Schmerz – ein ganzheitliches Phänomen
Seelsorgerinnen und Seelsorger arbeiten im Krankenhaus täglich mit Medizinerinnen und Medizinern zusammen. „Medizinische Schmerztherapie ist ebenso wichtig wie eine ganzheitliche – und das heißt eben auch – geistliche Begleitung“, so Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sowie ehemaliger Theologieprofessor an der Universität Bamberg war Ehrengast bei einer Festveranstaltung am 10. Januar 2019 im früheren Jesuitenkolleg: Dort stellte sich der interdisziplinäre Promotionsschwerpunkt Resilienzfaktoren in der Schmerzverarbeitung öffentlich vor.
Der Schwerpunkt hat jenen ganzheitlichen Blick auf den Schmerz, von dem der EKD-Ratsvorsitzende sprach. Denn darin arbeiten die Fachbereiche Medizin, Psychologie und evangelische Theologie zusammen. „Die Kooperation besteht aus einem Dreieck: Die beiden Universitäten Bamberg und Würzburg kooperieren mit dem Evangelischen Studienwerk Villigst“, sagte der Sprecher des Promotionsschwerpunktes Dr. Stefan Lautenbacher, Professor für Physiologische Psychologie an der Universität Bamberg. Das Evangelische Studienwerk Villigst fördert deutschlandweit etwa 200 Promovierende, davon bis zu 20 im Schwerpunkt Schmerz, wie Studienleiterin Dr. Almuth Hattenbach sagte: „Eine Besonderheit unserer Promotionsförderung – im Unterschied zu den anderen Begabtenförderungswerken – sind Promotionsschwerpunkte, in denen ein Thema aus der Perspektive verschiedener Fächer bearbeitet wird.“
„Brückenschlag zwischen Natur- und Geisteswissenschaften“
Für die Förderung der fachübergreifenden Forschung bedankten sich der Würzburger Universitätspräsident Prof. Dr. Alfred Forchel und der Bamberger Vizepräsident Prof. Dr. Guido Wirtz beim Evangelischen Studienwerk. Auch in den Veranstaltungsvorträgen über den Schmerz spiegelte sich der „Brückenschlag zwischen Natur- und Geisteswissenschaften“, wie Stefan Lautenbacher es formulierte, wider. Er gehört dem interuniversitären Professorenteam an, das sich erfolgreich um die Förderung beworben hat. Zuvor hatte er bereits jahrelang mit Prof. Dr. Paul Pauli von der Universität Würzburg im Doktorandenprogramm Biopsychologie von Schmerz und Emotionen kooperiert.
Aktuell erhalten zwölf Promovierende ein monatliches Stipendium und Zugang zu einem umfassenden Bildungsprogramm. Die Weiterbildungsangebote und den Austausch mit anderen Fachbereichen thematisierte Cindy Strömel ebenfalls, die ihr Projekt als eine von vier Promovierenden vorstellte. Sie schreibt eine psychologische Doktorarbeit bei Stefan Lautenbacher, in der sie untersucht, wie sich Schlafentzug und Erholungsnächte auf die Schmerzhemmung auswirken: „Viele Studien konnten zeigen, dass schlechter Schlaf zu einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit führt“, erläuterte die Doktorandin. „Ich überprüfe nun, ob Erholungsschlaf nach Schlafentzug die auftretenden Schmerzveränderungen wieder normalisiert.“ Dafür untersucht sie, wie Probanden Druck- und Hitzereize in drei verschiedenen Situationen empfinden: nach einer erholsamen Nacht zu Hause, nach einer Nacht vollständigen Schlafentzugs und nach einer anschließenden Erholungsnacht.
Wenn Schmerz keinen Sinn ergibt
Das ist einer der Beiträge zum Schwerpunkt Resilienzfaktoren in der Schmerzverarbeitung, in dem Promovierende nach Faktoren suchen, die positive Effekte auf die Gesundheit haben und die Entstehung von Schmerzerkrankungen verhindern. In Seminaren tauschen sie sich untereinander und mit ihren insgesamt sechs Betreuerinnen und Betreuern über ihre Arbeiten aus. Weitere Doktorarbeiten beschäftigen sich etwa mit den Fragen, wie sich soziale Interaktionen auf das Schmerzerleben auswirken oder welchen Sinn Schmerz für diejenigen macht, die mit ihm leben müssen.
Vor allem bei der Sinnfrage ist die theologische Perspektive auf den Schmerz gefragt. „Religionen helfen, mit Leiden umzugehen, die keinen Sinn ergeben“, meinte Heinrich Bedford-Strohm und nannte Beispiele aus den Weltreligionen, ehe er das Christentum in den Blick nahm: „Ich wüsste nicht, was mehr Trost und Kraft bei der Schmerzbewältigung geben könnte als das Gefühl, im finstern Tal von einem Gott begleitet zu werden, der in dem Menschen Jesus selbst die tiefsten Abgründe menschlichen Leides erfahren hat.“ Als Symbol für die evangelische Theologie ist der leidende Christus auch auf dem Veranstaltungsplakat abgebildet – und daneben ein schmerzender Rücken, der für Medizin und Psychologie steht.