Vordenker eines kreativen Friedens
Seine führende Rolle bei der Begründung der neuzeitlichen Pädagogik ist unumstritten. Doch Jan Amos Komenský (1592-1670) - meist unter dem lateinischen Namen Comenius geführt - hat viel mehr zu bieten. Albert Schweitzer würdigte ihn 1965 als großen Reformator des 17. Jahrhunderts: "Er als erster hat die Bedeutung des Internationalen erkannt; das große an ihm ist, dass er unermüdlich ist. Er hat die Aufgaben, mit denen sich die Philosophie in der Welt abgeben muss, erkannt, während die gewöhnliche Philosophie dabei verblieb, mit sich selber beschäftigt zu sein. Er ist der erste Philosoph, der sich genötigt fühlte, sich mit den Problemen des Friedens fort und fort zu beschäftigen. Bei ihm wagt sich die Philosophie auf das Gebiet der Politik." Gerade auf diesem Gebiet erweist sich Comenius heute mehr denn als Vordenker. Darauf wies das deutsch-tschechische Kolloquium hin, das anlässlich des 75. Geburtstages von Prof. em. h.c. mult. Dr. phil. Dr. h.c. Heinrich Beck im April 2004 in Bamberg stattgefunden hat. Nun ist auch der Tagungsband zu der Veranstaltung unter dem Titel "Johann Amos Comenius - Vordenker eines kreativen Friedens" erschienen.
Von besonderer Aktualität
Auf mehr als 600 Seiten werden darin die über 30 Beiträge des Kolloquiums (inklusive Grußworte und Laudationes) dokumentiert, an dem neben international renommierten Comeniologen auch tschechische und deutsche Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern beteiligt waren. "In einer Welt, in der uns kriegerische Auseinandersetzungen, Vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen täglich vor Augen geführt werden, in der bei terroristischen Anschlägen immer wieder viele Menschen sterben, sind die auf Kooperation gerichteten Denkansätze des Johann Amos Comenius von besonderer Aktualität", betonte die Bayerische Staatsministerin Christa Stewens in ihrem Grußwort als Schirmherrin des interdisziplinären Kolloquiums. Die Besonderheiten des großen philosophischen Entwurfs wurden auf der Tagung ebenso herausgearbeitet wie konkrete Bezüge zur Gegenwart hergestellt. Der Aufbau von Kolloquium und Tagungsband erfolgt dabei im "Dreischritt" von Information, Argumentation und Motivation, wie der Herausgeber apl. Prof. Dr. Dr. h.c. Erwin Schadel, Leiter der Bamberger Forschungsstelle "Interkulturelle Philosophie und Comenius-Forschung", erläutert. Das Vor- und Umfeld der Comenianischen Reformbemühungen wird umfassend beleuchtet, der Friedensgedanke in der frühen Neuzeit erörtert und die theologischen Elemente sowie metaphysischen Dimensionen der Philosophie des Comenius untersucht. Eine Besonderheit besteht darin, dass es Comenius bereits im 17. Jahrhundert nicht nur um interkonfessionelle, sondern auch interreligiöse Aussöhnung ging; dies gegen den teilweise massiven Widerstand seiner eigenen Glaubensbrüder und inmitten des Dreißigjährigen Krieges, wie beispielsweise Jürgen Beer (Brüggen) in seinem Beitrag darlegt. Im Spätwerk erläutert Comenius dann rückblickend: "Der Starrsinn, mit dem die Christen gegeneinander arbeiteten, wie auch die vergebliche bisherige Anstrengung, mit der man verschiedentlich ihre Versöhnung betrieb, erweckten die hoffnungsvolle Einsicht, dass man leichter das Ganze als einen Teil kurieren könne, so wie man dem gänzlich von Krankheit befallenen Körper eher eine allgemeine Medizin verabreichen müsse, als bloß den Kopf, den Fuß, die Seite usw. zu verpflastern. Mein Verlangen begann sich also daraufhin auszudehnen, das ganze Menschengeschlecht (das allenthalben mit den Dingen, mit sich selbst und mit Gott im Streite liegt) zu versöhnen; und ich begann nach Mitteln und Wegen Ausschau zu halten, die dies bewirken könnten".
Kritik an Huntingtons These vom "Kampf der Kulturen"
Wie wirksam Comenius' Rezepte sind bzw. sein könnten, ist im Tagungsband zu lesen, aber auch, u.a. bei Werner Korthaase, dem Vorsitzenden der Deutschen Comenius-Gesellschaft, wie sehr seine Entwürfe von Staatstheoretikern und Politologen noch immer ignoriert werden. Komenskýs "Pansophie" strebt nach einer ganzheitlich-integrativen Denkweise, die auf Kooperation statt Konfrontation setzt und bereits den Entwurf für eine globale Weltordnung enthält. Der mährische Denker regte an, drei Instanzen zu schaffen: ein Weltfriedensgericht (dicasterium pacis), eine Weltorganisation der Wissenschaften (collegium lucis) und ein Konzil für alle Weltreligionen (concilium oeconomicum). Wie Comenius' epochales Konzept beispielsweise auf die tschechischen Präsidenten T. G. Masaryk und Václav Havel wirkte, arbeitet Karel Floss (Prokopios-Zentrum/Sázava) in seinem Beitrag heraus. Der tschechische Philosoph erörtert Comenius' Gedanken zugleich im Zusammenhang mit dem Tübinger "Projekt Weltethos", dem UNO-Projekt "Brücken in die Zukunft" und nicht zuletzt dem Bamberger Projekt "Kreativer Friede durch die Begegnung der Weltkulturen". Dessen Initiator, der Bamberger Philosophie-Professor Heinrich Beck, unternimmt es denn auch, in seinem Schlusswort eindringlich auf die aktuellen Herausforderungen angesichts des 11. Septembers 2001 hinzuweisen und diese in Bezug zum "pan-sophischen Prinzip der Begegnung" zu setzen. Die Alternative zur Gewalt wäre nach der Friedensidee des Comenius "die Bereitschaft aller Beteiligten, sich gegenseitig als Menschen zu achten und auf dieser Grundlage miteinander ins Gespräch zu kommen", betont Beck, der sich vehement gegen Samuel Huntingtons populäre These vom "Kampf der Kulturen" wendet. Vielmehr arbeitet Beck die Bedingungen heraus, unter denen ein kooperativer Dialog der Kulturen möglich ist, ganz in der positiven Weiterführung von Comenius' Gedankengut. Dieser betonte nicht umsonst: "Wir sind angehalten, den Frieden ... mit allen aufzusuchen."
Erwin Schadel (Hg.): Johann Amos Comenius - Vordenker eines kreativen Friedens. Deutsch-tschechisches Kolloqium anlässlich des 75. Geburtstages von Heinrich Beck (Universität Bamberg, 13.-16. April 2004) unter der Schirmherrschaft des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Haus des Deutschen Ostens. Frankfurt/Main: Verlag Peter Lang 2005. (= Schriften zur Triadik und Ontodynamik, Band 24) ISBN 3 631 52851 5