„Lichtgestalten“
Eine Rezension von Prof. Dr. Ursula Philippi, Professorin für Orgel und Historische Aufführungspraxis
Welch ein herausfordernder Titel, mitten im November, dem düstersten aller Monate! Das Thema lockte am Sonntag, 18. November 2018, über zweihundert Interessierte in die AULA der Universität Bamberg. Deren Kammerchor und das Vocalensemble Würzburg gestalteten unter Leitung von Wilhelm Schmidts ein Chorkonzert. Schlank, weiß und mit halliger Akustik empfing das ehemalige Dominikanerkloster seine Gäste. Es galt, sich zunächst hineinzuhören in den besonderen Klang dieses Raumes. Über einem exquisiten Programm, das sie stimmlich maximal forderte, sind die beiden Kammerchöre zusammengewachsen. Nur gemeinsam war das Repertoire, das mit dem 16-stimmigen Der Abend op. 34/1 von Richard Strauß endete, zu meistern. Wilhelm Schmidts hat seinen Ensembles selten zu hörende Werke von höchster Raffinesse zugemutet.
In den ersten drei Gesängen wurde die Sonne angerufen. Ein ewiges Thema, eine Möglichkeit, Kontraste von glanzvoller stimmlicher Fülle bis hin zu düsterem Sprechchor zu erleben. In John Taveners The Eternal Sun baute sich zunächst ein bitonaler achtstimmiger Klang auf. Die Sonne erschien, strahlte in stimmlichem Glanz und beendete ihren Lauf in verlöschendem C-Dur, das sich noch, ehe es al niente verschwand, nach c-Moll eintrübte.
Sonnengesang des Pharao Echnaton
Peteris Vasks Māte saule (dt.: Mutter Sonne) und dem Sonnengesang des Pharao Echnaton in der Vertonung von Vagn Holmboe war gemeinsam, dass die Musik sich aus der Einstimmigkeit entwickelte. Der lettische Komponist Vasks erklang in der Originalsprache. Das sehr sorgfältig erarbeitete Saalprogramm bot, wie bei allen nicht deutschen Texten, eine Übersetzung. Ein gregorianisch anmutendes Motiv durchzog die Komposition. Aus ihm entwickelte sich das Stück, in Verbindung mit aleatorischen Elementen, frei gleitenden Klängen, die lauter und leiser den gesungenen Text begleiteten. Und welch ein Schluss: ein diatonischer Cluster aus fünfzehn Tönen, bis hin zum h‘‘ des Soprans, im fortissimo, eine Entfaltung enormer Klangfülle!
Bei Vagn Holmboes Solhymne ging es symphonisch ausladend zu. Der Chor stellte sich harmonischen Herausforderungen, die Respekt abnötigen. Mixturklänge, Rückungen, Wechsel vom Sprechen zum Singen und zurück, das schaffte dieses Ensemble und bewies, dass es mit moderner Chormusik sehr vertraut ist. Wiederum beeindruckte der Schluss: Bright art thou, sun. Statt im forte, wie es der erste Teil verlangte, endete der dritte Teil im decrescendo, das wirklich in die absolute Stille mündete. Bravo diesem Chor und seinem Dirigenten!
Musikalische Sonnenaufgänge
Zwei Sätze aus Joseph Haydns Streichquartett in B-Dur op. 76/4 gaben dem Chor Gelegenheit zu stimmlicher Erholung. Haydns Musik, am Beginn der Wiener Klassik verortet, kann zopfig und verstaubt, aber auch intensiv und geistreich daherkommen. Unabdingbar ist souveräne Beherrschung der Technik. Man entdeckte „Sonnenaufgangsmotive“, war aber nicht glücklich mit einem halben Haydn, der herhalten musste, damit die Chormitglieder Kräfte sammeln konnten.
Hugo Wolfs Einkehr stand dem Chor besonders gut. Oder waren es nur die zuhörenden Ohren, die Eichendorffs zarten dunklen Text in Verbindung mit kongenialer Musik besonders genossen? György Ligetis Èjszaka – Reggel (dt.: Nacht – Morgen) folgte auf dem Fuß und riss das Publikum aus allen Träumen. Auf eine Art war dies ein Höhepunkt des Abends: die Musik mitreißend rhythmisch, der Text exzentrisch, die Klänge trotz der Nähe zur Atonalität prägnant. Und der Chor: souverän auch im Ungarischen! Wie schafft es dieser Dirigent, seine Leute zu solchen Leistungen zu motivieren?
Abendständchen
Vor dem Schlussstück des Konzerts, Richard Strauss’ Der Abend, kapitulierte die Schreiberin dieser Zeilen. Selbst eine begeisterte Chorsängerin, stand sie einigermaßen fassungslos vor einem Werk, das eher für ein Orchester als für menschliche Stimmen erdacht wurde. Den Text aus dem vertrackten Zusammenhang herauszuschälen, fiel ihr schwer. Es ist ein Bild aus der griechischen Mythologie: Thetys und Phöbus, die Liebenden versinken in „duftende Nacht“. Zuhörende staunten, bewunderten die fast unmenschliche Anstrengung der Sängerinnen und Sänger und freuten sich über die Zugabe: Johannes Brahms’ Abendständchen.
Am nächsten Morgen lag Schnee auf Bambergs Dächern.