Die Erde eine Scheibe, der Himmel eine Käseglocke? Kein mittelalterliches Weltbild, sondern eine unsachgemäße Polemik von 1880, wie Bieberstein mit Nachdruck betont.
Klaus Bieberstein setzte sich kritisch mit unterschiedlichen Weltvorstellungen auseinander (Bilder: Dagmar Schönowsky).
So spannend kann Theologie sein! Viele Interessierte kamen zur Ringvorlesung.
„Freibier“ für die Erbauer der Arche
Ausgehend von biblischen Schöpfungserzählungen erläuterte Bieberstein unterschiedliche Weltbilder und bereinigte Missverständnisse. Er stellte zum Beispiel klar, dass die Kugelgestalt der Erde sehr wohl bereits seit biblischen Zeiten bekannt sei, die Bildersprache biblischer Texte allerdings oft zu wörtlich genommen und als naturwissenschaftliche Aussage der „vermeintlich primitiven Autoren“ fehlgedeutet werde.
Die Welt als Tannenzapfen
Mit einem Vergleich zu Ingeborg Bachmanns Gedicht „Anrufung des Großen Bären“ gelang dem Referenten nicht nur ein Brückenschlag in die Gegenwart, er veranschaulichte auch die Problematik des Interpretierens: „Anders als bei der Betrachtung biblischer Texte würde wohl niemand Bachmanns Beschreibung der Welt als Tannenzapfen wörtlich nehmen und behaupten, die Autorin wisse nichts von der Kugelform der Erde“.
Eine kontextorientierte Interpretation der Heiligen Schriften diene aber nicht nur dazu, falsche Schlussfolgerungen zu vermeiden, sie verdeutliche auch, dass diese Texte heute immer noch aktuell sind, erläuterte Bieberstein. Er belegte diese These unter anderem mit dem altorientalischen „Atram-Hasis-Epos“. Durch seine Ausführungen erschlossen sich dem Publikum der „Fluch der Arbeit“ und die Sterblichkeit als Fluchtpunkte des Epos und Kennzeichen der menschlichen Existenz. Das „Gilgamesch-Epos“ nahm als Folgebeispiel die Sintfluterzählung auf und verwies abermals deutlich auf die Sterblichkeit des Menschen. Mit humorvolle Aussagen oder Vermutungen wie „Freibier hat für die Arbeitskräfte an der Arche als Ablenkungsmanöver gedient, um sicherzustellen, dass das Ablegen der Arche von ihnen unbemerkt bleibt“, lockerte Bieberstein seinen Vortrag auf und sorgte für eine angenehme Atmosphäre im Raum.
Schöpfungserzählungen als Wegweiser
Am Ende des unterhaltsamen Abends stand die Erkenntnis, dass die biblischen und neuzeitlichen Assoziationen zum Begriff „Schöpfung“ weit auseinander gehen. Laut Bieberstein gilt „Schöpfung“ heute als „Synonym für unsere Sehnsucht nach einer vom Menschen noch unberührten Natur“ und damit als Gegenbegriff zu „Kultur“. Die biblische Denkweise hingegen versteht darunter das Gegenteil und sehnt Ordnung verbunden mit kultivierter Lebensweise in einer bedrohlichen Umwelt herbei.
„Die Schöpfungserzählungen“, resümierte Bieberstein „sollen als Notenschlüssel zur gesamten folgenden Menschheitsgeschichte dienen und vor Augen führen, was ursprünglich war, eigentlich sein müsste, aber verloren gegangen ist. So wurde mit dem Verlust des Paradieses der Weg geebnet für die Geschichte des Menschen, die geprägt ist von fortwährender Arbeit, der Sehnsucht nach Heil und dem unumgänglichen Ende im Tod.“
Weitere Informationen zur ZIS-Ringvorlesung
Die ZIS-Ringvorlesung gewährt Einblicke in die Lehren der drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Die Vorträge finden alle zwei Wochen jeweils donnerstags von 18.15 Uhr bis 19.45 Uhr im Hörsaal 133, An der Universität 2, statt.
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