Landkarte des europäischen Handelsraums im 15. und 16. Jahrhundert (Bild: AGDaF)

Sprachliche und kulturelle Hürden galt es für Händler auf der ganzen Welt zu bewältigen (Bild: photocase)

Das "Fondaco dei Tedeschi" - das "Deutsche Haus" - galt als Handelszentrum im mittelalterlichen Venedig (Bild: AGDaF)

Ausschnitte aus dem Manuskript Georg von Nürnbergs (Bild: AGDaF)

- Holger Klatte

Sprachliche und kulturelle Hürden

Symposion "Ein Franke in Venedig": Georg von Nürnbergs Sprachbuch (1424)

Wer reist und über Grenzen hinweg Handel betreibt, trifft auf sprachliche und kulturelle Hürden. Weil heutzutage der Markt keine Sprach- und Kulturgrenzen mehr berücksichtigt, sind Fremdsprachenkenntnisse sowie Wissen und Toleranz gegenüber anderen sehr gefragt. Heutzutage? Ähnliche Schwierigkeiten hatten Händler schon immer zu bewältigen. Fremde Sprachen mussten gelernt, fremde Sitten verstanden werden. Die Arbeitsstelle zur Geschichte des Deutschen als Fremdsprache (AGDaF) an der Universität Bamberg hatte vom 1.-2. Juli Wissenschaftler aus ganz Europa eingeladen, um Erkenntnisse über das Fremdsprachenproblem im Handelsraum Europa im 15. und 16. Jahrhundert zusammenzutragen.

Im mittelalterlichen Venedig hatte man dieses Problem erkannt. Der Handel mit dem Ausland florierte. Insbesondere die Reichsstadt Nürnberg war als Umschlagsplatz für Waren aus Asien und dem Nahen Osten ein wichtiger Handelspartner. Nürnberger Kaufleute waren neben Augsburgern und Regensburgern im "Fondaco dei Tedeschi", dem "Deutschen Haus", in dem Kaufleute ihre Kontore führten, am häufigsten vertreten. Marlene Schmidt M.A. vom Institut für Regionalgeschichte "Geschichte Für Alle e.V." erläuterte diese lebendige Welt der Deutschen in Venedig, die von dort vor allem Gewürze, Schmuck und Stoffe importierten.

Georg von Nürnberg und seine Schule für Wirtschaftsdeutsch

Venedig ist auch die Stadt, die Einblicke in die Maßnahmen gewährt, die Händler trafen, um einander zu verstehen. Handschriftliche Quellen aus dem 15. Jahrhundert beweisen, dass es dort institutionellen Deutschunterricht gab. Das erste Manuskript, das wir kennen, stammt aus dem Jahr 1424. Es besteht aus einem italienisch-deutschen Vokabular, in dem auch Bereiche der Grammatik erklärt werden, und einigen Dialogen, in denen Szenen beim Tuchhandel oder Gespräche in der Schule nachgestellt werden. Es feilschen zwei Händler um den Preis, Schüler unterhalten sich über das venezianische Nachtleben. Der Verfasser dieser Handschrift ist nicht genannt. In den Dialogen ist von einem gewissen Georg die Rede, einem jungen Mann aus Nürnberg, der in der Nähe des "Fondaco dei Tedeschi" eine Schule für Wirtschaftsdeutsch betrieb. Dieser Georg von Nürnberg ist wahrscheinlich einer der ersten Unternehmer, der Geld verdiente, indem er Venezianern Deutsch beibrachte.

Eigentlich gilt Latein als die verbindende Sprache im mittelalterlichen Europa, erläuterte Prof. Dr. Helmut Glück (Universität Bamberg). Jedoch sprachen es nur wenige Kaufleute und die, die es gelernt hatten, konnten nicht sicher sein, dass es die Geschäftspartner im Ausland ebenfalls verstanden. Selbst wenn dies der Fall war, trafen Reisende auf Wirte, Hufschmiede und andere, mit denen sie sprechen mussten - und dies am besten in der Landessprache. Nicht überall waren die Probleme dieselben: Prof. Dr. Vibeke Winge (Universität Kopenhagen) konnte berichten, dass die Norddeutschen die Bewohner Dänemarks und Schwedens, mit denen sie Handel betrieben, besser verstehen konnten, als Reisende aus Süddeutschland. Niederdeutsche Dialekte waren den nordischen Sprachen recht ähnlich. Zudem war das Deutsch, welches in Lübeck gesprochen wurde, zeitweise das allgemeine Kommunikationsmittel der Hanse.

Sprachbuch als "Hand des Lehrers"

Georg von Nürnbergs Buch ist das älteste heute bekannte Manuskript, das Unterricht im Deutschen als Fremdsprache darstellt. Bereits aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts sind jedoch weitere Bücher erhalten, die ebenfalls das Deutsche mit anderen europäischen Sprachen verbinden. Viele dieser Vokabulare und Gesprächsbücher sind sogar direkt mit dem Buch des fränkischen Lehrers in Venedig verwandt. Dipl.-Germ. Tina Morcinek (Universität Bamberg) referierte über ein katalanisch-deutsches Vokabular aus dem Jahr 1502, das große Ähnlichkeit mit dem Buch aus dem "Fondaco de Tedeschi" hat. Sprachbücher, die das Deutsche mit anderen Volkssprachen zu Unterrichtszwecken verbinden, wurden außerdem für die skandinavischen Sprachen, für das Tschechische und für das Polnische vorgestellt. Ivonne Pörzgen M.A. (Universität Bamberg) berichtete über ein aktuelles Projekt an der AGDaF, bei dem deutsch-polnische Unterrichtswerke von den Anfängen bis 1918 bibliographiert werden. Einen der ersten Drucke aus dieser Reihe stellte Prof. Dr. Ingrid Maier (Universität Uppsala) vor, ein polnisch-deutsches Sprachbüchlein aus Wittenberg von 1522.

Prof. Dr. Konrad Schröder (Universität Augsburg) hat darüber nachgedacht, wie der Unterricht bei Georg von Nürnberg abgelaufen sein könnte. Er kam zu dem Ergebnis, dass Georg seine Schüler einzeln unterrichtet haben muss. Das Sprachbuch könnte die Grundlage für diesen Unterricht gewesen sein und zwar für die "Hand des Lehrers", so Schröder. Es enthielt Ansätze zu Vermittlung der Grammatik, wie Adjektivsteigerungen und Konjugationsübungen, sowie einen nach Sachgruppen geordneten Grundwortschatz. Diese Stoffgliederung sei im Unterricht leicht variierbar gewesen.

Für sehr modern in seiner Ausrichtung hielt Dr. Jochen Pleines (Landesspracheninstitut Nordrhein-Westfalen) den Sprachlehrer in Venedig. Das Konzept des kommunikativen Sprachunterrichts und der Zuschnitt des Unterrichts auf bestimmte Sprechsituationen, z.B. das Feilschen um den Preis, seien universell einsetzbar. Pleines nannte Georg von Nürnberg einen Menschen, der die Bedürfnisse erkannte, die aus einem europaweiten Handel entstehen. Er sei sicher, dass die auf Wirtschaftsbeziehungen ausgerichtete Sprachen- und Kulturvermittlung auch im gegenwärtigen Europa an Bedeutung gewänne. Leider würden diese Zusammenhänge nicht ernst genommen. "Es ist doch eigenartig, dass die Hälfte der Slavistik-Lehrstühle in Deutschland abgeschafft wird, während Russland zum größten Handelspartner Europas wächst", so Pleines.