Gastvortrag Prof. Dr. Diego Navarro Bonilla (Universidad Carlos III de Madrid)
»Paleografía, caligrafía e inspiración visual en Europa: tradiciones y modernidades hispánicas«
Bamberger Vorträge zum Literatur- und Kulturtransfer
Am 21.10. lud die Professur für Romanische Literaturwissenschaft/Hispanistik zum Gastvortrag »Paleografía, caligrafía e inspiración visual en Europa: tradiciones y modernidades hispánicas« von Professor Dr. Diego Navarro Bonilla ein. Der Vortrag fand im Rahmen der Bamberger Vorträge zum Literatur- und Kulturtransfer statt.
»Wenn ich kalligraphisch arbeite, findet eine Kommunikation statt, ein wortloser Dialog mit Papier, Tinte und Feder«. Prof. Navarro Bonillas Leitprinzip offenbarte gleich zu Beginn des Vortrages seine Leidenschaft für die Kunst der geschriebenen Schrift. Kalligrafie dient hierbei aber einem weiteren Schwerpunkt seiner Arbeit: der Paläografie, der Lehre von alten Schriften.
Verschiedene Textbeispiele machten den Anwesenden bewusst, wie schwierig es für Ungeübte ist, historische Schriften zu lesen. Neben komplizierten Schriftbildern stellen auch heutzutage ungebräuchliche Abkürzungen Hürden für den Leser dar. Um die fachliche Kompetenz seiner Studierenden des Archivwesens zu schulen und ihnen den Dialog mit Papier, Tinte und Feder zu ermöglichen, vertritt Prof. Navarro Bonillas Lehre eine spezielle Didaktik: praktisches Arbeiten statt passivem Beschreiben. Denn nur in der praktischen Auseinandersetzung findet der Lernende den direkten Zugang zu historischen Schriften und versteht durch die eigene Erfahrung, welche Praxis zum Erscheinungsbild geführt hat. Nur wer selbst mit Feder und Tinte arbeitet, ist auch in der Lage, sich in den originalen Schreiber und dessen Epoche hineinzuversetzen. Eine unabdingbare Grundvoraussetzung, um auch schwierige historische Texte zu entziffern.
Tatsächlich kann das geschulte Auge aus dem Schriftbild selbst eine Vielzahl historisch relevanter Erkenntnisse ablesen. Hierbei hilft das historische Schriftbild vor allem bei der Datierung von Textquellen. Seit den Anfängen der Schriftkultur haben sich die Schriftbilder kontinuierlich weiterentwickelt und epochenspezifische Schriftstile ausgebildet. Der Stil variiert dabei nicht nur chronologisch, sondern auch regional, wodurch einem Text nach seinem Schriftbild ergänzend sein Ursprung zugeordnet werden kann. Es sind die kleinen Details, die hierfür wertvolle Informationen liefern. Wer sich nicht intensiv einarbeitet und selbst ausprobiert, dem bleiben solch differenzierte Unterschiede verschlossen.
Eine außerordentliche Kenntnis des Materials ist daher wichtig, um die Entstehung und Entwicklung von Schriftbildern und der darin verfassten Texte nachvollziehen zu können. Für Prof. Navarro Bonilla führt deshalb kein Weg am praktischen Arbeiten vorbei.Feder sei nicht gleich Feder, Papier nicht gleich Papier. Das Ergebnis variiert gemäß dem Strich der Feder. Dicke und Abschrägung der Federspitze, Federdruck und Winkel, in dem die Federn gehalten werden, ja sogar die Beschaffenheit des Papiers wirken sich aus: ganz praktische Kenntnisse, die durch das Nachvollziehen der damals gängigen Praxis beim Entziffern ungemein helfen können.
Mit Hilfe von Fotografien konnte Prof. Navarro Bonilla überzeugend darstellen, dass jedes Schriftbild über seine eigene Identität verfügt, die beim Lesen bestimmte Emotionen auslösen: »Jeder Buchstabe transportiert ein Gefühl«. Dies wurde auch an Fotografien von Schriftzügen deutlich, bei denen der Schrifttyp sich gerade nicht in den Verwendungskontext fügt. Das Auslösen von Emotionen durch Schrifttypen machen sich aber auch heute noch Grafikdesigner zunutze. Mit Schriftbildern wird eine gewünschte Identität aktiv konstruiert. Gute Beispiele hierfür sind die Schriftzüge von Irish Pubs, die durch gälische Buchstaben nationale Identität vermitteln sollen. So finden Grafikdesigner auch rückwirkend in alten Schriften Inspiration für aktuelle Arbeiten. Kalligrafie und Paläografie sind also nicht nur historische Disziplinen, sondern bleiben relevant.
(von Felicia Bayrhof, Oktober 2014)