Auf dem Podium saßen (v. l. n. r.) Reinhard Zintl (Professor am Lehrstuhl für Politikwissenschaft der Otto-Friedrich-Universität Bamberg), Eva Krovová (Tschechische Universität Ústí), Moderator Christian Reinisch (Fränkischer Tag), Ursula Dahmen (Siemens AG Görlitz) und Dr. Ehrhart Neubert (Ehemaliger Mitarbeiter der Birthler-Behörde) (Foto: Konrad Welzel).
„Eine erfolgreiche Einheit bedeutet Arbeit“
Am 9. November 1989 war es vollbracht. Der SED-Funktionär Günter Schabowski verkündete auf einer Pressekonferenz in Ost-Berlin ganz nebenbei die Öffnung der Berliner Mauer. Für viele Deutsche ist dieses Datum deshalb ein besonderer Feiertag. Bei der Podiumsdiskussion im Marcus-Haus der Otto-Friedrich-Universität Bamberg zum 20. Jahrestag des Mauerfalls machte Moderator Christian Reinisch allerdings klar, dass es ein langer und mühsamer Weg bis dorthin war. Zustimmung bekam er von Dr. Ehrhart Neubert, Bürgerrechtler und ehemaliger Mitarbeiter der Birthler-Behörde: „Der 9. November ist die Frucht eines monatelangen friedlichen Widerstands.“
Der thüringische Theologe trat in der DDR als Oppositioneller auf und erlangte nach der Wiedervereinigung durch seine jahrelange Arbeit mit den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes einen Einblick, wie flächendeckend und unwürdig die Stasi gearbeitet hat. „Sie haben unzählige Menschenrechtsverletzungen vollzogen“, verdeutlichte Neubert. Umso erstaunlicher sei es für ihn gewesen, dass sich die Bürger selbst getraut haben, in zahlreichen Veranstaltungen gegen den Staat zu demonstrieren. Auch wenn es bis zum Schluss für alle unvorstellbar gewesen sei, die Stasi tatsächlich zu besiegen. Der Bürgerrechtler wies jedoch auch darauf hin, wie stark die Schulen Kinder und ganze Familien beeinflussten und unter Druck setzten: „Schulen waren noch schlimmer als die Stasi. Dort gab es tagtäglich Demütigung und Ausgrenzung.“
Die vergessene Geschichte
Wie wichtig die Parteitreue im Ostblock war, berichtete Eva Krovová aus Tschechien. Sie lebte in der ehemaligen Tschechoslowakei und wollte nach ihrem Abitur auf Lehramt studieren. Doch da ihr Vater als Reformkommunist galt, wurde ihr dieser Wunsch mit den Worten „sie sind politisch unzuverlässig“ sofort abgeschlagen. Dennoch hat sie es später über Umwege geschafft, Lehrerin zu werden. Heute unterrichtet sie an der tschechischen Universität in Ústí und arbeitet als Austauschkoordinatorin. Da sie die harten und schwierigen Jahre des Kommunismus selbst erlebt hat, liegt ihr besonders am Herzen, dass die Menschen die Vergangenheit nicht zu schnell vergessen. „Gäbe es das Jahr 1989 nicht, könnte ich heute nicht so frei hier sitzen“, erzählte Krovová mit glänzenden Augen.
Den Sprung vom Westen in die neuen Bundesländer wagte Ursula Dahmen. Die gebürtige Fränkin arbeitet seit 2002 in der Personalabteilung der Siemens AG in Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands. Sie hat nach dem Mauerfall sowohl die positiven Reaktionen und Veränderungen in der ehemaligen DDR, aber auch die Bedenken zur Wiedervereinigung kennengelernt. So treffe sie auch heute immer wieder Personen, die dem Ostblock nachtrauern: „Arbeitslosigkeit ist einfach ein großes Problem. Und ich weiß, dass es Menschen gibt, die auf der Verliererseite stehen. Denen muss man auch heute noch ein offenes Ohr für ihre Probleme schenken.“ Dennoch blickte Dahmen bei der Podiumsdiskussion überwiegend positiv auf die vergangenen Jahre zurück und sieht einen allmählichen Aufwärtstrend im Osten der Republik.
Über „Einheit“ und „Vielfalt“ des vereinten Deutschlands
Reinhard Zintl ist Professor für Politikwissenschaft der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und äußerte während der Veranstaltung im Markushaus seine generelle Unzufriedenheit mit dem Begriff „Einheit“. „Rechtlich ist dieser Begriff sicherlich richtig. Aber sozial, kulturell und strukturell kann eine Einheit nicht durch eine gemeinsame Verfassung erzwungen werden.“ Es könne daher nur Aufgabe der Politik sein, an der Beseitigung von Ungerechtigkeiten zu arbeiten - während Vielfalt und Unterschiedlichkeit ansonsten in einer freien Gesellschaft nicht als Problem betrachtet werden sollten. Als Politikwissenschaftler empfand Zintl die Wiedervereinigung als solche ohnehin als zweitrangig: „Der entscheidende Punkt war für mich damals die wiedererlangte Freiheit der DDR-Bürger.“
Der Bürgerrechtler Ehrhart Neubert griff den Aspekt der Einheit auf und sprach von dem in der Opposition vorherrschenden „utopischen Glauben“, dass im Osten nach der Wende ein Paradies entstehen könnte. Die gesamte Wirtschaft sei zusammengebrochen und für einen Aufbruch sei kein Geld da gewesen, erklärte er selbstkritisch. Für ihn sei es außerdem wichtig, kein „vereinheitlichtes“ Deutschland zu schaffen, denn „schon durch die individuelle Geschichte der Bundesländer werden Unterschiede innerhalb Deutschlands bleiben.“ Und ein gewisses Maß an Pluralität und Vielfältigkeit sei in einer vereinten Bundesrepublik durchaus erwünscht und trage zu einer intakten Gesellschaft bei.