Deutsche Revolution 1848/49: Entstehung, Entwicklung, Auswirkungen
Das Frankfurter Paulskirchenparlament gilt als Meilenstein auf dem Weg zur deutschen Demokratie. Bis das erste gesamtdeutsche Parlament am 18. Mai 1848 das erste Mal tagen konnte, war viel passiert: Im Frühjahr 1848 griffen revolutionäre Unruhen in Frankreich um sich, Aufstände erschütterten auch den Deutschen Bund. Sie fanden am 18. März 1848 ihren Höhepunkt: Revolutionäre lieferten sich in Berlin blutige Barrikadenkämpfe mit dem Militär und forderten Freiheit und nationale Einheit. Auch wenn die junge deutsche Demokratiebewegung und damit das Paulskirchenparlament bereits 1849 ihr Ende fanden – sie prägten die deutsche Geschichte nachhaltig. Warum und inwiefern? Zum 175. Jubiläum der deutschen Revolution geben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Geschichte, Judaistik, Kommunikationswissenschaft und Politik Auskunft. Sie stehen für Interviews zu folgenden Themen bereit:
Wie beeinflusste die deutsche Revolution 1848/49 das jüdische Leben in Deutschland?
Rebekka Denz, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Judaistik
„Der jüdische Jurist Gabriel Riesser war im März 1848 Mitglied im Vorparlament und ab Mai in der Frankfurter Nationalversammlung. Vor allem ihm ist es zu verdanken, dass die Religionsfreiheit in der Paulskirchenverfassung verankert wurde. Im 50 Jahre später gegründeten „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ wurde der Jurist zu einer wichtigen Identifikationsfigur im Kampf der deutschen Judenheit um die gesellschaftliche Teilhabe. Der Centralverein sollte zur mitgliederstärksten gemischtgeschlechtlichen jüdischen Organisation im Deutschen Reich werden. Die Organisation setzte sich auf vielen Ebenen aktiv und erfolgreich für die konsequente Gleichberechtigung der deutschen Judenheit ein.“
E-Mail: rebekka.denz(at)uni-bamberg.de
Fachwissen zu:
- Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens
- gesellschaftliche Teilhabe der jüdischen Minderheit in einer christlich geprägten Mehrheitsgesellschaft in der Moderne
Open Access-Publikationen zum Thema:
„Wir deutschen Juden sind Deutsche“. Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (1893–1938) als Repräsentant jüdischen Empowerments. In: Einsichten + Perspektiven. Bayerische Zeitschrift für Politik und Geschichte (Themenheft: Jüdisches Leben in Deutschland). H. 2, 2021, S. 66–73: www.blz.bayern.de/juedisches-leben-in-deutschland.html
Der Centralverein in Bayern – ein Werkstattbericht, in: Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung, 13 (2019), 25, S. 1–15: www.medaon.de/de/ausgabe/13-2019-25/
Wie entstand die deutsche Revolution von 1848/49 und welche Auswirkungen hat sie auf die Geschichte Deutschlands und auf die Gegenwart?
Prof. Dr. Sabine Freitag, Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte unter Einbeziehung der Landesgeschichte
„Auch wenn die Revolution 1849 an der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Fürsten scheiterte, viele Akteure ins Exil getrieben wurden und sich für ein paar Jahre eine politische Eiszeit einstellte, werden ihre Leistungen bis heute hervorgehoben und anerkannt. Der Grundrechtskatalog der Paulskirche wurde zum Vorbild für das Grundgesetz von 1949, ebenso wie die dort entwickelte Vorstellung eines starken Parlamentes, das einen maßgeblicher Einfluss auf Regierungsbildung und -handeln haben soll. Die Geschichte der deutschen Revolution von 1848/49 zeigt zudem: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit!“
E-Mail: sabine.freitag(at)uni-bamberg.de
Fachwissen zu:
- deutsche und europäische Revolution von 1848/49 sowie deren Akteure: die Achtundvierziger
- Deutsche Demokratiegeschichte: Anfänge des deutschen Parlamentarismus – die deutsche Nationalversammlung von 1848/49 („Frankfurter Paulskirche“)
- Kampf um Verfassungsstaat, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte im 19. Jahrhundert
- Die ausgewanderte Demokratie: Exil und Emigration der „Achtundvierziger“ in die USA
- Erinnerungskultur der deutschen Freiheitsbewegungen des 19. Jahrhunderts
Was lernen wir aus der Geschichte der Revolution von 1848/49 über politisches Exil?
PD Dr. Héléna Tóth, Akademische Rätin am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte unter Einbeziehung der Landesgeschichte
„Nach den Revolutionen von 1848/49 ergriffen Tausende die Flucht in ganz Europa. Andere wurden gerichtlich verurteilt und verwandelten die Gefängnisstrafe in „freiwillige“ Auswanderung. Das Exil einer Person wirkte sich auf ihr soziales Umfeld aus: Familienmitglieder zogen oft vor oder nach, Hinterbliebene verwalteten das Vermögen oder setzten sich für eine Amnestie ein. Flüchtlinge der europäischen Revolutionen begegneten einander im Exil. Ihre Beziehung war geprägt von Solidarität und auch Konkurrenz. Die Geschichte der Revolution von 1848 legt uns nahe, dass eine transnationale Perspektive nützlich sein kann für das Verständnis lokaler Entwicklungen.“
E-Mail: helena.toth(at)uni-bamberg.de
Fachwissen zu:
- Flüchtlingsorganisationen und Netzwerke nach den Revolutionen von 1848
- Familien im Exil im Gefolge der Revolutionen von 1848
- Die Revolution von 1848 auf der (Theater-)Bühne
Wie modern war die Paulskirchenversammlung?
Prof. Dr. Ulrich Sieberer, Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Politikwissenschaft
„Die Frankfurter Nationalversammlung genießt einen ambivalenten Ruf: Einerseits wird sie als Wiege der deutschen Demokratie gepriesen, andererseits als gescheitertes Professorenparlament kritisiert. Neuere Forschung zeigt, dass die Paulskirche ein für ihre Zeit modernes und arbeitsfähiges Parlament mit einer durchaus beeindruckenden Bilanz war. Ihr Scheitern ist auf den Machtvorteil monarchischer Akteure, insbesondere auf Staatenebene, zurückzuführen, nicht auf eine innere Schwäche der Nationalversammlung. Unter günstigeren Umständen hätte die Paulskirche zum Ausgangspunkt einer Parlamentarisierung eines neuen deutschen Nationalstaats Mitte des 19. Jahrhunderts werden können.“
E-Mail: ulrich.sieberer(at)uni-bamberg.de
Fachwissen zu:
- Parteienbildung und Konfliktstrukturen in der Paulskirche
- (Gescheiterte) Parlamentarisierung und Paulskirchenverfassung
- Die Paulskirche im Vergleich zu europäischen Parlamenten ihrer Zeit: Kein „deutscher Sonderweg“
Open Access-Publikationen zum Thema:
Michael Herrmann und Ulrich Sieberer. 2018. The basic space of a revolutionary parliament: Scaling the Frankfurt Assembly of 1848/49, Party Politics, doi: 10.1177/1354068817749778; siehe auch Bericht im Campus-Magazin uni.kat 1/2018 und Pressemitteilung vom 19.04.2018.
Michael Herrmann und Ulrich Sieberer. 2019. Bonding in Pursuit of Policy Goals: How MPs Choose Political Parties in the Legislative State of Nature, Legislative Studies Quarterly, doi: 10.1111/lsq.12231
Michael Herrmann und Ulrich Sieberer. 2020. Short-lived Parliamentarisation in 19th-century Germany: Parliamentary Government in the Frankfurt Assembly of 1848/1849, Parliamentary Affairs, doi: 10.1093/pa/gsz013
Wie stellte sich die Revolution von 1848/49 in Bamberg und Bayern dar?
Dr. Michael Wild, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft
„Die Revolution von 1848/49 in Bamberg zeigt im Kleinen viele Aspekte der großen Konfliktlinien und Entwicklungen jener Zeit in Bayern und anderen deutschen Staaten. Die politische Auseinandersetzung zwischen demokratischen Republikanern, konstitutionellen Liberalen und der staatlichen Obrigkeit findet auch in Bamberg statt, zum Beispiel in Zeitungen und Flugblättern oder in handgreiflichen Auseinandersetzungen. Dabei zählen die „Bamberger 14 Artikel“ zu den zentralen Dokumenten der Revolution in Bayern. Die Verbreitung von Gerüchten rund um die Höhepunkte der Revolution in Bamberg zeigt die politische Agitation und die Verunsicherung der Menschen darüber, was die Zukunft nun bringen würde: Vieles war denkbar geworden.“
E-Mail: michael.wild(at)uni-bamberg.de
Fachwissen zu:
- Öffentlichkeit und Medien in der Revolution 1848/49
- Themen und Akteure der öffentlichen Kommunikation in der Revolution 1848/49
- Die Revolution von 1848/49 in Bamberg und Bayern