Neuer Artikel: Foundational questions for the regulation of digital disinformation
In einem neuen Artikel für die juristische Fachzeitschrift The Journal of Media Law skizziert Andreas Jungherr eine Reihe von Fragen, die wir beantworten sollten, bevor wir die größere Kontrolle von digitalen Kommunikationsumgebungen durch Experten, Firmen oder Regierungen fordern.
Befürworter müssen klar und präzise sagen, was sie mit dem Begriff Desinformation meinen, wie sie Desinformation verlässlich identifizieren wollen und vermeiden zu Teilnehmern im politischen Wettbewerb zu werden.
Diskurs behandelt Desinformation überwiegend als ein Problem einer unzuverlässigen, manipulierbaren und unkontrollierten Öffentlichkeit. Aber was, wenn das Problem in unzuverlässigen, manipulierbaren und unkontrollierten politischen Eliten liegt? Dann wären wir genau auf diese Strukturen angewiesen, um Desinformation-from-the-Top zu kontern.
Wissen wir eigentlich, wie groß die Reichweite und die Effekte digitaler Desinformationen wirklich sind? Falls Desinformation ein so großes Problem ist, dass wir bereit sind, Öffentlichkeit und politische Rede einzuschränken, dann sollte es doch auch empirische Evidenz geben? Allerdings zeigen empirische Befunde hier bisher überwiegend begrenzte Reichweite und Effekte.
Gleichzeitig sind die Risiken von regulativem Overreach klar dokumentiert. Restriktive Regulierung kann unbequeme, aber legitime politische Rede unterdrücken. Gleichzeitig können alarmistische Warnungen vor Desinformation zu sinkender Zufriedenheit mit Demokratie, gesteigerter Unterstützung restriktiver Regulierung und sinkenden Vertrauen in Medien und Information führen.
Bevor wir diese Risiken in Kauf nehmen, sollten wir uns sehr sicher darüber sein ob und in welchem Grad digitale Desinformation ein gesellschaftliches Problem ist.
Um es klar zu sagen: dies alles heißt nicht, dass es keine Desinformation gibt oder sie keine Gefahren birgt. Aber die besten verfügbaren Belege deuten darauf hin, dass die Effekte von Desinformation – wie die von Information generell – begrenzt und stark kontextabhängig sind. Gefahren sind möglich, aber eingebettet und abhängig von Kontextfaktoren, wie ökonomischer oder kulturelle Unsicherheit oder wahrgenommener Deprivation.
Wir müssen sicherstellen, dass wir eine solide empirische Basis für die vermeintlichen Gefahren von Desinformation haben, bevor wir heroisch voranschreiten und regulativ die Kontrolle von Firmen und Regulierungen über digitale Kommunikationsumgebungen erhöhen, und damit politische Rede und Information einschränken, die Autoritäten und Mächtige herausfordert.
Wir brauchen mehr konzeptionelle Klarheit und Verbindlichkeit in der Diskussion der Funktion und Effekte digitaler Medien genauso wie verlässliche und nachprüfbare empirische Befunde. Nur so kann die verantwortliche und zielgerichtete Regulierung digitaler Kommunikationsumgebungen gelingen.
Abstract: The threat of digital disinformation is a staple in discourse. News media feature examples of digital disinformation prominently. Politicians accuse opponents regularly of slinging disinformation. Regulators justify initiatives of increasing corporate and state control over digital communication environments with threats of disinformation to democracies. But responsible regulation means establishing a balance between the risks of disinformation and the risks of regulatory interventions. This asks for a solid, empirically grounded understanding of the reach and effects of digital disinformation and underlying mechanisms. This article provides a set of questions that a responsible approach to the regulation of disinformation needs to address.
Andreas Jungherr. 2024. Foundational questions for the regulation of digital disinformation. The Journal of Media Law. Online first. doi: 10.1080/17577632.2024.2362484