Naturwissenschaft und Religion – religionsdidaktische Erkundungen in schwierigem Terrain
Den zweiten Vortrag im Rahmen der Reihe „Und was stimmt jetzt? Evolution und Schöpfungsglaube im Diskurs“ am 27.05.2014 hielt Prof. Dr. Ulrich Kropač von der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt zum Thema „Naturwissenschaft und Religion. Religionsdidaktische Erkundungen in schwierigem Terrain“. Kropač vereint als Wissenschaftler beide Pole des Spannungsfelds der Vortragsreihe: Als Mathematiker und Theologe, der bereits mit seiner Dissertation deutlich gemacht hat, dass der Dialog beider Fachbereiche für ihn nicht nur eine besondere Herausforderung, sondern auch eine Leidenschaft ist, kann er sich dem Themenfeld besonders glaubwürdig aus beiden Perspektiven nähern.
So nahm Prof. Dr. Ulrich Kropač die Zuhörerinnen und Zuhörer in einem wieder erfreulich gut gefüllten Hörsaal mit auf eine „Erkundung“ im Spannungsfeld von Naturwissenschaft und Religion, ausgehend von einer Bestandsaufnahme zur medialen Wahrnehmung und Darstellung von Religion und Glaube in den letzten Jahren: Vor allem der sog. „neue Atheismus“ habe es sich zur Aufgabe gemacht, Glaube als Gegenpol zur Wissenschaft, als eine defiziente Bewusstseinsform und ein Relikt aus der Vergangenheit zu diskreditieren (namentlich etwa in Richard Dawkins‘ Bestseller „Der Gotteswahn“ aus dem Jahr 2007). Ein Dialog auf Augenhöhe zwischen Glaube und Naturwissenschaft schlösse sich diesen Bestrebungen zufolge von vorneherein aus. Prof. Kropač hingegen konnte mit fünf unterschiedlichen Zugangswegen aufzuzeigen, dass gute Gründe gegen diese Annahme sprechen und gerade die Auseinandersetzung mit dem Themenfeld Naturwissenschaft und Religion für Lernende eine hohe Relevanz hat:
Aus bildungstheoretischer Perspektive etwa lasse sich nach dem Bildungsexperten Jürgen Baumert und seinen Modi der Weltbegegnung der kognitive Weltzugang als nur ein Weg der Rationalität unter anderen konstatieren. Religion bzw. der „konstitutive“ Weltzugang sei demnach eine spezielle Weltanschauung neben anderen; je nachdem, welchen Modus der Rationalität man wähle, eröffneten sich zugleich ein Gewinn wie auch ein Verlust an Wahrnehmungsmöglichkeiten, sodass es Aufgabe des RU sei, eine Vermittlung zwischen dem naturwissenschaftlichen und dem religiösen Weltzugang anzubahnen. Religion könnte demnach eine den Schülerinnen und Schülern angebotene „Brille“ darstellen, mit der sie die Welt durch die Sicht der Religion deuten könnten oder auch nicht. Wichtig sei aber, ihnen, denen oft die naturwissenschaftliche Weltsicht als selbstverständlicher und einziger Blick auf Welt erscheine, die Möglichkeit mehrerer Wege der Weltdeutung deutlich zu machen. Aus religionspädagogischer Sicht gebe es besonderen Handlungsbedarf in diesem Themenbereich, so Prof. Kropač, weil sich in den letzten Jahren in der Forschung immer mehr herauskristallisiere, dass für Jugendliche nicht mehr die Theodizeefrage die „Haupteinbruchstelle“ für den Gottesglauben sei. Wenn man sich frage, welche Faktoren den Gottesglauben verunsicherten oder gar zu ihrem Verlust führten, wird aktuell die Alternative zwischen Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube als Indikator für die Frage nach Gott überhaupt gesehen. Diesem Themenfeld habe sich aber die Religionspädagogik bisher nicht ausreichend gewidmet. Auch entwicklungspsychologische Forschungsbefunde (wie sie auch Dr. Christian Höger im ersten Vortrag der Reihe ausführlich aufgezeigt hatte) bieten Herausforderungen für die Entwicklung neuer Konzepte im Spannungsfeld von Naturwissenschaft und Religion, zeigen sie doch, dass gerade der Übergang von der Objekt- zur Mittelreflexion im Jugendalter einen radialen Bruch mit dem kindlichen Weltbild bedeutet und dieses meist durch ein naturalistisches Weltbild ersetzt wird. Ein wissenschaftstheoretischer Einblick machte deutlich, dass letztlich jedes Wissen endlich und bedingt sei, auch Erkenntnisse der Naturwissenschaften und der Mathematik. Es existiere nicht an sich, sondern sei immer eingebunden in bestimmte Kontexte historischer, kultureller und institutioneller Art. In Anlehnung an Ludwig Wittgensteins Rede von den „Flusssätzen“ und „Flussbettsätzen“ zeigte Kropač auf, dass Wissenschaft als Ensemble von fortsetzbaren und revidierbaren Beschreibungen der Wirklichkeit immer auch gelenkt wird von weltanschaulichen Grundanschauungen. Der fünfte Weg schließlich verdeutlichte Konsequenzen für religiöses Lernen im Spannungsfeld von moderner Naturwissenschaft und christlichem Glauben: Der Referent forderte für die Planung und Durchführung von Lernprozessen nicht nur eine konsequente Orientierung am Subjekt, sondern auch eine Sensibilität für den entwicklungspsychologischen Stand der Lernenden. Der Religionsunterricht als geschützter Raum für die Alltagstheorien von Kindern zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion müsse die vielleicht manchmal auch fachlich fragwürdigen und erstaunenden Bezüge, die Kinder im Alltag immer wieder herstellen, nicht nur wahrnehmen, sondern auch in ihrer Originalität würdigen und zugleich Transformationsprozesse stimulieren, als Herausforderung, eigene Denkfiguren weiterzuentwickeln.
Konkret heiße das zum Beispiel, dass in der Primarstufe neben den biblischen Schöpfungserzählungen auch elementare naturwissenschaftliche Kenntnisse zur Weltentstehung thematisiert werden sollten. Aber auch die Pflege von Grundhaltungen des Staunens und einer Kultur des Fragens sowie eine frühzeitige Arbeit am Sprach- und Symbolverständnis und ein gelegentliches Anbahnen von Vorstufen des komplementären Denkens könnten schon im Primarbereich den Weg für einen gewinnbringenden Dialog zwischen naturwissenschaftlichem und religiösem Denken ebnen. Die weitergehende Förderung des komplementären Denkens sei dann besonders Aufgabe des religiösen Lernens in der Sekundarstufe, wobei es auch hier gelte, das Sprach- und Symbolverhältnis zu vertiefen. So könnten die Schülerinnen und Schüler beispielsweise erkennen, dass die Schöpfungserzählungen kein Bericht sind, sondern eine mythische Rede vom Menschen „in principio“ und damit nicht in grundsätzlicher Konkurrenz zu naturwissenschaftlichen Theorien zur Weltentstehung stehen. Auch der biographische Zugang zu Wissenschaftlerpersönlichkeiten und ihrer Haltung zu religiösen Fragen, etwa Albert Einstein, Ernst Haeckel, Charles Darwin oder Max Planck könne helfen, auf den Konnex von Wissen(-schaft) und Weltanschauung aufmerksam zu machen. Ein rein kognitiver Ansatz greife im Religionsunterricht aber zu kurz, denn es brauche bei der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie immer auch Phasen der ästhetisch-expressiven Auseinandersetzung.
So konnte Prof. Ulrich Kropač in einem spannenden und anspruchsvollen Vortrag deutlich machen: Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion ist eine bisher unterschätzte Thematik, deren Herausforderungen für den christlichen Glauben und den Religionsunterricht bisher immer noch zu wenig wahrgenommen werden. Für den Religionsunterricht besteht Potential, den Schülerinnen und Schülern geeignete Instrumente zur Förderung des komplementären Denkens an die Hand zu geben und so zu einer „ganzheitlichen“ Weltsicht im Sinne der unterschiedlichen Modi der Weltbegegnung beizutragen.