Theorie internationaler Organisationen und der Weltsicherheitsrat
Projektbeschreibung
In diesem übergreifenden Projekt, das teilweise durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF) gefördert wurde, wird der Weltsicherheitsrat als Organisation analysiert. Wenngleich es sich formal um ein Organ der Vereinten Nationen handelt, sind seine Entscheidungen aufgrund seiner spezifischen Stellung im UN-Gefüge kaum durch die Interaktionen mit anderen UN-Organen beeinflusst. Die Entscheidungen des Weltsicherheitsrates sind also weitgehend durch die Handlungen seiner Mitgliedstaaten bestimmt, insbesondere durch die Aktivitäten der fünf Ständigen Mitglieder. Dabei ist der Weltsicherheitsrat mit sehr weitreichenden Kompetenzen ausgestattet. Er wird deshalb als eine von ihren Mitgliedern dominierte Organisation konzipiert, die von anderen Einflüssen, insbesondere solchen durch das Sekretariat der UN, weitgehend abgeschirmt. Damit ist der Weltsicherheitsrat besonders geeignet für die Untersuchung des Organisationsverhaltens mitgliederdominierter internationaler Organisationen. Es wird vermutet, dass sich im Weltsicherheitsrat Organisationsstrukturen entwickeln, denen sich selbst die Großmächte nicht entziehen können und die deshalb die kollektiven Entscheidungen signifikant beeinflussen.
Ziel ist die Untersuchung der Entstehung einer kollektiven Organisationsrationalität, die sich nicht mehr allein auf die Aggregation der Präferenzen der Mitgliedstaaten zurückführen lässt, obwohl alle Entscheidungen ausschließlich von diesen Staaten getroffen werden. (1) Zum einen entstehen aus Präzedenzfällen und Vorentscheidungen Doktrinen und Praktiken als Orientierung und Maßstab für spätere Entscheidungen, die den Entscheidungsspielraum der Mitgliedstaaten einschränken und eine gewisse Beständigkeit des organisatorischen Entscheidungsverhaltens hervorrufen. (2) Zum anderen beeinflusst die Übertragung von Implementationsentscheidungen an Sanktionsausschüsse die Entscheidungen des Weltsicherheitsrates, obwohl in diesen Ausschüssen alle Mitgliedstaaten vertreten sind. Zur Erklärung der Entscheidungen des Weltsicherheitsrates reicht es also nicht aus, die Präferenzen der Mitgliedstaaten und die formalen Entscheidungsregeln zu kennen. Damit gewinnt die Institution eine gewisse Autonomie.
Ausgewählte Publikationen
Dörfler, Thomas und Thomas Gehring (2021): Analogy-based collective decision-making and incremental change in international organizations, In: European Journal of International Relations, Early View.
Hosli, Madeleine O., and Thomas Dörfler (2020): The United Nations Security Council: History, Current Composition, and Reform Proposals; in: The Changing Global Order. Springer, Cham, 2020. 299-320.
Thomas Dörfler und Thomas Gehring (2019): Constitutive Mechanisms of UN Security Council Practices. Precedent Pressure, Ratchet Effect and Council Action Regarding Intrastate Conflicts; in: Review of International Studies, 45:1, 120-140.
Thomas Gehring, Christian Dorsch und Thomas Dörfler (2019): Precedent and Doctrine in Organisational Decision-making: The Power of Informal Institutional Rules in the United Nations Security Council’s Activities on Terrorism; in: Journal of International Relations and Development, 22:1, 107-135.
Dörfler, Thomas (2019): Security Council Sanctions Governance: The Power and Limits of Rules. Routledge.
Dorsch, Christian, and Thomas Dörfler (2019): Organized Hypocrisy of the International Community: An Institutionalist Explanation of the UN Security Council’s Contradictory Activity on Darfur. In: Zeitschrift für Genozidforschung, Vol 15, No. 1-2, 8-31.
Becker, Manuel, Thomas Gehring und Thomas Dörfler (2018): Credible commitment without independent regulatory agent: Evidence from the Security Council's United Nations Compensation Commission. In: Regulation & Governance, Vol. 12, No. 3, 395-412.
Becker, Manuel (2017): Reparationszahlungen im UN-Sicherheitsrat. Verfahrensregeln für ein sachgerechtes Kompensationssystem. In: Zeitschrift für Internationale Beziehungen. Vol. 24, No. 1, 68-99.
Dörfler, Thomas, Thomas Gehring, Manuel Becker (2017): Complex Governance Structures and Rule-based Decision-making within the UN Security Council; Forschung DSF Nº 43, Osnabrück.
Stollenwerk, Eric; Thomas Dörfler und Julian Schibberges (2016): Taking a New Perspective: Mapping the Al Qaeda Network Through the Eyes of the UN Security Council. In: Terrorism and Political Violence. Vol 28, No. 5 (2016), 950-970.
Dorsch, Christian und Thomas Gehring (2015): Institutionelle Opportunitätsstrukturen im Weltsicherheitsrat. Wie Doktrinen und andere Vorentscheidungen das Handeln der Mitgliedstaaten und die kollektiven Entscheidungen über den Eingriff in innerstaatliche Konflikte beeinflussen. In: Politische Vierteljahresschrift 56 No. 4, 599-625.
Dörfler, Thomas und Thomas Gehring (2015): Wie internationale Organisationen durch die Strukturierung von Entscheidungsprozessen Autonomie gewinnen. Der Weltsicherheitsrat und seine Sanktionsausschüsse als System funktionaler Ausdifferenzierung. In: Politische Vierteljahresschrift 49 (Sonderheft), 30-56.
Dorsch, Christian (2014): A New Barometer for the Evolution of Multilateral Counterterrorism: Introduction to the Materials, Methods, and Results of the UN Security Council & Terrorism Dataset (UNSC-TDS). In: Terrorism and Political Violence, Vol. 27, No. 4, 701-721.
Gehring Thomas und Thomas Dörfler (2013): Division of Labor and Rule-based Decisionmaking Within the UN Security Council: The Al-Qaeda/Taliban Sanctions Regime. In: Global Governance, Vol. 19, No. 4, 567-587.