Forschungskolloquium für Nachwuchsforschende »Über die Funktionen von Literatur – Von der Thematisierung von politischen und sozialen Fragen bis hin zu Zeitdarstellungen«
Forschungskolloquium
»Über die Funktionen von Literatur –
Von der Thematisierung von politischen und sozialen Fragen bis hin zu Zeitdarstellungen«
17. Mai 2017
Organisation: Dr. Elisa Kriza & Prof. Dr. Enrique Rodrigues-Moura
Professur für Romanische Literaturwissenschaft/Hispanistik | Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Mittwoch, 17. Mai 2017 | 10:00 (s.t.) bis 14:00 Uhr | An der Universität 5, U5/03.27
Professor Enrique Rodrigues-Moura und Dr. Elisa Kriza eröffneten den Tag mit einer Begrüßung und einleitenden Worten. Den ersten Beitrag des Kolloquiums hielt Arndt Lainck zu Zeitgeschichte als Lebensgeschichten. Literarische Reflexionen über sich wandelnde Zeitempfindungen in den iberoamerikanischen und iberischen Literaturen. Nach der Vorstellung des Projekts und den Bemerkungen zur thematischen Ausrichtung des Korpus wurden, anhand konkreter Beispiele aus dem Werk von Javier Marías, Verschränkungen zwischen Ort, Zeit und Narration erläutert. In der angeregten Diskussion wurde im Anschluss vor allem auf die Problematik des »korrekten« Erinnerns und auf Kenntlichmachungsprozesse der narrativen Inszenierung vergangener Zeiten eingegangen.
Minerva Peinador stellte die kontroversen Verhältnisse des historischen Gedächtnisses in der zeitgenössischen spanischen Öffentlichkeit im Zusammenhang mit politischen, ethischen und identitätsbildenden Fragestellungen dar. In einer Umbruchphase, in der das kommunikative Gedächtnis der Zeugen des Bürgerkriegs und der Franco-Diktatur schwindet, handeln die literarischen Werke der Autoren der Enkelgeneration nicht nur als Medium ihrer Repräsentation. Sie agieren auch als partizipierende Agenten im Konkurrenzkampf der politisch-ethischen Diskurse um Legitimation. Am Beispiel von Javier Cercas und Isaac Rosa u. a. schilderte sie, wie diese Autoren hierfür Mittel einer narrativen Ästhetik anwenden, in der Form und Deutung, Intention und Wirkung, Leserpakt und Identität neu ausgehandelt werden.
Katharina E. Scheffner veranschaulichte die aktuellen Erinnerungsdiskurse in Chile anhand der Debatten rund um den Museo de la Memoria y de los Derechos Humanos in Santiago und um den geplanten Museo de la Memoria in Concepción im Süden Chiles, die sie innerhalb ihres Promotionsprojekts Verrat in den eigenen Reihen? Die Exilromane von Hernán Valdés als eine (unmögliche) differenzierte Kritik an der chilenischen Linken im Kalten Krieg (Arbeitstitel) untersucht. Die hitzigen Debatten, die auch noch 28 Jahre nach der Pinochet-Diktatur in Zeitungen und auf Onlineplattformen geführt werden, zeigen, dass weiterhin ein Bedürfnis nach Aufarbeitung besteht, dass aber die Frage nach dem »Wie?« nicht nur zwischen rechts-konservativen und links-sozialistischen Gruppierungen, sondern ebenso innerhalb von linken Gruppen zu Auseinandersetzungen und auch zu Spaltungen führt.
Elisa Krizas Vortrag Understanding the Function of Satire Using Bakhtin’s Carnival as a Theoretical Framework on Novels by Iskander and Avilés bezog sich auf die theoretischen Grundlagen ihrer Habilitation. Anhand zweier Beispielromane aus Mexiko und Russland zeigte sie, wie man mit Michail Bachtins Theorie über den Karneval die Funktionen der postmodernen Satire verstehbar machen kann. Die vorgestellten Romane behandeln Staatsverbrechen, die von den jeweiligen Regierungen vertuscht oder geleugnet worden waren. Aufgrund der subversiven, entlarvenden Kraft von postmodernen politischen Satiren wird von ihnen mitunter eine beinah revolutionäre Wirkung erwartet. Kriza erläuterte, warum diese Form der Satire jedoch eher eine kurzfristige, flüchtige Form der kulturellen Subversion darstellt.
Patrick Eser stellte sein Habilitationsprojekt zu lateinamerikanischen Großstadtfiktionen vor und diskutierte den Roman La 31 (una novela precaria) des argentinischen Schriftstellers Ariel Magnus. Eser beleuchtete die Konstruktion innerstädtischer Kontraste anhand dieses Romanbeispiels, in dessen Zentrum der gesellschaftliche Diskurs über das Elendsviertel der villa 31 in Buenos Aires steht. Eser machte anhand verschiedener Textauszüge unterschiedliche Darstellungsformen, Textgattungen und »Medialitäten des Urbanen« aus. In seiner Analyse wurde die eindrucksvolle Darstellung der sozialen Ungleichheit und der Segregation in Magnus Roman deutlich.
Auf jeden Vortrag folgten rege Diskussionen über theoretische und methodologische Herangehensweisen sowie Fragen zur Themen- und Literaturwahl. So bot das Forschungskolloquium einen fruchtbaren Rahmen für den fachlichen Austausch und für die gegenseitige Inspiration. Die Veranstaltung wurde mit einem gemeinsamen Mittagessen in der Bamberger Altstadt abgeschlossen.
(von Elisa Kriza, August 2017)
Kolloquiumsübersicht
Beiträge
10:15
Dr. Arndt Lainck (Universität Bamberg): Zeitgeschichte als Lebensgeschichten. Literarische Reflexionen über sich wandelnde Zeitempfindungen in den iberoamerikanischen und iberischen Literaturen
Moderation: Enrique Rodrigues-Moura | Discussant: Katharina Scheffner
10:45
Minerva Peinador, M.A. (Universität Rostock): Docuficción a la española: literatura y pol-ética. Definición, formas y funciones [Spanische Dokufiktion: Literatur und Pol-Ethik. Ein Definitionsversuch]
Moderation: Enrique Rodrigues-Moura | Discussant: Elisa Kriza
11:45
Katharina Scheffner, M.A. (Universität Bamberg): Verrat in den eigenen Reihen? Die Exilromane von Hernán Valdés als eine (unmögliche) differenzierte Kritik an der chilenischen Linken im Kalten Krieg
Moderation: Elisa Kriza | Discussant: Patrick Eser
12:15
Dr. Elisa Kriza (Universität Bamberg): Understanding the Function of Satire Using Bakhtin’s Carnival as a Theoretical Framework on Novels by Iskander and Avilés
Moderation: Katharina Scheffner | Discussant: Arndt Lainck
12:45
Dr. Patrick Eser (Universität Kassel): Narrative der sozialen Ungleichheit in der lateinamerikanischen Großstadtliteratur: Das Beispiel Buenos Aires
Moderation: Arndt Lainck | Discussant: Minerva Peinador