Vortrag von Marc Puszicha, M.A.
Bamberger Vorträge zu Iberian Studies
»Das Kino der spanischen ‘Transition’ (1975-1982)«
Im Rahmen der Bamberger Vorträge zu Iberian Studies der Professur für Romanische Literaturwissenschaft mit Schwerpunk Hispanistik fand am 05. November 2019 ein weiterer Gastvortrag von Marc Puszicha, M.A., statt. Er referierte in Prof. Dr. Enrique Rodrigues-Mouras Lehrveranstaltung Die spanische »Transición« über das Kino in und über diese Zeit. Marc Puszicha promoviert derzeit an der Universität Bamberg mit einer Arbeit zu Historizität und Vergangenheitsbewältigung im spanischen Kino. Er studierte an der Universität Mainz Filmwissenschaft und Mediendramaturgie und setzt sich schwerpunktmäßig mit Kinematographien aus dem hispanophonen Sprachraum, psychoanalytischer Filmtheorie und allegorischen Strukturen im Film auseinander. In seinem Vortrag thematisierte er besonders die politische Kraft der Filme nach Francos Diktatur, die trotz Zensur letztendlich großen Einfluss auf Politik und Gesellschaft hatten.
Nach einer kurzen Einführung durch Prof. Dr. Rodrigues-Moura, begann Puszicha seinen Vortrag mit einer geschichtlichen Einordnung. Dabei hob er besonders den formalen Unterschied des Kinos der spanischen »Transition«, das sich ab Mitte der 70er Jahre mit der Gesellschaftssituation nach Frankos Tod und dem Weg zur Demokratie beschäftigte, im Vergleich zu Filmen des Endes des Franquismus hervor. Dieser bestehe vor allem in der Verbindung dokumentarischer und fiktionaler Strategien. Der kinomatographische Übergang und der lange Weg zur Demokratie sind außerdem eng verbunden mit der Wiedergewinnung der künstlerischen Freiheit, die lange zensiert wurde, was Puszicha anhand von vier Filmen beispielhaft erörterte.
Alle vier Filme hatten einen historischen Hintergrund. Nach einem inhaltlichen Überblick und der Klärung der Figurenkonstellationen ging Puszicha jeweils genauer auf bestimmte Schwerpunkte und Parallelen der Filme ein. So setzt sich der Dokumentarfilm El Desencanto vor allem kritisch mit einer autoritären Vaterfigur auseinander, wobei der gescheiterte Versuch der Hinterbliebenen neu anzufangen und mit der Vergangenheit abzuschließen im Fokus steht. Der Film dreht sich um den franquistischen Dichter Leopoldo Panero und dessen Familie, die vor allem psychisch unter ihm litt, was bis zu einem Selbstmordversuch des zweiten Sohnes führte. Puszicha verwies dabei besonders auf die Artifizialität der »historia official« der Familienmitglieder und die Parallele zur Diktatur, deren Hinterlassenschaft kaum zu bewältigen ist. Anhand eines Filmausschnitts zeigte er außerdem, wie die Position der Protagonisten innerhalb der Familie durch Mise en Scène visuell veranschaulicht wird. So ist die Position der Söhne an der Seite der Mutter in der jeweiligen Einstellung dieselbe und der Friedhof ein Symbol für Leopoldo Marías Scheitern.
Dass es Parallelen in der Vorgehensweise der jeweiligen Protagonisten der Filme gibt, verdeutlichte Puszicha mit einem Film des Regisseurs Manuel Gutiérrez Aragón aus dem Jahr 1977, Camada Negra. Die Premiere des Films wurde trotz Abschaffung der Filmzensur in Spanien unter Suárez im April 1977 um einige Monate verzögert und erst zeitgleich mit der Veröffentlichung eines Dekrets zum Ende der Zensur im November desselben Jahres freigegeben. Gleiches traf auch auf andere verbotene Filme zu, die erst in diesem Monat veröffentlicht wurden. Grundlage des Films ist das Blutbad von Atocha im Januar 1977. Er behandelt das Fortbestehen faschistischer Ideologien während der Demokratiebestrebungen und die Wurzeln der Verklärung des spanischen Bürgerkrieges. Puszicha hob hier besonders die auftauchenden Themen Rache, Geheimhaltung und Opfergabe hervor, sowie das für das spanische Kino typische »ödipale Narrativ« eines abwesenden Vaters und einer dominanten Mutter. In der coming of age-Geschichte geht es um die Konstruktion von Identität des jungen Tatín in einer klandestinen Gruppe gewaltbereiter Aktivisten und den Verlust von Unschuld. Ein Filmausschnitt sollte auch hier zum Nachdenken anregen.
Der dritte vorgestellte Film, El Diputado (1978), dreht sich um das Leben in Marginalität durch Homosexualität, basierend auf der 1970 verabschiedeten überarbeiteten Version eines spanischen Gesetzes, das Homosexualität illegalisiert und erst 1978 außer Kraft gesetzt wurde. Puszicha zeigte hierzu einen Filmausschnitt, in dem sich der Protagonist selbst zu dieser Problematik äußerte. Der Film spielt im Kontext der politischen Legalisierung der kommunistischen Partei durch Suárez, auf Nachdruck des aus dem Exil zurückgekehrten Generalsekretärs Carrillo, was vor allem bei Konservativen und Militär Bestürzen auslöste. Der Film selbst handelt von einem verheirateten spanischen Politiker der linken Partei, der aufgrund seiner Homosexualität ein Doppelleben führt und von einem Prostituierten, den seine faschistischen Gegnern auf ihn angesetzt haben, verführt wird. El Diputado kann im Kontext der Protestbewegung des »Movimiento español de liberación sexual«, einer spanischen Organisation zur Verteidigung der Rechte von LGTBQ-Gruppen, als Versuch verstanden werden, auf die Probleme Homosexueller in der spanischen Gesellschaft aufmerksam zu machen. Im Vortrag bedeutend hervorgehoben wurde die Verwendung von Handkameras und Archivmaterial, wodurch die dokumentarische und fiktionale Ebene, wie in El Desencanto, verbunden wird. Der Referent bezeichnete den Regisseur als »spanischen Fassbinder«, da er Homosexualität und soziopolitische Themen verbindet, was die Filme von Eloy de la Iglesia der 70er Jahre auszeichnet.
Zuletzt ging Puszicha auf den Film El Crimen de Cuenca (1980) ein, der einen realen Justizirrtum der 1920er aufgreift und implizit auf die zeitgenössische Anwendung von Folter verweist. Der Film sollte eigentlich im Dezember 1979 ins Kino kommen, bekam aber aufgrund von Entsetzen des Kulturministeriums über die Folterszenen und die negative Darstellung der Guardia Civil keine Vorführlizenz in Spanien. Dennoch wurden Kopien des Films ins Ausland geschmuggelt und auch dieser Film illegal auf der Berlinale gezeigt, woraufhin sich Regisseurin Miró dem Militärgericht stellen musste. Letztendlich ist die Abschaffung einiger Artikel des Militärkodexes, welche als Überbleibsel der Franco-Diktatur die Meinungsfreiheit einschränkten, aber diesem Film zu verdanken. Dies erklärte Puszicha wieder anschaulich anhand einiger Filmszenen. Er verwies dabei weiter darauf, dass die beiden Drehbuchautoren Lola Salvador und Juan Antonio Porto aufgrund von verschiedenen Vorstellungen zwei unterschiedliche Fassungen eingereicht hatten. Produzentin Pilar Miró entschied sich daraufhin zuerst für Salvador, die die Geschichte als Statement gegen Folter erzählen wollte, zog Porto dann aber aufgrund seiner historischen Kenntnisse später als Berater für die finale Drehfassung hinzu.
Abgeschlossen wurde der Vortrag mit einer anregenden Diskussion, bei der es besonders um den Unterschied zwischen Polizei und Guardia Civil, deren unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche und Image in der spanischen Gesellschaft ging. Prof. Dr. Rodrigues-Moura berichtete, dass die Guardia Civil besonders zu Beginn des 20. Jahrhunderts gefürchtet gewesen sei, sich das Image in den letzten Jahrzehnten der Demokratie aber gewandelt habe.
Anhand der vier Filmbeispiele machte Marc Puszicha deutlich, wie strategisch ähnlich das Kino der spanischen »Transition« war und welchen wichtigen Beitrag Filme zu Gesellschaft und Geschichte leisten können. Die Werke spiegeln nicht nur den schwierigen Weg in die Demokratie wider, sondern setzen sich insbesondere mit kontroversen Themen auseinander, um die künstlerische Freiheit zu bestimmen.
(von Franziska Hillebrand, November 2019)