Exkursion nach Berlin
Die TeilnehmerInnen des Seminars „Stationen der polnischen Kunst“ besuchten zusammen mit Frau Prof. Dr. Raev vom 17. bis 18.12.2011 Berlin, um sich die Ausstellung „Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte“ im Martin- Gropius-Bau in Berlin anzusehen. Bei dem morgendlichen Treffpunkt am Bamberger Bahnhof sahen einige Augen noch nicht ganz wach aus, aber spätestens bei der Ankunft in der lebhaften Hauptstadt und während der darauffolgenden kleinen individuellen Stadttour von Frau Raev auf dem Weg ins Museum wurden alle aufgeweckt und waren gespannt auf die Zeitreise durch die polnisch-deutsche Kunst.
Als wir den Martin-Gropius-Bau in Berlin um 14 Uhr betraten, bekam jeder einen Audio-Guide in die Hand gedrückt und mit einem scherzhaften „Wir können uns Zeit lassen. Das Museum hat bis 20 Uhr geöffnet…“ gab Frau Raev den Startschuss für den Rundgang durch die 22 Säle, die in 10 Kapitel eingeteilt waren. Um den Museumsbesuch aufzulockern, hatten sich bereits zuvor alle TeilnehmerInnen der Exkursion einen Raum ausgesucht, über den sie den anderen interessante Hintergrundinformationen gaben und die dort ausgestellten historischen und zeitgenössischen Exponate vorstellten. Dies diente zum besseren Verständnis der 1000-jährigen wechselseitigen Beziehung zwischen Polen und Deutschland, die erstmals in einer Ausstellung dargestellt wurde.
Der Rundgang begann im ersten Raum mit einer Lichtinstallation des heiligen Adalberts und mit einem Gemälde von Richeza, die, aus Köln stammend, den späteren König Mieszko II heiratete und 1025 Königin von Polen wurde. Landshuter Hochzeit, Deutscher Orden, Internationale Gotik und „Polenbegeisterung“ von 1831, Zweiter Weltkrieg, Solidarność, EU-Beitritt – die gesamte Historie erschien uns in den unterschiedlichsten Darstellungsformen der Exponate vor Augen. Auch jene schreckliche Zeit zwischen 1939 und 1945, in der Deutsche Polen und seinen Bewohnern unendliches Leid zufügten, wurde in der Ausstellung thematisiert, etwa durch den Film „Der Kanal“ (1957) von Andrzej Wajda.
Ein bisschen heimatliches Flair bekamen wir auch zu spüren. In einem Raum wurden zwei Figurengruppen und eine Entwurfszeichnung zum Bamberger Altar des meisterlichen Bildschnitzers Veit Stoß präsentiert. Sie stammen aus seiner Nürnberger Periode (14. Jahrhundert) und geben ein lebendiges Zeugnis von der Virtuosität des Künstlers.
Im Lichthof des Martin-Gropius-Baus wurde die Geschichte des Deutschen Ordens auf polnischem Territorium thematisiert. Hier sahen wir unter anderem das beeindruckende Historienbild „Die Preußische Huldigung“ des polnischen Malers Jan Matejko aus dem Jahre 1882 und die gestickte Fassung von 2010 eines weiteren großformatigen, berühmten Werkes von ihm - „Die Schlacht bei Grunwald“ die zu einem identitätsstiftenden Moment der polnischen Geschichte wurde. 1410 brachte das polnisch-litauische Heer dem Deutschen Orden eine vernichtende Niederlage bei.
Total vertieft in die Geschichte und beeindruckt von den Zeugnissen der Kultur Polens und Deutschlands hatten wir auf unserem Rundgang nach fünf Stunden inklusive kurzer Kaffeepause erst die Hälfte der Ausstellungssäle gesehen. Daher blieb uns leider nur noch eine Stunde für die restlichen Räume, bis das Museum seine Tore schloss. Trotzdem waren sich am Ende des Tages alle einig, dass sich der Ausstellungsbesuch im Martin-Gropius-Bau auf jeden Fall gelohnt hat und wir gerne erneut hineingehen würden.
Am nächsten Tag trafen wir uns in der Mitte Berlins, Unter den Linden, in der Deutschen Guggenheim, für die der polnische Künstler Paweł Althamer eine Ausstellung „in progress“ konzipiert hat. Wir erlebten einen Ort der aktiven Produktion statt passiver Reflexion. Denn in der Ausstellungshalle wurden Gesichter ausgewählter Besucher abgeformt, danach auf Metallkonstruktionen befestigt und abschließend mit einer weißen Plastikmasse, aus der Kunststofffabrik gleichen Namens wie die Ausstellung „Almech“, die dem Vater von Paweł Althamer gehört, versehen. Die ausgewählten Teilnehmer durften selbst entscheiden und Hand anlegen, welches Metallgerüst ihr Körper bekommen soll, wie dieser geformt werden soll und wer oder was sie am Ende darstellen. So sahen wir einen Indianer, eine Meerjungfrau, einen Astronauten und ein Kind im Rollstuhl, das fliegen kann – sowohl Männer und Frauen, junge und alte Menschen. Die über die gesamte Ausstellungsfläche verteilten individuellen Skulpturen schienen wie von einer anderen Wirklichkeit zu träumen und verliehen dem Raum eine unheimliche Macht.
Anschließend ging es für uns weiter in die Akademie der Künste am Pariser Platz, direkt am Brandenburger Tor, wo wir die Ausstellung „FRAGMENT“ von Mirosław Bałka besuchten, die sich auf neun Videoprojektionen konzentrierte. Wie in all seinen Werken setzte er auch hier einen starken Fokus auf die kollektive Erfahrung der gebrochenen Geschichte Polens und die Verbrechen an der Menschheit im 20. Jahrhundert. In Bałkas Projektionen haben wir Gasflammenkränze oder zirkulierende Bilder von dem Konzentrationslager Majdanek, nahe Lublin gesehen, die Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen ansprechen. Sein Filmmaterial erfüllt nicht die Erwartungen eines Dokumentarfilmes, sondern blieb auch für uns rätselhaft und poetisch und machte uns nachdenklich.
Danach war der offizielle Teil der interessanten Polen-Deutschland-Exkursion in Berlin zu Ende, die uns unglaubliche Eindrücke von der Kunst aus Polen verschaffte. Einige Teilnehmer hatte das polnische Kunstfieber so sehr gepackt, dass sie noch, auf Frau Raevs Hinweis, in die Ausstellung „Der Stand der Bilder“ im Haus der Akademie der Künste am Hanseatenweg gingen. Dort waren Rauminstallationen, Videoarbeiten und Filme der Medienpioniere Zbigniew Rybczyński und Gábor Bódy zu sehen, die sich in Polen und Ungarn in der Tradition der ersten europäischen Avantgarde entwickelt haben.
Am Sonntagabend fuhr dann unser Zug zurück nach Bamberg und wir mussten Berlin leider wieder verlassen. Die Fahrt dorthin war auf jeden Fall eine Reise wert, denn die Hauptstadt bietet eine große Bandbreite an Kunst und wir haben viel über die Nachbarschaft zwischen Polen und Deutschland erfahren. Es hat sich wieder gezeigt: Kunst verbindet.