Reaktionen der Theologie auf die Große Welle
Die ganze Welt war erschüttert, als die Flutwelle in Asien kurz nach Weihnachten 2004 Tausende in den Tod riss und Abertausende im bloßen Elend zurückließ. Überall versuchten die Menschen zu helfen, aber auch zu verstehen, was da eigentlich geschehen war. Einmal mehr stellten sich viele die Frage nach dem „Warum“ und nicht zuletzt: „Wieso lässt Gott so etwas zu?“. Wenige Tage nach dem schrecklichen Ereignis kam Prof. Dr. Heinz-Günther Schöttler, Professor für Pastoraltheologie und Kerygmatik, die Idee, mittels einer empirischen Studie zu untersuchen, wie Prediger und Predigerinnen das scheinbar Unerklärliche in ihren Predigten behandeln. Das Zwischenergebnis dieser Studie mit dem Titel „Tsunami - verschlägt es uns die Sprache? Sinnmuster und Bearbeitungsmodi einer Katastrophe in Predigten des deutschsprachigen Raumes“ stellte Schöttler zusammen mit Dr. Johannes Först und Wolfgang Först M. A. am 4. November 2005, im Hörsaal 2 der Fakultät Katholische Theologie vor.
Dem Theologen war klar, dass die meisten Predigerinnen und Prediger auf die Katastrophe reagieren würden. Das Besondere an der Thematik: Es gab keinerlei einschlägige Predigtliteratur, Hirtenbriefe oder ähnliches, auf die sich die Predigerinnen und Prediger beziehen konnten. Folglich würden in diesen unmittelbar nach dem Tsunami verfassten Predigten die persönlichste Theologie und Spiritualität des Einzelnen zum Vorschein kommen. Schnell war der Beschluss gefasst, per Internetrecherche Predigten aus diesem Zeitabschnitt zu sammeln und auszuwerten, um herauszufinden „inwiefern Prediger das Thema zur Sprache gebracht haben - oder ob und wie es ihnen die Sprache verschlagen hat“, so Schöttler.
Drei Sinnmuster
In den gesammelten Predigten konnten drei Sinnmuster ermittelt werden:
Zum einen wurde das Seebeben häufig als Folge menschlichen Handelns beziehungsweise Fehlverhaltens ausgelegt. Fehlende Frühwarnsysteme aber auch fehlendes instinktives Verhalten der Betroffenen wurden zur Begründung der Katastrophe und ihres Ausmaßes herangezogen. So kommt es in einem der untersuchten Texte zu folgender Betrachtung: „Es ist bemerkenswert, dass die Tiere in der Wildnis – im Gegensatz zum Menschen – ein Gespür für die herannahende Gefahr hatten und rechtzeitig geflohen sind.“
Die Katastrophe als konkret lesbares Zeichen zu deuten, bildet, so die Studie, die zweite Sinnebene. Hier wurde das allgemeine Weltbild von Allmachbarkeit und ungebremsten Fortschritt neu überdacht und revidiert. Die Menschen sollten im Zuge dessen wieder zu mehr Glaube und Frömmigkeit finden und den Schrecken als Mahnung interpretieren, wie folgendes Textbeispiel besagt: „Eine Mahnung sollte es sein! Nicht eine Strafe gegen jeden Einzelnen der Betroffenen, sondern eine Mahnung gegen die Welt, gegen die Ausbeutung der Natur, gegen die Vergewaltigung der Natur, gegen den Missbrauch unseres Planeten durch Auswilderung und Ausbeutung von Mensch, Tier, Pflanze und Mineral.“
Ein dritter Ansatz findet sich in der Nicht-Erklärbarkeit der Katastrophe. Anstelle der persönlichen Auslegungen der Theodizeefrage stand oftmals schlichte, allzu menschliche, Ratlosigkeit und die klare Verneinung von Zweck und Ziel des scheinbar Unerklärlichen.
„Pädagogischer Nutzwert“ der Katastrophe
Neben der Sinnfrage untersuchten die Wissenschaftler typische Bearbeitungsmuster der Katastrophe. Hier konnten drei Formen des Umgangs ermittelt werden:
Erstens der Versuch einer Erklärung. So musste in einer Predigt der fehlende Gottesbezug in der EU-Verfassung zur Begründung herhalten. Ein zweiter Weg des Umgangs: Die Katastrophe wird bearbeitet, indem man ihr einen bestimmten pädagogischen Nutzwert zuerkennt: „So können wir wieder sensibel werden für Gottes Warnungen; So können wir aber vor allem wieder neu lernen zu empfangen, uns von Gott beschenken zu lassen“. In einem dritten Bearbeitungsmodus wurde durch offenes Fragen, Klagen und auch Anklagen Gottes Solidarität mit den Betroffenen bekundet.
Nach seinem persönlichen Umgang in Predigt und Gottesdienst gefragt, antwortete Schöttler, er habe das Thema in der Predigt vorerst ausgespart. Der richtige Ort wären für ihn die Fürbitten gewesen.
Die Studie will „einen Beitrag zum Verständnis leisten, wie gegenwärtig angesichts katastrophaler Ereignisse Gottesbilder formuliert und wie sie in Predigten eingesetzt werden. Die Ergebnisse sollen allen, die mit Predigten und öffentlichen theologischen Stellungnahmen beruflich befasst sind, helfen, ihr Handeln zu reflektieren“. Sie erscheint im kommenden Jahr unter dem Titel:
Först, Johannes/Wolfgang Först und Heinz-Günther Schöttler (Hg.): Eine von der Großen Welle überrollte Theologie? Der Tsunami in Predigten zur Jahreswende 2004/2005. Münster 2006 (= Biblische Perspektiven für Verkündung und Unterricht 2).