appellierte Schick an die Verantwortung der anwesenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler insbesondere auch globale und weltkirchliche Probleme und Herausforderungen in ihren wissenschaftlichen Arbeiten zu berücksichtigen. Im Anschluss an den Gottesdienst lud der Erzbischof die Kongresssteilnehmerinnen und -teilnehmer zu einem Empfang in den Räumen des Dompfarrheims ein. (Pressemitteilung des Erzbistums Bamberg zur Predigt)