Lesung und Gespräch mit dem chilenischen Autor Hernán Valdés
Bamberger Vorträge zur Lateinamerikanistik
Bamberg, am Donnerstag, den 09. Juli 2015
Im Rahmen der Vorträge zur Lateinamerikanistik und des Seminars »Hernán Valdés und die literarische Aufarbeitung der chilenischen Diktatur« von Katharina E. Scheffner hielt Hernán Valdés eine sehr interessante Lesung zu seinem neuesten Roman Tango en el desierto (2010), die zugleich den krönenden Abschluss des Semesters darstellte. Ersprach in Bamberg bezüglich des aktuellen Forschungsprojekts »Schmerz und Empathie nach den Iberoromanischen Diktaturen: Narrationen, Filme und andere Kunstformen« der Professur für Romanische Literaturwissenschaft/Hispanistik über die notwendige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und gegen das Vergessen hinsichtlich der Traumaerfahrung und -verarbeitung der chilenischen Gesellschaft durch die Diktatur (1973–1989). Nach Aufenthalten in Spanien und England lebt Hernán Valdés heute in Kassel.
Hernán Valdés kam 1934 in Santiago de Chile zur Welt und veröffentlichte bereits 1954 seinen ersten Gedichtband. Er war im Milieu der Linksintellektuellen Santiagos integriert und kannte alle wichtigen chilenischen Schriftsteller und Dichter seiner Zeit, wie Pablo Neruda, Enrique Lihn und Teófilo Cid, persönlich. Seinen ersten autofiktionalen Roman Cuerpo Creciente veröffentlichte er 1966, in dem darauffolgenden Roman Zoom (1971) beschrieb er wiederum autofiktional seinen stipendiumsfinanzierten Aufenthalt im kommunistischen Tschechien. Nach seiner Rückkehr in Chile arbeitete er für die sozialistischen Cuadernos de la Realidad Nacional des Centro de Estudios de la Realidad Nacional der Universidad Católica, Santiago de Chile, und kam mit vielen Linksintellektuellen in Kontakt. Im Februar 1974 wurde er nach dem Militärputsch in Chile bei einer Hausdurchsuchung festgenommen und in eines der berüchtigten Folterlager Chiles gebracht. Im Anschluss an die einmonatige Haft verfasste er das Tagebuch Tejas Verdes (1974), welches bis heute als eines der wichtigsten Zeugnisse der chilenischen Diktatur gilt. Sein autofiktionaler, kritischer Roman über die Zeit rund um den Putsch A partir del fin (1981) isolierte Hernán Valdés von anderen (chilenischen) Linksintellektuellen und chilenischen Exilanten in Deutschland. Es folgten Historia subyacente (1984), Fantasmas literarios (2005) und 2010 wurde sein letzter Roman, Tango en el desierto, veröffentlicht, über welchen er in Bamberg sprach und zur Diskussion stellte.
In Tango en el desierto (2011) reflektiert Hernán Valdés die Lage der ehemaligen Regimegegner und ihre Anpassung an das System, nachdem er mit seinem Tagebuch Tejas Verdes (1974) seine Lagerhaft beschrieb und in seinem autofiktionalen Roman A partir del fin (1981) die Zeit rund um den Putsch kritisch beleuchtete.
Die Lesung begann mit dem Kapitel Tango en el desierto aus dem gleichnamigen Roman. Hernán Valdés beschäftigt sich in seinem letzten veröffentlichten Roman mit Politikern und Diktatoren des 20. Jahrhunderts, unter ihnen Juán Perón, Francisco Franco und Benito Mussolini. Den Handlungsrahmen bilden eine fiktive Wüste mit fiktivem Gefangenenlager, in dem sich die politischen Gefangenen beginnen, mit der Situation zu arrangieren. Der namenlose Protagonist nähert sich emotional und körperlich einer geheimnisvollen Baronin an, die im früheren Leben Tangosängerin war und mit ihren Verführungskünsten ihren Mann dabei unterstützt hat, Waffen zu verkaufen. Der Roman stellt wichtige Fragen zu Moral und Krieg, interessante Punkte an welchen es gilt anzuknüpfen. Über die Auswirkungen der lateinamerikanischen Diktaturen bzw. den Aufarbeitungsprozessen in den jeweiligen Gesellschaften hatten die Studierenden im Seminar reichlich diskutiert, so dass an Vorwissen und vorherige Debatten innerhalb der Lesung angeschlossen werden konnte.
Nach der Lesung des Kapitels stellte sich Hernán Valdés den Fragen des Plenums, schreckte aber auch nicht zurück, selbst Fragen an sein Publikum zu richten. Es fand ein interessierter Austausch statt. Das Leitmotiv des Romans, den Tango, wählte Hernán Valdés, um elegant Problematiken ansprechen zu können, ohne diese direkt zu benennen. So diskutierte man über den Roman hinaus auch persönliche Fragestellungen wie etwa Lieblingsautoren oder aber auch Hernán Valdés Meinung über das heutige Chile. Er kritisierte die chilenische Politik harsch und die Beständigkeit der Verfassung aus der Diktatur.
In Bamberg stellte Valdés die Reflexion über Chile heute in den Mittelpunkt, natürlich auch in Bezug zu seiner persönlichen Lebensgeschichte, was besonders für die Studierenden eine Bereicherung und Abrundung des Seminars darstellte. Die Lesung und Diskussion mit Hernán Valdés bot eine persönliche und subjektive Sicht auf den Alltag und das Leben während der Militärdiktatur in Chile, was die Studierenden sichtlich beeindruckte und hoffentlich zu weiterem Engagement anregen wird.
(von Caroline Drebinger, Juli 2015)