Gastvortrag von Benito Bermejo (Investigador independiente)
»Entre historia y memoria. Guerra de España, exilio y españoles en los campos nazis«
Bamberger Vorträge zu Iberian Studies
Benito Bermejo ist gelungen, was nur in den seltensten Fällen Historikern vergönnt ist. Durch die Aufdeckung des Betrugs des prominentesten spanischen KZ-Überlebenden im Jahr 2005 hat Bermejo nicht nur ein Stückchen Zeitgeschichte geschrieben, sondern auch noch den Stoff für Javier Cercas’ Roman El impostor (Der falsche Überlebende, Fischer Verlag, 2017) geliefert, der 2016 mit dem Preis des Europäischen Buches ausgezeichnet wurde. In Bamberg schilderte Bermejo die verschlungenen Hintergründe dieser Entdeckung.
Als der Zweite Weltkrieg anfing, hatte Spanien gerade erst seinen Bürgerkrieg beendet. Franco war damit beschäftigt, seine Diktatur zu etablieren, und ließ sich trotz ideologischer Verbundenheit mit Hitler nicht auf eine direkte Beteiligung an dem neuen Konflikt ein. Nach Francos Tod und Spaniens Übergang zur Demokratie dauerte es allerdings noch bis zur Regierung Zapateros, bis die spanischen Opfer des Zweiten Weltkriegs langsam ins kollektive Gedächtnis des Landes vordrangen. Ausgerechnet die zwei bekanntesten Fälle von spanischen KZ-Überlebenden, entpuppten sich aber als erfunden. Nichtsdestotrotz gab es Spanier, die auf republikanischer Seite zunächst vor Franco nach Frankreich fliehen mussten, und schließlich durch ihre Verpflichtung in Hilfsbrigaden der französischen Armee in Gefangenschaft gerieten.
Seit 1940 finden sich Spanier beispielsweise auf den Listen des KZ Mauthausen, die aus anderen Kriegsgefangenenlagern dorthin verlegt wurden. Bermejo zeigte den Brief einer Frau aus dem Jahr 1964 aus dem andalusischen Puerto de Motril, die sich an eine Organisation für vermisste Personen wendet und benachrichtigt wurde, dass sich ihr Sohn auf den Listen von Mauthausen befindet. 14 weitere solch später Fälle hat Bermejo in Archiven aufgespürt, was außergewöhnlich ist, da überlebende Häftlinge die Lagerlisten bereits ausgewertet hatten und Hinterbliebene idealerweise kontaktiert wurden. Trotz der berüchtigten bürokratischen Akribie der deutschen Vernichtungsmaschinerie wurden spanische Namen aber zum Teil falsch erfasst, wie das Beispiel eines Joaquín Salvo Bellmunt illustriert, dessen Töchter sich 1960 vergeblich an die Spanische Gesellschaft für Politische Häftlinge (FEDIP) in Paris gewandt hatten. Erst 2011 erfuhren die Hinterbliebenen, dass ihr Vater fälschlich als Joaquín Vermut Salvo erfasst wurde und im Dezember 1941 in einer Gaskammer in der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz ermordet wurde.
Mauthausen war ursprünglich nicht als reines Vernichtungslager, sondern als Arbeitslager zur Vernichtung durch Arbeit konzipiert. Wenn Häftlinge wegen auszehrender Arbeit, Unterernährung und fehlender ärztlicher Betreuung im Durchschnitt nur 3 bis 5 Monate überlebten, warum dann also der zusätzliche Abtransport zum Schloss Hartheim? Nachdem die sogenannte „Aktion T4“ zur systematischen Ermordung von Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen 1941 kurzzeitig ausgesetzt wurde, nahmen Häftlinge aus Mauthausen ihren Platz ein, was vermutlich als erster Versuch der Experimentierphase zur späteren Endlösung gewertet werden kann. Die vom Reichssicherheitshauptamt als „Rotspanienkämpfer“ bezeichneten spanischen Kriegsgefangenen waren also nicht Teil des Holocausts, hatten aber durch den Aufenthalt in KZs, wie dem von Mauthausen, sicherlich Berührungspunkte mit der Schoah.
Da ab dem Sommer 1942 die Lager auf Kriegsproduktion umgestellt wurden, stieg ab diesem Zeitpunkt auch wieder die Überlebenschance der Häftlinge. Etwas mehr als 2000 überlebende Kriegsgefangene wurden nach 1945 nach Frankreich rückgeführt, die nun wesentlich großzügiger aufgenommen wurden als noch 1939, als etwa eine halbe Millionen Menschen unter anfangs sehr harten Bedingungen in Auffanglagern leben mussten, zum Teil am Strand ohne Trinkwasser, mit sehr eingeschränkten Möglichkeiten, sich im Land zu bewegen. Ungefähr 100 Überlebende blieben in Österreich. Von all dem erfuhr man in Spanien indes recht wenig und auch nach Francos Tod musste dieser Teil der Geschichte noch als praktisch vergessen gelten.
Als Spanien schließlich erstmalig offiziell Teil der Gedenkfeierlichkeiten zur Befreiung vom Faschismus wird, steht der charismatische Enric Marco als KZ-Überlebender kurz vor seinem großen Moment. Bermejo stellte Unstimmigkeiten in der von Marco nur allzu gerne vorgetragenen Leidensgeschichte als Überlebender des Stammlagers Flossenbürg in der bayrischen Oberpfalz fest und wunderte sich, dass Marco als jemand, der viele öffentliche Vorträge hält, ausgerechnet mit ihm als Spezialist auf dem Gebiet nicht reden mochte. Tatsächlich gelang es Bermejo festzustellen, dass Marco auf keiner der Listen steht, allerdings auf einer anderen auftaucht, einer Freiwilligenliste von Spaniern, die sich unter Franco als Facharbeiter für die deutsche Kriegsindustrie entsenden lassen konnten und Marco als Arbeiter auf einer Kieler Werft bis 1943 auswies.
Bermejo verfasste daraufhin einen kleinen Bericht mit Belegen, um die zuständigen staatlichen Behörden darauf aufmerksam zu machen, wen sie da für die spanischen Opfer sprechen lassen. Ohne eine direkte Antwort zu bekommen, fliegt der Skandal dennoch auf und Marco räumt ein, gelogen zu haben, verklärt seine Geltungssucht jedoch zu einem pädagogischen Dienst: da die Geschichte nun mal eine trockene Materie sei, habe er nur einen Beitrag leisten wollen, das Bewusstsein für die Opfer ins öffentliche Gedächtnis zu rufen. Daher verwundert es auch nicht, dass Marco, den Javier Cercas ausführlich für sein Buch El impostor (2014) befragt hat, sich von Cercas falsch verstanden und schlecht dargestellt fühlt. Paradoxerweise hat Marco vielleicht schlussendlich doch recht behalten, dass durch den Skandal um seine Lügengeschichte, die Bermejo aufdecken konnte und durch das Buch eines der meistgelesenen zeitgenössischen Schriftsteller Spaniens weiter bekannt wurde, dieses vergessene Kapitel der spanischen Geschichte tatsächlich als etwas weniger vergessen erscheinen darf.
(von Arndt Lainck, Juni 2017)