Speaker Holger Klatte beim Aufsprechen.
Prof. Dr. Carlo Milan und Tontechniker Matthias Schubert bewerten die ersten Aufnahmen.
Wie spricht man Deutsch richtig aus?
Wer paukt heute noch Vokabeln nach Lautschrift aus verstaubten Büchern? Ein neues Projekt im Multimedia-Sprachlabor der Universität Bamberg zeigt, dass das längst Vergangenheit ist. Dort digitalisieren und vertonen Prof. Dr. Carlo Milan und sein Team in Kooperation mit dem italienischen Verlag Zanichelli ein deutsches Wörterbuch.
Ein Klick und das gewünschte Wort erklingt - professionell von einem Muttersprachler ausgesprochen. Dahinter steckt nicht nur eine gute Idee, die jeden Sprachschüler freut, sondern auch mächtige Konkurrenz. Vor allem die kostenlosen Online-Wörterbücher haben die traditionellen Verlage gelehrt, umzudenken. Statt maschineller Audiofiles bieten renommierte Verlage Qualität - so auch der italienische Verlag Zanichelli. Für die Vertonung seines deutschen Wörterbuchs hat das Unternehmen Qualität, Professionalität und Kompetenz gesucht und im Multimedia-Sprachlabor an der Universität Bamberg gefunden.
Auch italienische Verlage mussten in der jüngsten Vergangenheit stark rationalisieren und bauen deshalb auf ‚Kompetenz von außen’. Universitäten sind für sie fachkundige und im Vergleich zu deutschen Verlagen günstige Partner, die eine passende Infrastruktur zur Verfügung stellen. Im Gegenzug dazu freuen sich nicht nur die Lehrstühle in Zeiten knapper Mittel über zusätzliche Einnahmequellen, sondern auch die Universitätsleitung.
Carlo Milan vermittelt zwischen Bamberg und Bologna. Er hat bereits 1990 bei Zanichelli ein umfangreiches deutsch-italienisches Wörterbuch der faux amis veröffentlicht. Seit Mitte Februar vertont der Leiter des Sprachlabors mit seinen beiden Sprechern Holger Klatte und Wieland Eins rund 3500 Fremdwörter (Formen wie etwa Attachment, Beachvolleyball, Conferencier usw.) und Akronyme (das sind Bildungen wie ARD, BMW, CAD usw.). Die Sprecher bringen also nicht nur eine gute Aussprache und Stimme, sondern auch Fachwissen mit. Beide haben Germanistik studiert und arbeiten am Lehrstuhl für Sprachwissenschaft. Die Auswahl der einzusprechenden Wörter spielt eine wichtige Rolle: „Das Deutsche hat etwa im Gegensatz zum Englischen relativ klare Ausspracheregeln. Deshalb muss das Wörterbuch nicht gleich vollständig vertont werden, sondern man kann sich in einem ersten Schritt auf die Formen konzentrieren, die sich den grundlegenden Ausspracheregeln entziehen. Zu einem späteren Zeitpunkt soll aber doch das ganze Wörterbuch vertont werden“, erklärt Milan.
Gibt es ein Akademiker-Deutsch?
Er und sein Team sind nicht nur für die Vertonung, sondern auch für die Auswahl der Begriffe zuständig. Nachdem ein Mitarbeiter des Verlags in Bologna eine Vorauswahl getroffen hat, wird diese im Team diskutiert, verbessert, ergänzt und überprüft. Es werden beispielsweise fachsprachliche Wörter gestrichen, die in der gesprochenen Sprache nicht unbedingt vorkommen.
Ziel ist es, die richtige Balance zwischen Quellsprache und ‚eingedeutschter’ Aussprache zu finden. Das Team diskutiert häufig über die ‚normale’ Aussprache eines Begriffs. „Sprechen wir, als Akademiker mit Fremdsprachenkenntnissen, ein Wort anders aus als der Normaldeutsche?“ gibt Eins zu bedenken. Immerhin handelt es sich um Worte, die auch im Deutschen Fremdwörter sind. Eine Regel lautet: Wenn die Worte erst relativ neu in der deutschen Sprache sind, wie z.B. „Agreement“, halten sich die Sprecher eher an die Quellsprache. Bei Begriffen, die schon sehr lange in der deutschen Sprache vorkommen wie „Keks“ oder „Sport“, werden deutsche Phoneme verwendet.
Bamberger Sprecher auf DVD, CD und im www
Ist man sich über eine Transkriptionsweise einig, wirft das aber neue Probleme auf. Da es die üblichen Rechner nicht ermöglichen, die hierfür erforderlichen Zeichen der Lautschrift IPA (International Phonetic Association) direkt einzugeben, wird die Aussprache in SAMPA (Speech Assessment Methods Phonetic Alphabet) angegeben. Diese Lautschrift besteht aus Zeichen, die auf jeder gewöhnlichen Tastatur zur Verfügung stehen. So kann einfach geschrieben, problemlos in IPA konvertiert und digital kommuniziert werden.
Pro Sitzung will das Team um Milan 200 bis 250 Worte aufsprechen. Der Prozess ist damit aber noch lange nicht beendet. „Bis zum Erscheinen der DVD, CD oder des Onlineauftritts ist viel Nacharbeit notwendig“, weiß Matthias Schubert, zuständig für die Tontechnik. Als Aufnahmegerät dient ein handelsüblicher PC. Der Tontechniker bereinigt die Aufnahme von Störgeräuschen oder Versprechern. Der Computer schneidet die einzelnen Worte automatisch und macht davor immer eine minimale Pause von einer Einviertelsekunde - so wirkt alles einheitlich. Unter idealen Bedingungen können etwa 25 bis 30 Worte pro Minute aufgesprochen werden.
Milan und sein Team wollen sich damit aber bis Ende dieses Jahres Zeit lassen. Parallel dazu läuft nämlich das Französischprojekt, bei dem 80 000 Worte eingesprochen werden sollen. Und weitere Sprachen stehen an.