Dr. Martina Clemen – Stipendiatin am DFG-Graduiertenkolleg Göttingen – Dissertation

Stipendiatin am DFG-Graduiertenkolleg 1083 „Generationen-geschichte. Generationelle Dynamik und historischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert“

Betreuung:
Prof. Dr. Tobias Brandenberger (Universität Göttingen),
PD. Dr. Carlos Collado Seidel (Universität Marburg) und
Prof. Dr. Enrique Rodrigues-Moura (Universität Bamberg) (Dritter Prüfer)

Disputation: 2. Februar 2017 (Universität Göttingen)

Dr. Martina Clemen
»Die Nation im Kanon« Literaturvermittlung und Bildungspolitiken im spanischen 19. und 20. Jh.

Publikation: Clemen, Martina (2019). Die Nation im Kanon. Literaturunterricht als Bühne politischer Deutungskämpfe in Spanien 1898–1990. Göttingen: Wallstein Verlag.

Abstract
Das kulturgeschichtliche Promotionsprojekt untersucht die literarischen Kanonisierungs- sowie Dekanonisierungsprozesse im spanischen Bildungssystem seit der Etablierung der Zweiten Republik (1931). Die Behandlung spezifischer literarischer Werke im Unterricht, deren Ausschluss und insbesondere die sich wandelnden Bewertungen von Literatur – sichtbar in den sog. „Deutungskanones“ (Renate von Heydebrand, 1993) – werden hier aus einer generationentheoretischen Perspektive betrachtet: So wird davon ausgegangen, dass die Kanonisierungspolitik als Ganzes stets bestimmten politischen/kulturellen Generationen der spanischen Geschichte zugeschrieben werden kann, die durch ihre Interpretationen literarischer Werke auf die Weitergabe von Werten, Weltanschauungen und Aufträgen an die kommenden Generationen abzielen (Funktionalisierung von Literatur als Faktor des „Generation-building“ sowie des „Nation-building“).

Das Projekt fußt auf einer vielfältigen Quellenbasis: Schullehrwerke für Sprache und Literatur, curriculare Vorschriften, Rundschreiben der Bildungsministerien und pädagogische sowie kulturelle Zeitschriften spiegeln Werthaltungen sowie ideologische Intentionen der einflussreichen politischen Generationen als „Urheber“ dieses kulturellen Ordnungssystems wider. Sie können helfen, die verborgenen Mechanismen der Kanonisierungsprozesse sichtbar zu machen und die Bedingtheit von „Deutungskanon“ und „politischer Generation“ belegen.

Im Rahmen der Forschung soll neben einer diachronen Betrachtung der staatlichen, spanischen Kanonisierungspolitik auch der Frage nachgegangen werden, inwiefern regionale, evtl. konkurrierende Lektüre-Kanones im Bildungssystem auszumachen sind. Deswegen zieht das Projekt zusätzliches Quellenmaterial aus der autonomen Gemeinschaft Katalonien heran, das insbesondere im Zeitraum der Zweiten Republik (1931-1939) sowie ab der Transition (1978) Aufschluss über die Konstruktion nationaler sowie kultureller Identitäten geben kann. Beispielsweise stellt sich hinsichtlich der neuesten Kanonisierungspolitik die Frage, was genau der Begriff „spanischer Literatur-Kanon“ impliziert: Werden lediglich Werke als Pflichtlektüre im Unterricht aufgenommen, die in spanischer Sprache verfasst sind, oder findet auch eine Inklusion von katalanischsprachigen Werken statt? Eine konzise Analyse dieser Fragestellung nimmt damit gleichzeitig das Spannungsverhältnis von Regionalismus und nationaler Identität in den Blick.

Zum jetzigen Forschungszeitpunkt werden folgende -elitäre- politisch-kulturelle Generationen sowie „Generationseinheiten“ im Mannheimschen Sinn („Das Problem der Generationen“,1928) als wirkungsmächtige Agenten der literarischen Kanonisierung im Bildungssystem angenommen: Die Bewegung des Regenerationismus im ausgehenden 19. Jahrhundert mit der 1898er Generation, diejenige von 1914 um José Ortega y Gasset, die 1936er und ihre nationalkatholische Generationseinheit des frühen Franquismus (so bspw. Tovar und Laín Entralgo) sowie die Generationen des Umbruchs (ab den 1950er Jahren) und der mit der Spanischen Verfassung eingeleiteten Dezentralisierung des Landes (hier wird u.a. der Frage nachgegangen, inwiefern eine Existenz territorial distinkter „Generationseinheiten“ nachzuweisen ist).

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