Gastvortrag Dr. Arndt Lainck (Georg-August-Universität Göttingen)
»Der Schmerz bei Bolaño«
Bamberger Vorträge zur Lateinamerikanistik
Im Rahmen der Bamberger Vorträge zur Lateina-merikanistik hielt Literaturwissenschaftler Dr. Arndt Lainck (Georg-August-Universität Göttingen) am Abend des 13. Mai einen Vortrag zum Thema »Der Schmerz bei Bolaño«. Zu diesem von der Professur für Romanische Literaturwissenschaft mit Schwerpunkt Hispanistik organisierten Gastvortrag fanden sich zahlreiche Hörer und Hörerinnen ein.
Thema des Gastvortrages vom 13. Mai 2014 war das Motiv des Schmerzes in den Werken des chilenischen Autors Roberto Bolaño, wobei besonderes Augenmerk auf dessen mehr als 1100 Seiten umfassendem Werk 2666 lag. Gastdozent Dr. Arndt Lainck studierte in Konstanz und Granada, bevor er an der Georg-August-Universität Göttingen zu Las figuras del mal en 2666de Roberto Bolaño promovierte; sein Forschungsinteresse gilt aktuell besonders dem Phänomen der Zeit in der Literatur.
Zum Einstieg versuchte Dr. Lainck das Phänomen des Schmerzes, welches wohl allen Menschen bekannt ist, näher zu definieren und vor allem zu konkretisieren. »Schmerz und Glück fließen aus derselben Quelle«. Mit diesem Zitat aus Retrato de un hombre inmaduro von Luis Landero zeigt der Gastdozierende, dass Schmerz und Glück nahe beieinander liegen, dass die Empfindung von Schmerz gar als Kontrast zu Glück angesehen werden kann. Schmerz macht den Menschen unvollkommen und Schmerzempfindung zeigt an, dass etwas nicht stimmt. Dennoch und auch trotz der Tatsache, dass der Mensch an sich nach Gefühlsoptimierung strebt, kann er Schmerz bewahren, also nicht davor zurückschrecken und aus seiner Bewusstmachung moralische Impulse ableiten.
Arndt Lainck setzte seinen Vortrag fort, indem er die Biographie des chilenischen Autoren umriss: Roberto Bolaño (1953-2003) – in seiner Jugend nach Mexiko emigriert – feierte seinen Durchbruch mit dem Werk Los detectives salvajes, für das er den wichtigsten Literaturpreis Lateinamerikas, den »Premio Rómulo Gallegos«, gewann. Sein Opus magnum 2666, welches 2004 erst posthum erschien, hatte er aufgrund langjähriger Krankheit zuvor sozusagen bereits im Wettlauf mit dem Tod verfasst; 2003 erlag er schließlich einer Leberzirrhose. Besonders geprägt hatte ihn eine Reise durch Lateinamerika, die er einst unternahm und bei der er selbst die Ohnmacht angesichts der Diktatur Pinochets in Chile aufgrund seiner unschuldigen Verhaftung ebendort am eigenen Leibe erfuhr; es war unter anderem dieses Ereignis, welches ihn dazu bewegte, eine Art Bewusstsein für die Ungerechtigkeit in der Welt weitergeben zu wollen, das in seinen Werken zum Ausdruck kommt.
Im Anschluss ging es nun en particulier um Bolaños Œuvre, unter anderem um sein fünfbändiges Hauptwerk 2666, bei dem der vierte Band klar im Fokus steht; in diesem geht es um eine Reihe von Frauenmorden in der mexikanischen Stadt Ciudad Juárez ‒ im Roman Santa Teresa genannt ‒, die allegorisch für eine allgemeine Fehlentwicklung des Menschen stehen und somit den Roman zu einem verstörenden und zugleich mahnenden Beispiel für das Funktionieren der Gesellschaft in der Moderne und Postmoderne machen. Durch seine stumme, fast monotone Darstellung der Morde und somit des Schmerzes zeigt Bolaño, dass es sich um ein gesellschaftliches Problem handelt; die Gesellschaft kehrt die Geschehnisse unter den Teppich, um sich nicht dem Blick in den Spiegel stellen zu müssen. Dieses Unglück gründet gemäß Nietzsche auf einer inneren Spaltung des Menschen, einer Spaltung von Körper und Geist. In dieser daraus folgenden moralischen Verwaistheit liegt es nun schließlich am Menschen selbst, sich Sinn zu geben. Der Schmerz – an sich ohne Selbstzweck – erfüllt jedoch eine Funktion als »Nachrichtengeber«; das Gefühlte und Erlittene soll sozusagen als Nachricht aufbewahrt werden, einerseits damit andere daraus lernen können und auch andererseits einfach um des Schmerzes willen an sich, da er nicht umsonst gewesen sein soll. Neben dieser Funktion fungiert der Schmerz ebenso als eine Art »Geschichtenerzähler«, wie der Gastdozent an einem Exkurs zu Bolaños Estrella distante veranschaulichte. Er erzählt die Geschichte des Zusammenbruches der Ordnung und zeigt auf, dass letztlich alles Leben im Schmerz endet. »Jeder Mensch wird zum Schmerz geboren und bereits in der Geburt besteht Gefahr zu sterben«, untermalte Lainck dies mit einer kurzen Passage aus 2666.
Dr. Lainck schließt zusammenfassend mit folgendem Zitat aus Bolaños Hauptwerk: »Diese Gedanken oder Gefühle oder Phantastereien hatten aber auch eine erfreuliche Seite. Sie verwandelten den Schmerz der anderen in die Erinnerung eines Einzelnen. Verwandelten den Schmerz, den lange währenden, natürlich und stets siegreichen Schmerz, in eine einzelne Erinnerung, die menschlich ist und kurz und sich irgendwann davonstiehlt. Verwandelten eine barbarische Geschichte von Ungerechtigkeiten und Übergriffen, ein zusammenhängendes Geheul ohne Anfang und Ende, in eine gut strukturierte Geschichte […] Verwandelten das Chaos in Ordnung, wenngleich um den Preis dessen, was man gemeinhin Vernunft nennt«.
(von Florian Lützelberger, Mai 2014)