Bereits zum 22. Mal veranstaltete die Gesellschaf für Neuropsychologie ihre Jahrestagung, diesmal in Bamberg (Bild: GNP)

Blumen zu Eröffnung der Tagung (von links): Ralf Rosen, Stefan Lautenbacher, Hartwig Kulke, Heinrich Rudrof, Andreas Starke, Hendrik Niemann, Melanie Huml und Thomas Goppel (Bilder: Pressestelle)

Nur mit dem Buch unter dem Kissen geht es nicht: Jan Born bei seinem Vortrag über Lernen im Schlaf

- Claudia Huber

Spannender Dialog statt künstliche Kluft

Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis auf der 22. Jahrestagung der Gesellschaft für Neuropsychologie

 

Die 22. Jahrestagung der Gesellschaft für Neuropsychologie (GNP) wurde von der Abteilung Physiologische Psychologie unter Prof. Dr. Stefan Lautenbacher und der Fachklinik Herzogenaurach, vertreten durch Dr. Hartwig Kulke, ausgerichtet und lockte vom 4. bis 7. Oktober über 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie viele Praktiker nach Bamberg. Die Fachklinik Herzogenaurach als Rehaklinik bot den perfekten Rahmen für die Gestaltung des praxisorientierten Workshopteils. Diese Klinikeinbindung verdeutliche, dass die neuropsychologische Wissenschaft in Bamberg „nicht im wissenschaftlichen Elfenbeinturm, sondern im Dienste der Gesellschaft“ stehe, hob Vizepräsident Rainer Drewello in seinem Grußwort hervor. Dank der großzügigen Unterstützung von Seiten der Otto-Friedrich-Universität konnte sich Bamberg ohne Scheu vor Vergleichen in die Reihe der Großstädte als bisherige Veranstaltungsorte – genannt seien hier beispielhaft Berlin und Zürich – eingliedern. Der 1. Vorsitzende der GNP, Dr. Hendrik Niemann, betonte, dass es besonderes Anliegen der GNP sei, sowohl die wissenschaftliche als auch die praktisch klinische Seite der Neuropsychologie zu fördern und wichtigen berufspolitischen Zielen Geltung zu verschaffen. Der Workshop-Kongress lieferte hierfür sicherlich hervorragende Bedingungen. So nannte auch Wissenschaftsminister Dr. Thomas Goppel die Kooperation mit Herzogenaurach eine „exzellente Idee“. Er hob den hohen Stellenwert hervor, den Bamberg zunehmend in der bayerischen Wissenslandschaft einnehme. Die Bamberger Psychologie leiste hierbei nicht zuletzt durch die Errichtung einer Professur für Psychopathologie und die Planung einer zweiten Professur im Rahmen der allgemeinen Psychologie einen wesentlichen Beitrag.

Die Landtagsabgeordnete Melanie Huml, die als Ärztin großes persönliches Interesse an neuropsychologischen Themen hat, unterstützte die Veranstalter in vielerlei Hinsicht bei der Organisation. Oberbürgermeister Andreas Starke war es „eine Ehre und Freude“, die GNP-Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer in Bamberg begrüßen zu dürfen und hoffte auf gutes Gelingen beim Spagat zwischen fleißigem Kongressbesuch und Genuss der Sehenswürdigkeiten unserer Weltkulturerbestadt!

„Lernen im Schlaf – kein Traum“

Am Freitagmorgen wurde unter dem Titel „Lernen im Schlaf – kein Traum“ die Vortragsreihe von Prof. Dr. Jan Born aus Lübeck begonnen. Der Schlafforscher zerstörte leider die Hoffnung, dass ein Buch unter dem Kopfkissen zur Wissensvermehrung führe, denn „Lernen und Abruf finden immer und am effizientesten im Wachzustand statt“. Warum ausreichender und rechtzeitiger „Behaltensschlaf“ jedoch für die Verarbeitung und Speicherung von Wissensinhalten so wichtig ist, erläuterte Born anhand zahlreicher spannender Studienergebnisse.

In den weiteren Plenarsitzungen am Freitag und Samstag wurden die Zuhörerinnen und Zuhörer auf den neuesten Forschungsstand für die Störungsgebiete Anosognosie, Demenz und Depression beziehungsweise deren Behandlungsmöglichkeiten gebracht. Bei der Anosognosie handelt es sich um ein schwieriges Phänomen, das durch fehlendes Krankheitsbewusstsein trotz offensichtlicher neurologischer Ausfallerscheinungen, wie zum Beispiel Lähmung einer Hand, gekennzeichnet ist. Entsprechend schwierig gestaltet sich die therapeutische Behandlung der Betroffenen, die ja von ihrer Gesundheit überzeugt sind. „When brain is damaged, it does not know that it is damaged“, brachte Prof. Dr. George P. Prigatano aus Phoenix/Arizona die Problematik der Behandlung auf den Punkt.

Motivation im Kontext der Rehabilitation

Viele klinische Neuropsychologen kennen wahrscheinlich das Problem: Einige Patienten bleiben oft nicht so recht bei der Sache, arbeiten nur halbherzig an den Therapiezielen mit, kurz: sie sind nicht motiviert. Schlaganfallpatienten fällt oft an sich selbst auf, dass ihnen seit der Erkrankung jegliche Initiative fehlt, und auch die Angehörigen bestätigen diese Veränderung. Vor allem bei demenziellen Erkrankungen leiden die Betroffenen oft an verminderter Motivation. Eine besonders schwere Form der Motivationsstörung, die so genannte Apathie, ist eines der häufigsten neuropsychiatrischen Symptome, an dem demenziell erkrankte Personen leiden. Um dieses Symptom bei demenzerkrankten Pflegeheimbewohnern valide und gleichzeitig möglichst ökonomisch erfassen zu können, entwickelte Dr. Ulrike Lüken aus Dresden eine deutsche Kurzversion der Apathy Evaluation Scale. Mit Hilfe dieses Instruments können Apathiesymptome frühzeitig erkannt und passende Interventionsschritte geplant werden. Prof. Dr. Siegfried Gauggel aus Aachen, der das Symposium zum Thema „Neuropsychologie von Motivationsstörungen“ leitete, wies eindringlich darauf hin, dass „gerade auch für die Rehabilitation der Blickwinkel auf die Motivation ganz wichtig“ sei.

Was tut sich im Gehirn bei Psychotherapie?

Dass Psychopharmaka eine Wirkung auf Gehirnabläufe nehmen, daran besteht für die meisten Menschen kaum ein Zweifel. Eher fraglich erscheint manchem leider immer noch die prinzipielle Wirksamkeit von Psychotherapie. In der Neuropsychologie wird deshalb intensiv daran gearbeitet, Nachweise von Veränderungen der funktionellen Neuroanatomie durch psychotherapeutische Interventionen zu liefern. Im Rahmen des Symposiums „Neurobiologie der Psychotherapie“ ging unter anderem Prof. Dr. Rudolf Starke folgender Frage nach: „Wie kann man therapeutische Veränderungen im Kernspin nachweisen?“ Er untersuchte Menschen mit exzessiver Angst vor Spinnen (Spinnenphobie) im funktionellen Kernspintomographen vor und nach einer therapeutischen Intervention. Bei der Kernspintomographie handelt es sich um ein bildgebendes Verfahren, mit dessen Hilfe die Aktivität von Gehirnstrukturen dargestellt werden kann. Die Auswertung zeigte: Das vor der Therapie beim Anblick von Spinnenbildern stark aktivierte furchtassoziierte Netzwerk im Gehirn war nach der Intervention beim Anblick dieses Bildmaterials deutlich weniger aktiv, hatte sich im Vergleich zu gesunden Personen normalisiert. Stark zeigte sich hoffnungsvoll, dass diese viel versprechenden Ergebnisse neue Möglichkeiten auch im Bereich der Diagnostik eröffnen.

Zukunftsaussichten der Neuropsychologie

Für die klinische Neuropsychologie wird es im Rahmen der Masterausbildung zunehmend gute Integrationsmöglichkeiten geben, so dass Prof. Dr. Bernd Leplow aus Halle mit Überzeugung sagen konnte: „Ich halte die Zukunftsperspektiven der klinischen Neuropsychologie für hervorragend!“ Wie ist der Stand im Bereich der rehabilitativen Versorgung? Prof. Dr. Claudia Wendel von der Hochschule Magdeburg-Stendal weist hier eindringlich auf Ausbaubedarf hin. Auf den Gebieten der „flächendeckenden Versorgung mit ambulanten neuropsychologischen Angeboten und Versorgungsforschung“ müsse unbedingt mehr passieren als bisher, um die bestehende Unterversorgung in den Griff zu bekommen. Prof. Dr. Stephan Mühlig (TU Chemnitz) untermauert diese Forderung, indem er das „eklatante Missverhältnis“ zwischen Indikativpatienten und niedergelassenen Neuropsychologen aufzeigt: Rund 50.000 Patienten stehen gerade mal einige Hundert Niedergelassene gegenüber. Besonders dramatisch sei dieses Missverhältnis in den neuen Bundesländern ausgeprägt. Ausbaubedarf sieht auch Dr. Armin Scheurich für den Bereich Psychiatrie und Psychosomatik: Trotz vorhandenem Einsatzbedarf findet nur wenig neuropsychologische Psychotherapie in diesen Bereichen statt. „Das Potential der neuropsychologischen Psychotherapie als Behandlungsform wird noch nicht wahrgenommen“, schlussfolgerte Scheurich. Hier ist ein wichtiges Aufgabengebiet der nächsten Jahre zu sehen, damit der klinischen Neuropsychologie der Stellenwert verschafft wird, den sie verdient.