Domninus von Larissa

Domninos von Larissa war ein Philosoph des 5. Jh.s und Mitglied der Schule von Athen. Es gibt ein erhaltenes Werk, das ihm sicher zugeschrieben werden kann, nämlich ein kurzer Text über Arithmetik. Dieses Werk, zusammen mit einigen Bemerkungen bei Damaskios (einem spätantiken Philosophen und Historiker der Schule von Athen, wenn man ihn überhaupt als „Historiker“ und nicht als „Geschichtenerzähler“ bezeichnen will), bot den Ausgangspunkt für die Konstruktion eines außergewöhnlichen Bilds von Domninos (das auf den bedeutenden Mathematikhistoriker Paul Tannery zurückgeht): ein wissenschaftlich gesinnter, möglicherweise jüdischer, eigenwilliger Philosoph, dessen Eintreten für eine methodisch-strenge Wissenschaft ihn in Konflikt mit seinen Kollegen brachte. Seine Kompetenz sollte sich durch seine erhaltenen mathematischen Abhandlungen belegen lassen, die einen angeblich ausgeprägten euklidischen Einschlag aufwiesen. Nur wenige Gelehrte hatten sich vor mir mit Domninus beschäftigt; fast keiner von ihnen stellte Tannerys Ansicht in Frage, die folglich die Lexika und Handbücher dominierte.

Neben dem arithmetischen Traktat wurden regelmäßig zwei weitere Texte im Zusammenhang mit Domninos angeführt. Es erschien notwendig, sie zu edieren, um ihre Bedeutung einzuschätzen und vor allem, um feststellen zu können, ob man sie überhaupt als Belege für Domninos heranziehen darf. Diese Editionen waren in jedem Fall wichtig (da die vorliegende Edition des einen Textes nicht alle erhaltenen Handschriften verwendete, und der andere Text zuvor völlig unediert war); aber ich konnte zeigen, dass diese Texte in keinem Zusammenhang zu Domninos stehen und als unecht angesehen werden müssen. Im Falle des authentischen Werks, des Encheiridions, konnte ich durch eine sehr detaillierte Analyse nachweisen, dass der einzige „euklidische“ Aspekt des gesamten Encheiridions darin besteht, dass einige Definitionen aus Nikomachos durch Definitionen aus den Elementen ersetzt wurden. Das ist aber nicht durchgängig der Fall; sowohl strukturell wie inhaltlich ist das Encheiridion viel näher an Nikomachos‘ Arithmetik. Und bei den Übernahmen aus den Elementen geht es um Definitionen, nicht um Methoden; im Encheiridion ist definitiv kein euklidische Methodik zu finden.

Was die Passagen bei Damaskios angeht, so konnte auch hier eine sorgfältige Analyse zeigen, dass die Darstellung des Domninos als besonders kompetenter Mathematiker nichts Ungewöhnliches ist, sondern vielmehr eine wiederkehrende Beschreibung, die Damaskios für Philosophen verwandte, die er in den erhabeneren philosophischen Disziplinen nicht für besonders kompetent hielt (und denen er nur Interesse an der Einsteigerdisziplin „Mathematik“ zuschrieb). All dies führt zu der Schlussfolgerung, dass es keinen Grund gibt, dem Domninos eine besondere Stellung zuzuweisen: Er war letztlich in jederlei Hinsicht ein ziemlich normaler spätantiker Philosoph.

 

Publikationen

Domninus of Larissa. Encheiridion and spurious works. Introduction, critical text, English translation, and commentary. – Pisa/Rome: Fabrizio Serra 2013, 279 pp. [= Mathematica Graeca Antiqua ; 2].

Uno scolio tardo-antico sulla rimozione di rapporti, fonte dello pseudo-Domnino. – In: Koinonia 38 (2014) 395-426. [zusammen mit F. Acerbi].