Kollektive Akteursqualität horizontaler Organisationen in der globalen Umwelt- und Finanzmarktpolitik
In dem Projekt wird untersucht, ob, wie und mit welchen Folgen horizontale Regulationsinstitutionen in zwei wichtigen Politikfeldern der internationalen Politik, nämlich im Bereich des Umweltschutzes und der Finanzmarktregulierung, zu autonomen Akteuren mit eigener Handlungsfähigkeit werden können, obwohl die wesentlichen Entscheidungen von den Mitgliedern selbst getroffen werden. Das Projekt ist Teil eines DFG-geförderten Projektverbundes zur Akteursqualität horizontal organisierter Gruppenakteure.
In den beiden Politikfeldern bestehen zahlreiche internationale oder transnationale Institutionen mit ausgedehnten Entscheidungsapparaten, die wichtige Regulierungsfunktionen in der internationalen Politik übernehmen. Im Unterschied zu traditionellen internationalen (Regierungs-) Organisationen verfügen sie nicht über mächtige Sekretariate, sondern werden durch ihre (staatlichen oder nicht-staatlichen) Mitglieder dominiert. Prominente Beispiele sind das UN-Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen (UNFCCC) und dessen Pariser Abkommen, das Montreal-Protokoll zum Schutz der Ozonschicht, das Basler Komitee für Bankenaufsicht (BCBS) und das International Accounting Standards Board (IASB). Für das Verständnis der heutigen internationalen Politik ist es von weitreichender Bedeutung, ob diese Institutionen nur Foren für die Interaktion ihrer Mitglieder darstellen, oder ob es sich um Organisationen handelt, die eigene Handlungsfähigkeit gewinnen und sich durch Prozesse der Autonomisierung schrittweise der Kontrolle durch die Mitglieder entziehen können, wie dies für Organisationen weithin vermutet wird.
In theoretischer Hinsicht werfen horizontale internationale und transnationale Institutionen die in der Politikwissenschaft bislang weitgehend unbearbeitete Frage auf, ob, und wenn ja, auf welche Weise, aus der Interaktion der Mitglieder kollektive Akteurseigenschaften der Organisation, verstanden als organisatorische Handlungsfähigkeit und Autonomie, entstehen können. Im Anschluss an die aktuelle Diskussion um internationale Organisationen als Träger politischer Herrschaft (political authority) und auf Grundlage der soziologischen Theorie korporativen Handelns von James Coleman gehen wir davon aus, dass auch horizontale Institutionen Akteurseigenschaften entwickeln können. Dazu entwickeln wir theoretische Mechanismen, die zeigen, wie und unter welchen Bedingungen selbst strategisch agierende Mitglieder horizontaler Organisationen in institutionelle Prozesse verstrickt werden können, die organisatorische Autonomie und/oder Handlungsfähigkeit erzeugen.
In empirischer Hinsicht wird untersucht, welche Formen der organisatorischen Handlungsfähigkeit und Autonomie sich in den beiden untersuchten Politikfeldern des internationalen Umweltschutzes und der Finanzmarktregulierung entwickelt haben und welche Folgen dies für die Gestaltung der internationalen Politik hat. Zum einen werden Zusammenhänge der Entstehung und Entwicklung von Entscheidungsbefugnissen und Autonomie für eine Auswahl von 40 horizontalen Institutionen aus den beiden Politikfeldern mittels einer neuen Datenbank quantitativ untersucht. Zum anderen wird in ausgewählten Fallstudien untersucht, ob und wie ausgewählte Institutionen durch die zuvor entwickelten Mechanismen tatsächlich Autonomie gewinnen und sich damit schrittweise gegenüber ihren Mitgliedern verselbständigen.
Projektleitung: Prof. Dr. Thomas Gehring, Prof. Dr. Thomas Rixen
Projektmitarbeiter: Michael Giesen, Simon Linder, Patrick Vizitiu
Finanzierung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Laufzeit: 36 Monate (Dezember 2020 – November 2023)
Publikationen