Gastvortrag des Komponisten José María Sánchez-Verdú (Spanien)
»Der Klang von Literatur: eine Annäherung an Juan Goytisolo und Carlos Fuentes«
Bamberger Vorträge zu Literatur- und Kulturtransfer
Bamberg, am Dienstag, den 22. April 2015.
Thema des Gastvortrags vom 22. April 2015 war der Klang von Literatur, genauer gesagt, Literaturadaptationen für das Musiktheater, die aus der Zusammenarbeit des Komponisten José María Sánchez-Verdú mit den Autoren Juan Goytisolo und Carlos Fuentes entstanden sind: die Opern Reise zum Vogel Simorgh und Aura. Sánchez-Verdú war im vergangenen Jahr einer der sechs spanischen Stipendiaten des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg und lebt zurzeit in Berlin und Madrid. Der Träger des »Premio Nacional de Música« (2003) befasst sich in seinen Stücken nicht nur mit Musik, sondern arbeitet in seine Kompositionen auch mit Elementen aus der Architektur und Literatur.
Die aktuellen Tendenzen im Musiktheater der Moderne und Postmoderne sieht Sánchez-Verdú ganz allgemein als Spannungsfeld verschiedener Kunstformen. Die Oper habe sich längst alter Vorschriften entledigt und geht weit über die ehemals bindenden drei aristotelischen Einheiten hinaus. So sind heute nicht einmal mehr Personen als Protagonisten nötig und sogar das Vorhandensein von Text sei kein grundlegendes Merkmal der Oper mehr, genauso wenig wie ein Libretto. Als Beispiel führte er sein eigenes Werk GAMMA. Gärten der Schrift an, ein Stück über Literatur und Schrift, das ganz ohne Text, Sänger oder Kostüme auskommt. Jeder Gast im Publikum bekommt bei diesem Stück ein Buch vorgelegt, indem die gehörte Musik mit anderen Kunstformen verknüpft wird anstelle eines Fließtexts, um ein alternatives Konzept von Schrift in dem Stück zu etablieren.
Im Anschluss berichtete der Komponist über seine Kollaboration mit Juan Goytisolo, auf dessen Textgrundlage Las virtudes del pájaro solitario das Stück El viaje a Simorgh entstand (uraufgeführt 2007 in Madrid im Teatro Real). Der Stoff basiert auf der »Konferenz der Vögel«, einem mystischen Gedicht von Attar, das zu den bedeutendsten Werken der persischen Literatur zählt. Es handelt von der allegorischen Wallfahrt von Tausenden von Vögeln aus aller Welt, die auf der Suche nach einem idealen König sind – dem Vogel Simurgh – und beschreibt die beschwerliche Reise, die sie auf sich nehmen, um ihn zu finden. Übrig bleiben am Ende dreißig Vögel, die am Reiseziel erkennen müssen, dass sie selbst der gesuchte König sind. Der persische Name des Königs »Simurgh« bedeutet, getrennt geschrieben (»si murgh«) 30 Vögel. Bei diesem Stück ging es Sánchez-Verdú vor allem um die intertextuelle und interkulturelle Komponente. El viaje a Simorgh sei eine Art Palimpsest, da auch Intertextualität als Überlagerung alter Texte gewertet werden könne. Nicht alle Elemente der Oper müssen dabei vollends verstanden werden, da die Wahrnehmung im Vordergrund stehen soll. Die Linearität des Stückes wird dabei zweitrangig, da die Oper auch nicht semantisch geschlossen sein muss, wenn sie sich als erzählerisch-musikalisches Zickzack inszeniert.
Neben Juan Goytisolo hat José María Sánchez-Verdú auch bereits mit dem mexikanischen Schriftsteller Carlos Fuentes zusammengearbeitet, woraus das Bühnenstück Aura entstanden ist nach der gleichnamigen Textgrundlage. Dieses wurde zwar bereits zuvor in Mexiko als Musiktheaterstück adaptiert, Fuentes war aber aufgrund einiger inhaltlicher wie formeller Ungereimtheiten mit dem Ergebnis nicht sehr glücklich und beauftragte schließlich Sánchez-Verdú mit einer neuen Version von Aura. Nur zehn Instrumentalisten sind in der Oper vertreten, die von den auf Gongs schlagenden Protagonisten unterstützt werden, deren Stimmen darüber hinaus – mithilfe moderner Technik –im gesamten Raum verteilt werden können. Die Aura wird somit auch zu einem akustischen Element und visuell unterstrichen: schlägt einer der Protagonisten auf einen Gong, so wird die Bewegung, die die Schallwellen auf dem Wasser auslösen, im Hintergrund zusätzlich auf eine Leinwand projiziert. Inhaltlich ist die Oper ein Spiel mit Identitäten. Die drei bzw. vier Protagonisten – einer von ihnen ist bereits tot – bemerken nach langem Hin und Her, dass sie eigentlich jeweils zwei Identitäten in sich vereinen: die junge Frau ist gleichzeitig eine alte Dame, der Jüngling Felipe gleichzeitig deren verstorbener Ehemann. Das Stück ist ein Zusammenspiel von Erotik, Nekrophilie und einer beklemmenden Grundstimmung, die über der gesamten Handlung liegt.
Die Zusammenarbeit mit zwei der wichtigsten spanischsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts war in den Worten Sánchez-Verdús nicht nur von enormer Bedeutung für seine Karriere, sondern die Auseinandersetzung mit der Literatur selbst habe ihn um eine Dimension bereichert, die er aus der reinen Arbeit mit Musik nicht hätte ziehen können
Dieser Gastvortrag bildete den Abschluss der Stipendiaten-Vortragsreihe, die die Professur für Romanische Literaturwissenschaft/Hispanistik in Kooperation mit dem Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia im Rahmen des Spanien-Jahresschwerpunkts (2014-2015) organisiert hat.
(von Florian Lützelberger, April 2015)