Projektbeschreibung
Am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen begann im Januar 2014 ein von der Deutschen Stiftung Friedensforschung gefördertes Projekt zur Erforschung der Interaktion zwischen dem Weltsicherheitsrat und seinen Sanktionsausschüssen.
Als wohl wichtigste globale Organisation zum Schutz von Weltfrieden und internationaler Sicherheit ist der Weltsicherheitsrat mit außerordentlichen Machtbefugnissen ausgestattet. Im Rahmen seiner Sanktionsregime errichtet der Rat vielfach komplexe Governance-Strukturen, die über einen längeren Zeitraum existieren, vielfältige Einzelmaßnahmen umfassen und dabei fortlaufend erheblichen Entscheidungsbedarf hervorrufen. Da der Rat als politisches Organ diesen Bedarf nicht vollständig selbst erfüllen kann, überträgt er zunehmend wichtige Entscheidungsfunktionen auf seine Sanktionsausschüsse.
Trotz der umfangreichen Literatur zum Weltsicherheitsrat fehlt bislang eine systematische Analyse der Folgen, die durch die Einrichtung von Sanktionsausschüssen hervorgerufen werden. Übersehen wird bislang weitestgehend, dass durch die Einsetzung von Sanktionsausschüssen ein mehrstufiger, in sich differenzierter Entscheidungsprozess entsteht, der geeignet ist, den Weltsicherheitsrat von einer Bühne für politische Großmachtentscheidungen in eine komplexere Governancestruktur zu überführen.
Um diese Forschungslücke zu schließen, soll untersucht werden, ob und auf welche Weise die Einsetzung entscheidungsbefugter Sanktionsausschüsse die im Weltsicherheitsrat vorherrschende Entscheidungslogik beeinflusst, die im Wesentlichen der jeweils aktuellen Machtverteilung unter den Mitgliedern folgt, und wie sich dies gegebenenfalls auf die Entscheidungsinhalte auswirkt. Die Entscheidungen dieser Gremien erlangen dadurch erhebliche friedenspolitische Bedeutung, weil sie Einfluss auf die humanitäre Situation in Zielländern oder auf die Freizügigkeit von Zielpersonen gewinnen.
Das Projekt greift dabei auf neuere theoretische Erkenntnisse der Organisationsforschung zurück, die für die Analyse der Tätigkeit des Weltsicherheitsrates bislang nicht genutzt worden sind und Hinweise darauf geben, dass die Ausdifferenzierung eines Entscheidungsverfahrens auch dann Einfluss auf Entscheidungsprozesse und deren Ergebnisse gewinnen kann, wenn die Entscheidungen auf allen Ebenen von denselben Entscheidungsträgern (in diesem Fall den Mitgliedstaaten des Weltsicherheitsrates) getroffen werden.
Eine von der Deutschen Stiftung Friedensforschung geförderte Pilotstudie hat die theoretische Vermutung bestätigt, dass die Mitgliedsstaaten des Weltsicherheitsrates die Entscheidungstätigkeit eines Sanktionsausschusses in erheblichem Ausmaß durch Regeln lenken und damit die Grundlage für regelgeleitete und in sich konsistente(re) Entscheidungen legen. Zahlreiche Experteninterviews am Sitz der Vereinten Nationen lieferten Hinweise dafür, dass diese institutionellen Veränderungen tatsächlich dazu führen, dass Listungsentscheidungen inzwischen stärker kriterienbasiert getroffen werden.
Eine Bestätigung der Projekthypothese für weitere Sanktionsregime, sowohl Listungsregime die Personen und/oder Güter als auch Ausnahmegenehmigungen von umfassenden Sanktionen beinhalten, würde zeigen, dass auch im Rahmen des durch die Großmächte geprägten Weltsicherheitsrates Entscheidungen grundsätzlich an fallübergreifende Regeln gebunden werden können. Das Projekt zeigt dann auf, wie sich durch funktionale Differenzierung des institutionellen Entscheidungsprozesses aufgrund eines spezifischen institutionellen Designs ein partieller Übergang hin zu einem stärker regulativen und regelgebundenen Ansatz realisieren lässt. Dadurch wird eine stärkere Legitimität der Sanktionsmaßnahmen des Rates möglich.
Projektleitung: Prof. Dr. Thomas Gehring
Projektmitarbeiter: Thomas Dörfler, M.A.
Finanzierung: Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF)
Laufzeit: 24 Monate (Januar 2014 - Dezember 2015)
Status: abgeschlossen
Projektergebnisse
Ausgewählte Publikationen
Dörfler, Thomas und Thomas Gehring (2015): Wie internationale Organisationen durch die Strukturierung von Entscheidungsprozessen Autonomie gewinnen. Der Weltsicherheitsrat und seine Sanktionsausschüsse als System funktionaler Ausdifferenzierung. In: Politische Vierteljahresschrift 49 (Sonderheft), Seiten 30-56.
Stollenwerk, Eric; Thomas Dörfler und Julian Schibberges (2015): Taking a New Perspective: Mapping the Al Qaeda Network Through the Eyes of the UN Security Council. In: Terrorism and Political Violence (online first).
Gehring Thomas und Thomas Dörfler (2013): Division of Labor and Rule-based Decisionmaking Within the UN Security Council: The Al-Qaeda/Taliban Sanctions Regime. In: Global Governance, Vol. 19, No. 4, Seiten 567-587.
Ausgewählte Konferenzbeiträge
Dörfler, Thomas und Thomas Gehring (2016): Complex Governance Structures and Rule-based Decision-making within the UN Security Council. Paper presented at UNU-CPR & Kroc Institute Workshop “The Sanctions Enterprise” Manhasset, NY, USA, 11-13 February.
Gehring, Thomas; Christian Dorsch und Thomas Dörfler (2014): Institutional Constraints as Sources of Organizational Autonomy. The Impact of Doctrines and Delegation to Sanctions Committees on Decision-making within the United Nations Security Council (UNSC). Paper presented at the 56. ISA Annual Convention, New Orleans, 18-21 February.
Stollenwerk, Eric; Thomas Dörfler und Julian Schibberges (2013): Eyes Wide Shut? Mapping the Al-Qaida Network through the Eyes of the UN Security Council. Paper presented at the 8th Pan-European International Relations Conference, Warsaw, 18-21 September (presented by Eric Stollenwerk).