Wie Beratung für Stieffamilien gelingt
Familienformen sind in den vergangenen 50 Jahren deutlich vielfältiger geworden und auch Stieffamilien haben sich gewandelt. Früher entstanden Stieffamilien häufig nach dem Tod eines Elternteils. Heute gibt es andere Entstehungsgründe und verschiedene Lebensformen sind möglich. So bleiben Kinder nach Trennungen häufig beiden Eltern verbunden. Damit haben sich Stieffamilien zu einer komplexen Familienform entwickelt und stehen vor zahlreichen Herausforderungen. Mit rund zehn Prozent Anteil an Haushalten mit minderjährigen Kindern stellen sie eine bedeutsame Gruppe dar, jedoch ist über ihre Beratungsbedarfe und -ansprüche bislang wenig bekannt.
Forscherinnen und Forscher des Deutschen Jugendinstituts (DJI) haben nun gemeinsam mit dem Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb) die Handreichung „Beratungsbedarfe von Stieffamilien in Bayern“ erarbeitet. Gefördert wurde das Projekt durch das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales. Zentrales Anliegen war es, Erkenntnisse über die Herausforderungen und Themen, mit denen Stieffamilien in die Beratung kommen, zu erhalten und diese Informationen bereitzustellen.
„Wir konnten zeigen, dass es aufgrund der komplexen Familiensituationen und der Vielfältigkeit der Konflikte für Fachkräfte ratsam ist, sich der jeweiligen Perspektiven und der damit verbundenen Herausforderungen bewusst zu werden. Die Veränderung von einer Ein-Eltern-Familie hin zur Stieffamilie kann vor allem für Kinder sehr herausfordernd sein,“ erläutert DJI-Wissenschaftlerin Dr. Claudia Zerle-Elsäßer.
Die Handreichung will konkrete Hinweise zur Herangehensweise bei der Beratung von Stieffamilien geben. Die Familienkonstellation zum Beispiel über eine Checkliste oder ein Genogramm gezielt zu erfassen, ist einer der wichtigsten Schritte, um gut in den Beratungsprozess einsteigen zu können. Bei den Fortbildungen wünschen sich rund die Hälfte der Fachkräfte eine Weiterbildung zu Rollenkonflikten des Stiefelternteils, zur Akzeptanz der Rolle des Stiefelternteils oder zur Zusammenarbeit in der Erziehung mit der neuen Partnerin oder dem neuen Partner. Bei der Gesamtzahl gewünschter Fortbildungen geben die Fachkräfte aus den Beratungsstellen einen höheren Umfang an Weiterbildungsbedarf an als Fachkräfte aus den Jugendämtern.
Zahlreiche Facetten der Stieffamilien
Unter einer einfachen Stieffamilie verstehen die DJI-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler einen Haushalt, in dem ein Elternteil nicht das leibliche Elternteil der Kinder ist. Dies kann ein Stiefvater oder eine Stiefmutter sein. In seltenen Fällen sind beide Eltern Stiefeltern. Das bedeutet, dass beide Elternteile Kinder in die neue Beziehung mitbringen. Von einer komplexen Stieffamilie spricht man, wenn zusätzlich noch gemeinsame Kinder vorhanden sind.
Ferner wird nach dem Hauptwohnort der Kinder unterschieden. Der Haushalt, in dem die Kinder überwiegend leben, bildet die primäre Stieffamilie. Die Familie, in der das außerhalb lebende, leibliche Elternteil in einer neuen Partnerschaft wohnt, wird als sekundäre Stieffamilie bezeichnet. Dort halten sich die Kinder beispielsweise an den Wochenenden, an einigen Werktagen oder auch im Wechsel auf. Die sekundäre Stieffamilie kann ebenfalls einfach oder komplex sein, je nachdem, ob der neue Partner oder die neue Partnerin Kinder mitbringt oder es gemeinsame Kinder gibt.
Stieffamilien in Zahlen
Die komplexen Familiensituationen sind bislang kaum Gegenstand der Forschung, auch, weil oft keine geeigneten Daten zur Verfügung stehen. In Deutschland gibt es derzeit drei Datensätze, die auch Daten zu Stieffamilien zur Verfügung stellen: der Gender and Generation Survey (GGS), das Beziehungs- und Familienpanel pairfam und der DJI-Survey „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ AID:A 2019. Die Daten aus AID:A 2019 beziehen sich zunächst nur auf primäre Stieffamilien und zeigen, dass einfache Stiefvaterfamilien mit 37 Prozent sowie komplexe Stiefvaterfamilien mit 45 Prozent den Großteil der Stieffamilien in Deutschland ausmachen. Der Anteil der einfachen Stiefmutterfamilien liegt bei 7 Prozent und der der komplexen Stiefmutterfamilien bei 5 Prozent. Dass Stiefvaterfamilien deutlich überwiegen, ist darauf zurückzuführen, dass die Kinder nach einer Trennung der Eltern in den meisten Fällen im Haushalt der Mutter verbleiben.
Anliegen der Familienberatungen
Eine Befragung unter Fachkräften aus Familien- und Erziehungsberatungsstellen zeigt, dass 27 Prozent aller Familienberatungen Stieffamilienberatungen sind. In 32 Prozent haben es die Beraterinnen und Berater mit Kernfamilien zu tun, in 28 Prozent mit Alleinerziehenden und in 13 Prozent mit sonstigen Familienkonstellationen. Dies zeigt, dass die Beratungsstellen und Jugendämter überproportional häufig mit Anliegen von Stieffamilien beschäftigt sind.
Laut dieser Befragung kommen komplexe Stiefmutter- oder Stiefvaterfamilien am häufigsten in die Beratung. An zweiter Stelle nennen die Fachkräfte fast gleichauf die Alleinerziehendenfamilien, bei denen die Kinder in eine sekundäre Stieffamilie pendeln. Auf Rang drei finden sich die einfachen Stiefvater- oder Stiefmutterfamilien. Die leibliche Mutter ist das Elternteil einer Stieffamilie, das mit deutlichem Abstand am häufigsten eine Beratung in Anspruch nimmt.
Bei den Beratungsanliegen der Stieffamilien sind häufig Konflikte mit der Ex-Partnerin oder dem Ex-Partner zentrale Themen. Dabei kann es um die Zeit gehen, die mit den gemeinsamen Kindern verbracht wird, um Erziehungsfragen, Sorgerechts-, Umgangs- und finanzielle Fragen. Bei den Kindern sind es oft emotionale und soziale Auffälligkeiten, die in der Beratung thematisiert werden. Auch Auseinandersetzungen zwischen dem Stiefelternteil und den Stiefkindern in Erziehungsfragen werden genannt.
Pressemitteilung: https://www.dji.de/veroeffentlichungen/aktuelles/news/article/wie-beratung-fuer-stieffamilien-gelingt.html
Projekt „Beratungsbedarfe von Stieffamilien in Bayern“: https://www.dji.de/ueber-uns/projekte/projekte/beratungsbedarfe-von-stieffamilien-in-bayern.html
Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb): https://ifb.bayern.de/projekte/neue/47146/index.php
Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales: https://www.stmas.bayern.de
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