Forschungsgruppe: Transzendentalphilosophische Interpersonalitätslehre

Eine grundlegende, prinzipienorientierte Konzeption von Interpersonalität bleibt aus systematisch-philosophischer Perspektive nach wie vor ein Desiderat. Darüber hinaus wäre sie aber auch im Rahmen aktueller gesellschaftlicher Probleme von enormer Bedeutung, denn diese lassen sich entgegen einer verbreiteten Meinung nicht allein durch technische oder ökonomische Lösungsansätze bewältigen. So liegen etwa der drohenden Klimakatastrophe, der zunehmenden Regression der Globalisierung in die Konkurrenz nationaler Partikularinteressen und schließlich auch der Digitalisierung der Lebenswelt – in ihren problematischen Folgen – letztlich fragile interpersonale Beziehungen und prekäre soziale Strukturen zu Grunde.

Von dieser Ausgangslage her strebt die Forschungsgruppe eine philosophische Neubesinnung auf die grundlegenden bzw. wesentlichen Bestimmungen von Interpersonalität als solcher an. Mit diesem Abstraktionsgrad ist ausdrücklich die Idee verbunden, dass sich interpersonale Begegnung vor ihrer Konkretisierung in spezifische kulturelle Differenzierungen bestimmen lässt – also transkulturelle Strukturen aufweist. Diesem Gegenstand will sich die Forschungsgruppe methodisch mit den Mitteln der Transzendentalphilosophie annähern, die sich durch ihre erkenntniskritische Fundierung auszeichnet. Historisch soll dabei vorrangig an die Ausführungen J. G. Fichtes angeknüpft werden; vor allem dessen bisher wenig erforschtes Spätwerk bietet vielversprechende Ansätze zu einer transzendentalphilosophischen Thematisierung von Interpersonalität. Mit diesem Bezugspunkt will die Forschungsgruppe außerdem dazu beitragen, die verbreitete Einschätzung der Transzendentalphilosophie als auf die bewusstseinstheoretische Konstitution der physischen Sinnenwelt beschränkte, letztlich solipsistische Strömung der Philosophiegeschichte zu korrigieren.

Themen und Ziele

• Ausweitung des transzendentalphilosophischen Ansatzes und der für ihn maßgeblichen Konstitutions- und Geltungsthematik auf die Interpersonalitätsproblematik. Vergleich mit alternativen Ansätzen der Philosophie und Gesellschaftstheorie.
• Erforschung der spezifischen Beiträge J.G. Fichtes zu einer transzendentalen Interpersonalitätslehre, v.a. unter Einbeziehung seines Spätwerks. Interpretation der Fichteschen Interpersonalitätslehre vor dem Hintergrund seiner Abwehr solipsistischer Fehlinterpretationen seines Ansatzes.
• Verschränkung der erkenntnisbezogenen theoretischen und werthaften praktischen, subjektiven Konstitutionsprinzipien der Interpersonalität. Entwurf einer Epistemologie der Interpersonalität, die über die Erfahrung bloßer Objekte hinaus die Erfahrung und Erkenntnis fremder Subjekte thematisiert, indem die Bedeutung der interpersonalen Grundakte von Aufforderung und Anerkennung einbezogen wird.
• Herausarbeitung der triebhaften und leiblichen Vorbedingungen und Vermittlungen freier Personalität und Interpersonalität. Bezug der biologischen Grundlagen von Personalität auf Fragen tierischen Bewusstseins und möglicher (Inter-)Personalität auf artifizieller Grundlage (Künstliche Intelligenz, Mensch-Maschine-Verhältnis, Grenzen der digitalen Vermittlung verleiblichter Interpersonalität).
• Voraussetzungen der Möglichkeit der intersubjektiven Konstitution der geteilten Wirklichkeit.
• Kriteriologie der Legitimität gesellschaftlicher Strukturen, sozialer Institutionen und interpersonaler Praktiken durch den Begriff wechselseitiger Anerkennung.
• Verbindung philosophischer Grundlagenreflexion mit konkreten Problemen der aktuellen Lebenswelt, etwa Folgen der Digitalisierung, soziale Verwerfungen, die aus ökonomischen oder politischen Strukturen oder der globalen Klimakrise resultieren.

Die Forschungsgruppe bittet interessierte Forscherinnen und Forscher um Kontaktaufnahme (Kontaktadresse siehe unten)

Beteiligte

Kontakt: michael.gerten@uni-bamberg.de