In der "Konfrontativen Pädagogik" wird dem Kuscheln in Form von Zuwendung und Betreuung weniger Priorität beigemessen. Im Vordergrund stehen fortan strikte Regeleinhaltung und verantwortungsvolle Aufgabenerfüllung. (Bild: Photocase)

- Anke Stiepani

Wider die Kuschelpädagogik

Interdisziplinäres Symposium „Konfrontative Pädagogik“

Drill und Dressur sind out. Kuscheln und Verständnis brachten nicht den gewünschten Erfolg. Was kann die so genannte „Konfrontative Pädagogik“ leisten? Vom 10.-12. Oktober 2005 beschäftigte diese Frage ein interdisziplinäres Symposion im Marcus-Haus. Eingeladen hierzu hatten der Lehrstuhl Allgemeine Pädagogik mit Prof. Dr. mult. Georg Hörmann und die Gesellschaft für Gruppenarbeit in der Erziehung (GGE).

Einleitend stellte Hörmann fest, dass noch ein recht unklares Bild darüber bestehe, was die Theorie der Konfrontativen Pädagogik überhaupt sei. Er beruft sich auf die Autoren Jens Weidner und Rainer Kilb, wenn er sagt, Konfrontative Pädagogik beinhalte, dass der delinquente Jugendliche mit jedem Aspekt seines abweichenden Verhaltens unmittelbar und ohne Ausnahme konfrontiert werde und dass Rechtfertigung beziehungsweise Neutralisierung nicht akzeptiert würden. Die umstrittenen konfrontativen Methoden seien nicht neu und vor allem (noch) nicht als in sich geschlossenen Theorie zu betrachten. Vielmehr sollen sie als sinnvolle Ergänzung neben anderen Konzepten der pädagogischen Arbeit für einen bestimmten Adressatenkreis betrachtet werden, wenn andere Methoden der Sozialarbeit nicht mehr ausreichen, sie sollen quasi als pädagogische ultima ratio fungieren. Nicht nur in der Jugendarbeit und Jugendhilfe sei konsequente Grenzsetzung angebracht, auch im täglichen Erziehungsalltag mache sich angesichts ver- statt er-zogener Kinder Ratlosigkeit breit. Ergänzend in diesem Sinne gibt PD Dr. Dr. Elisabeth Zwick von der Ludwig-Maximilians-Universität München zu bedenken, dass Erziehung nicht rational geschieht. Es sei also wichtig, seine eigenen Denkmuster zu kennen, sowie die des Kindes, welches ich als „schwierig“ erachte. Ebenso sei es erforderlich, sich dem sozialisationstheoretischen Hintergrund des Kindes zu nähern, also die Bedingungen des Aufwachsens unter die Lupe zu nehmen.

Heutige Bedingungen des Aufwachsens

Hörmann glaubt, die aktuelle Orientierungslosigkeit in Erziehungsfragen resultiere vor allem aus der Angst, Erziehungsfehler aus früheren Zeiten, zum Beispiel Drill, Dressur, physische und psychische Misshandlung, zu wiederholen. Er vertritt die Meinung, dass sowohl das verwöhnte als auch das vernachlässigte Kind missbraucht wird. Kinder und Jugendliche hätten unter der „Kuschelpädagogik“ und unter dem „übertriebenen Kinderkult“ ihrer Eltern zu leiden. Was sie aber dringend bräuchten, wäre „mehr Erziehung“ und Disziplin.

Prof. Dr. Wolfgang Tischner von der Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg veranschaulicht die Bedeutung des Fehlens von Vätern in der Erziehungsarbeit. Die Familie sei auch immer weniger das, was sie sein sollte, nämlich ein Ort mit geordnetem, berechenbarem sozialen Kontext, der die oft nicht optimalen sozialen, ökologischen und materiellen Lebensbedingungen abfedern kann und „Nestwärme“ bietet. Diese Aussage untermauert Prof. Dr. Rainer Winkel von der Universität der Künste Berlin, anhand von Fallbeispielen dreier verwahrloster Kinder unserer Zeit. Hier wurden desolate Familienverhältnisse nicht wahrgenommen, ein „Systemversagen“ der zuständigen gesellschaftlichen Institutionen und der Familien.

Vor allem die übertriebene Darstellung in den Medien, wenn jenes „Systemversagen“ straffälligen Nachwuchs produziert hat, fördere den Ruf nach „weniger Sozialklimbim“, nach härteren, freiheitsentziehenden Strafen. Prof. Dr. Bernd-Ruedeger Sonnen von der Universität Hamburg bringt juristische Fakten: 95 Prozent der von Jugendlichen begangenen Straftaten seien ‚normal’ in der Grenzfindungssituation des Erwachsenwerdens. Auf die Frage, welche Chance die Prävention bei den verbleibenden 5 Prozent habe, antwortet er: „Es ist sehr wichtig, diese 5 Prozent rechtzeitig zu erkennen. Und die beste Kriminalprävention ist eine gute Sozialpolitik.“ Die heutige pädagogische Tendenz sei eher: Weg vom Strafrecht – hin zur Jugendhilfe. Warum dem so ist, wies Dr. Joachim Walter, Leiter der JVA Adelsheim, anhand eindrucksvoller statistischer Daten seiner Einrichtung nach, die den Vorteil pädagogischer (konfrontativer) Maßnahmen belegten, wie sie auch im Modell „Projekt Chance e. V.“ umgesetzt werden.

Zwei Modelleinrichtungen der Konfrontativen Pädagogik

Um den Ansatz der Konfrontativen Pädagogik zu verdeutlichen, wurden auf dem Symposion zwei pädagogische Einrichtungen des Jugendstrafvollzuges vorgestellt, die Modellcharakter für den Einsatz von konfrontativen Methoden haben.

„Das Projekt Chance e. V. im deutschen Creglingen ist als Schnittstelle zwischen Jugendhilfe und Justiz zu verstehen und bringt deutlich mehr als eine Vermeidung von Rückfälligkeit“, erklärt Dr. Thomas Trapper, Leiter der Einrichtung. Die jugendlichen Mehrfach- und Intensivtäter erwarte im Projekt Chance ein straff strukturierter Tagesablauf, tägliche Verhaltensbewertung und herausfordernde Aufgaben.

Es werde mit einem Privilegiensystem gearbeitet, ganz ähnlich wie in der stationären Einrichtung des Jugendhilfevollzuges Glen Mills School in Philadelphia, USA. Prof. Dr. Herbert Colla von der Universität Lüneburg beschreibt den Alltag der überwiegend gangorientierten Straftäter so: „Es wird gnadenlose Normalität erzeugt! Das Milieu ist geprägt durch Abwesenheit von Subkultur, fehlender Privatheit, strikte Einhaltung von Regeln sowie Schutz und Sicherheit in der Gemeinschaft.“ Die Pädagogen dort glaubten an die Veränderbarkeit des delinquenten Verhaltens und stünden für Zuverlässigkeit, Berechenbarkeit und enge persönliche Beziehungen.

Um sich einen persönlichen Eindruck über diese Art der Jugendhilfeeinrichtung zu verschaffen, fand am Ende des Symposions eine Exkursion zum Projekt Chance in Creglingen statt.

Dass alle Beiträge zu reger Diskussion der Zuhörerschaft und fachkundiger Debatte der Referierenden führten, wertete Prof. Dr. Dr. Georg Hörmann  in seinem zusammenfassenden Schlusswort als Indiz für die Notwenigkeit des stattgefundenen Symposions, welches gerade durch die hier vollzogenen unterschiedlichen Zugangswege zur Problematik der „Konfrontativen Pädagogik“ eine Perspektivenerweiterung ermöglichte.

Weitere Informationen:

Weidner, Jens und Rainer Kilb (Hrsg.): Konfrontative Pädagogik. Konfliktbewältigung in sozialer Arbeit und Erzeihung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004.