Arbeitskreis »Nach den Diktaturen. Auswirkungen und Narrationen der Aufarbeitung in Lateinamerika«
31. Jahrestagung der Lateinamerikaforschung Austria
19. bis 21. Juni 2015 in Strobl am Wolfgangsee
Vom 19. bis 21. Juni 2015 fand in Strobl am Wolfgangsee (Österreich) die 31. Jahrestagung der Lateinamerikaforschung Austria statt, auf der Arndt Lainck und Katharina E. Scheffner von der Professur für Romanische Literaturwissenschaft/Hispanistik der Universität Bamberg zusammen mit Hans Fernández, Xaver Hergenröther und Georg Schendl von der Universität Graz den Arbeitskreis »Nach den Diktaturen. Auswirkungen und Narrationen der Aufarbeitung« geleitet haben. Bei der Jahrestagung der Lateinamerikaforschung Austria (LAF Austria) stellen sowohl etablierte Wissenschaftler*innen als auch Nachwuchswissenschaftler*innen aktuelle Forschungen zu Lateinamerika vor und treten miteinander in interdisziplinären Dialog. Die Tagung findet seit 1985 im Bundesinstitut für Erwachsenenbildung in Strobl am Wolfgangsee statt.
Der Eröffnungsvortrag am Freitagabend von Helmut Eger von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) stellte die Herausforderungen des Schutzes und der nachhaltigen Nutzung des brasilianischen Regenwaldes dar, bei der neben lokalen Akteuren sowohl die brasilianische Regierung als auch internationale Organisationen und Firmen unterschiedliche Interessen verfolgen. Anschließend konnten sich die Tagungsteilnehmer*innen in lockerer Runde näher kennenlernen.
Am Samstag begann der Arbeitskreis »Nach den Diktaturen. Auswirkungen und Narrationen der Aufarbeitung in Lateinamerika« mit einem Vortrag Georg Rosensteiners von der Universität Innsbruck, der über die konkurrierenden Opfererinnerungen in Las Cartas que no llegaron (2000) von Mauricio Rosencof (Uruguay) referierte. An traumatische Erinnerungen knüpfte auch Lena Kißmer in ihrem Vortrag über Cuentos en el exilio (2008) von Victor Montoya (Bolivien) an und stellte die Verknüpfung von Traum und Trauma in den Kurzgeschichten Montoyas in den Vordergrund ihrer Analyse. Izabel Fontes befaßte sich mit der Lücke der Erinnerung, der Abwesenheit des politisch aktiven Vaters im Leben der Tochter und deren Aufarbeitung innerhalb der Dokumentation Os dias com ele (2012) von Maria Clara Escobar. Um mögliche Dialogformen ging es auch in Ursula Arnings Vortrag über Conversación al sur (1981) von Marta Traba und La mañana (2010) von Luisa Valenzuela (jeweils aus Argentinien), in denen eine Auseinandersetzung mit Widerstand und Folter stattfindet. Patrick Eser konzentrierte sich auf die Kindergeneration der Diktatur in Argentinien, die sogenannten generación de l@s hij@s de l@s desaperecid@s (Generation der Kinder der Verschwundenen) und wie diese in sowohl literarischen als auch filmischen Werken mit ihrer zerrissenen Kindheit umgehen.
Der Nachmittag wurde durch Katja Seidel eingeleitet. Sie stellte ihre Feldforschung vor, in der sie die Gerichtsverhandlung gegen Benjamin Menéndez und Heriberto Albornos in Tucumán (Argentinien) verfolgt hatte und der Frage nach Gerechtigkeit als Aufarbeitungsstrategie nachging. Die Historikerin Fabiola Arellano untersuchte die Rolle der Wahrheitskommissionen bei der Gründung und Ausstellungskonzeption der »Erinnerungsmuseen« in Santiago (Chile) und Lima (Peru), die eine visuelle Aufarbeitung der Diktatur darstellen. Sarah Burnautzki untersuchte zwei Texte der chilenischen novela postdictorial, in der es vornehmlich um die Aufarbeitung einer fehlenden Erinnerung der Kindergeneration der chilenischen Diktatur ging. Auch Rebecca Weber widmete sich anschließend der chilenischen Diktatur, indem sie anhand des Romans Vaca Sagrada (1990) von Diamela Eltit untersuchte, inwiefern sich die Diktatur in den (weiblichen) Körper eingeschrieben hat.
Der Nachmittag wurde mit einer anregenden Diskussion über die zahlreichen Facetten der Diktaturaufarbeitung beschlossen. Am Abend bot sich ausreichend Gelegenheit, Diskussionen mit den Arbeitskreisteilnehmer*innen und anderen Tagungsteilnehmer*innen fortzusetzen. Den Abschluss der Tagung bildete am Sonntag eine Exkursion zu einem nahe gelegenen Biotop, dem Heiniteich.
(von Katharina E. Scheffner, Juni 2015)
Konzept des Arbeitskreises
Nach den Diktaturen. Auswirkungen und Narrationen der Aufarbeitung in Lateinamerika
Die meisten lateinamerikanischen Staaten hatten im Verlauf des 20. Jahrhunderts mit einer Diktatur zu kämpfen, mit deren Aufarbeitung Gesellschaft, staatliche Institutionen und Individuen bis heute beschäftigt sind. Im Umgang mit diesem oft blutigen Erbe haben die Gesellschaften Lateinamerikas teils ähnliche teils unterschiedliche Wege beschritten. Die öffentliche Diskussion darüber findet im Rahmen verschiedenster Medien und Bereiche statt, sei es in der Politik, der Presse, in der Zivilgesellschaft, in der Wissenschaft, im Film oder der Literatur. Die Aufarbeitung traumatischer Erfahrungen und eingeschränkter Freiheiten äußert sich in Zeiten der Demokratie in einer Erinnerungskultur, die differenziert betrachtet werden soll. Konkret möchten wir uns der gesellschaftlichen Praxis und ihren Diskursen während und nach der Diktatur aus mehreren Perspektiven nähern:
- Welche Auswirkungen hatte/hat die Diktatur auf gesellschaftliche Werte?
- Wie hat die Diktatur die heutigen gesellschaftlichen Strukturen geprägt?
- Wie wurde/wird Diktaturerfahrung narrativ und staatlich-institutionell aufgearbeitet? Welche Rolle spielen die Wahrheitskommissionen bei Narrationen über die Diktatur?
- Welche Unterschiede gibt es zwischen offiziellem Gedächtnis und individueller Erzählung?
- Wie werden Schmerz- und Gewalterfahrungen (narrativ) verarbeitet und wie beeinflussen sie nachgängige Metadiskurse?
- Welche Erinnerungskonzepte und -theorien sind wichtig für den Aufarbeitungsprozess und welche Auswirkung haben sie auf die Darstellung von Erfahrungen, die während der Diktatur gemacht wurden?
- Welche Rolle spielen Wissenschaftler*innen im Aufarbeitungs- und Erinnerungsprozess bzw. bei der Konstruktion von post-diktatorischer Wirklichkeit?
- Findet auch eine Aufarbeitung der oppositionellen Bewegungen statt?
- Wie geht die erste Generation, die nicht in der Diktatur aufwuchs, mit der Diktatur und ihren Konsequenzen um?
Vorträge Vormittag
Georg Rosensteiner
Clashes of memory?Holocaust- und Diktaturerinnerung in Las Cartas que no llegaron von Mauricio Rosencof
Lena Kißmer
“Quise salir del sueño, pero…” – Traum(a) und Tortur in Víctor Montoyas Cuentos en el Exilio
Izabel Fontes
A ditadura militar brasileira documentada como autofabulação: Os dias com ele
Ursula Arning
Literarische Zwiegespräche und Gespräch mit Gott: Zur Bedeutung vom Dialog zur Zeit der Diktatur in den argentinischen Romanen von Marta Traba und Manuel Puig mit einem Ausblick auf den zeitgenössischen Roman La mañana von Luisa Valenzuela
Patrick Eser
Die Darstellung politischer Gewalt und Bilder der guerrilla in der jüngeren argentinischen Erinnerungskultur
Vorträge Nachmittag
Katja Seidel
Wenn Geschichte vor Gericht steht. Zur Performativität der Gerechtigkeit im Gerichtssaal von Tucumán/Argentinien.
Fabiola Arellano
El rol de las Comisiones de la Verdad en la construcción de narrativas museales sobre el pasado: Un enfoque comparado
Sarah Burnautzki
Verschwiegene Erinnerungen, vieldeutiges Schweigen – Formen literarischer Aufarbeitung der Schweigens der Eltern in der jüngsten chilenischen novela postdictatorial
Rebecca Weber
Die Milch der ‚Heiligen Kuh‘: Körper und neoliberales Menschenbild der chilenischen Transition in Vaca Sacrada von Diamela Eltit.
Koordination
Hans Fernández, Xaver Hergenröther, Georg Schendl (Universität Graz)
Arndt Lainck, Enrique Rodrigues-Moura, Katharina E. Scheffner (Universität Bamberg)
Das Programm finden Sie hier(249.9 KB).