- Dr. Roland Bätz

Organisationspädagogik der Schule. Grundlagen pädagogischen Führungshandelns

Bemerkungen zu dem neuen Buch von Heinz S. Rosenbusch

Rosenbusch, Heinz, S. (2005): Organisationspädagogik der Schule. Grundlagen pädagogischen Führungshandelns. München, Neuwied: Luchterhand. 34,90 EUR, ISBN 3-4720-6227-4

 

Es liegt vor: Ein handlicher Band, der die Breite des Themas der Reform der Schule bzw. Pädagogischen Schulentwicklung aus der Sicht eines Schulmannes und Schulforschers souverän portioniert, komponiert und kritisch kommentiert, zielstrebig bedacht, insbesondere die Debatte der Grundlagen pädagogischen Führungshandelns vorzubereiten (Kapitel 6 und 7), zu fo-kussieren (Kapitel 8 und 9) und mit konkreten Vorschlägen zur Rekrutierung des pädagogischen Führungspersonals abzuschließen (Kapitel 10).

Pikant ist die Rolle desjenigen, der - wie Rosenbusch - die Eigenverantwortlichkeit der Schule und die Pädagogische Führung durch Schulleitung in konkrete Verhaltensregeln für den melio-rierenden Entwicklungsprozess übersetzt (Rosenbusch 2005, S.86ff.), dabei aber neben der Tatsache von "Reformschäden und Sättigungsgrenzen" (ebd., S.119) auch in Rechnung zu stellen hat, dass wir, was Deregulierung und Dezentralisierung betrifft, "bis heute [...] noch keine unmittelbaren empirischen Erkenntnisse darüber [haben], ob erhöhte Autonomie der Schule in der Tat zu größeren schulischen Leistungen führt. Zumindest ist dies durch einschlägige empirische Ergebnisse nicht zweifelsfrei nachgewiesen" (ebd., S.94). Damit warnt ein Profi vor überspannten Erwartungen, entschuldigt selbstverständlich nie Tatenlosigkeit (bis zum Eintreffen gefälliger Ergebnisse), sondern fordert (gleichwohl?) "eine geübte erfahrbare und mitgestaltbare Praxis" (ebd., S.94). Dies mit Recht, denn die Pädagogik kann sich - ohne verschämt erröten zu müssen - auch auf nicht-empirische Gewissheiten stützen, was in dem Abschnitt zu Hugo Gaudig und dessen "Gesamtgeist" einer Schule abgehandelt wird (ebd., S.103ff.). Welcher ist dabei der Part der Schulleitung? Worin besteht deren Prominenz?

Nach der theoretischen Bestimmung von Führungsrollen (Beobachter, Repräsentator, Verteiler, Sprecher, Unternehmer etc.) (ebd., S.94f.) wird die "Aufgabenvielfalt von Schulleitungsper-sonal" vorgestellt, die von Schulprogramm- bis zur Öffentlichkeitsarbeit reicht (ebd., S.98). Die "Machtfrage" wird erörtert (ebd., S.99ff.) und organisationspädagogisch justiert, was die Aufforderungen zur Folge hat, Schulleitungshandeln auch von der "Logik des Vertrauen" bestimmen zu lassen, an "Motivation durch Kooperation" festzuhalten, "Schatzsuche statt Defizitfahndung" zu betreiben und auf "Kollegialität trotz [nicht: statt] Hierarchie" zu bauen (ebd., S.110ff.).

Das ist mit Gewinn (für den Alltag) zu studieren, und was geschieht in den anderen (übrigen) Kapiteln? Spannendes, denn schon immer war für Rosenbusch "der Schulleiter ein notwendiger Gegenstand organisationspädagogischer Reflexion" (1989), der jetzt, und das ist eine der Leistungen des Buches, in dem Komplex der "Organisationspädagogik der Schule" seinen systematischen Ort erhält (Rosenbusch 2005, S.118ff). Dies ist nicht möglich ohne intensionale und extensionale Bestimmung der Bedeutung von Schulentwicklung.

In den Kapiteln 1 und 2 durchleuchtet Rosenbusch das, was in Texten zur Schulentwicklung zwar mitgesagt, aber zu oft als extraordinärer Diskussionsgegenstand vernachlässigt wird, nämlich das Problem der edukativen Intentionalität insbesondere dann, wenn deren Vergegenständlichung auf die Tagesordnung zu setzen ist. Die Wortschöpfung des Autors, "Organisationspädagogik", umspannt das Themenfeld "Organisation und Erziehung", in dem als Dispositor die Norm ruht: "Wenn Schule als Institution erzieht, muss Schule auch ein Modell dafür sein, wozu sie erzieht" (ebd., S.11).

Das hat Konsequenzen, u.a.: "Pädagogische Überlegungen haben ein Primat über Prämissen und Administration, wo immer möglich" (ebd., S.21). "Eine zielorientierte Auffassung von Verwaltung und Organisation tritt an die Stelle einer universalistischen. Die Verwaltung ist unter der pädagogischen Überlegung zu diskutieren, inwieweit sie die Zieltätigkeit von Schule befördert oder behindert" (ebd.). Das ist innerhalb des Streits darüber, ob ein handlungstheoretisches oder evolutionäres/systemtheoretisches Theoriedesign (sensu Luhmann) für die Fundierung und Durchführung von Schulentwicklung nützlich sei, eine starke Positio-nierung für dialogische Rationalität, die den Alltag der Schule durchwirkt und in Beschlüssen und Entscheidungen der subjektiven und kollektiven Träger und Akteure zu Tage tritt (vgl. Bätz 2004).

Rosenbusch entscheidet sich (in Kapitel 3, 4 und 5) für die "Personale Systemtheorie" (sensu Bateson und König/Volmer). Folgerichtig erhält die Schulleitung als Instanz innerhalb der Schule, die sie dort, wo immer es geht, mit stichhaltigen Gründen zu leiten, zu managen und zu führen hat, eine prominente Rolle im Prozess des Schulehaltens. Die Argumentation Rosen-buschs schafft auch Platz für ein selten gebrauchtes Wort: Vernunft. Autonomie des Schulehaltens besteht in der Bewerkstelligung vernünftigen Denkens und Handeln zum Nutzen der Schüler und zum Wohlgefallen aller, die mit und in der Schule leben (müssen).

Nun stellt sich die Frage: Wie kann der Komplex "Schule" unter dem Anspruch von edukativer Intentionalität im Hinblick auf Organisation und Erziehung theoretisch auf den Punkt gebracht und handfest dargestellt werden? Rosenbusch antwortet, indem er Sozialphilosophisches für die Schulpädagogik heranzieht, folgendermaßen: "Das Prinzip der Anerkennung in der doppelpoligen Bedeutung der Anerkennung des Anderen und Anerkennung der eigenen Person ist die herausgehobene normative Prämisse der Organisationspädagogik" (Rosenbusch 2005, S.22).

Was meint Anerkennung? Rosenbusch übernimmt von A. Honneth die "Idee eines 'Kampfes um Anerkennung'", den dieser als einen "kritischen Interpretationsrahmen für gesellschaftliche Entwicklungsprozesse" in Auseinandersetzung mit Hegel und Mead vorstellt (Honneth 1994, S.274), als Folie der Deutung und des kritischen Verstehens faktischer und künftiger Schulentwicklung. Rosenbusch folgend ist es für eine vernünftige Praxis des Schulehaltens ertragreich, zunächst spekulativ durchzuforsten, inwieweit die Schule mit geeignetem Führungspersonal ein Ermöglichungsraum für Humanität sein kann, oder ob man sich damit abfinden muss, dass in vorfindlichen Verhältnissen viel zu oft statt der Muster intersubjektiver Anerkennung die Typen der Missachtung dominieren: "Vergewaltigung, Entrechtung, Entwürdigung" (ebd., S.212ff.). Inwiefern also an einer institutionalisierten, organisierten, von gesellschaftlichen und staatlichen Anforderungen geformten, juristisch fixierten, wirtschaftlich abhängigen, von Wissenschaft und Öffentlichkeit kritisch begleiteten und bezogen auf die Ressource "Zeit" knapp bemessenen Stätte wie der Schule (in den Termini der Sozialphiloso-phie) Liebe, rechtliche Anerkennung und Solidarität mit der Chance des Erwerbs von Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstschätzung erfahren werden kann (ebd., S.148ff.), das ist die Grundfrage.

Rosenbusch zeigt dann, dass Honneths "moralische Grammatik sozialer Konflikte" vielfältige Gestaltungen in der Schule findet, die mit Hilfe der empirischen Forschung gegengezeichnet werden können. Er erläutert (im Kapitel 2) gelungene, missratene oder als relevanter Faktor des Schullebens außer Acht gelassene Anerkennung in Interaktion und Kommunikation auf Makro-, Meso- und Mikroebene. Besprochen werden mit der Betonung des Werts des Einzelnen Anerkennung als Mittel der Motivation, Fragen als Ausdruck der Anerkennung, Delegation und Zuhören als Form und Zeichen der Anerkennung, das Lösen von Konflikten gerade durch Abwehr von Missachtung. Heruntergebrochen wird der "Kampf um Anerkennung" bis ins Detail auch der nonverbalen Kommunikation. Dass Liebe und Schule kategorial einander so fremd nicht sind, beschreibt Rosenbusch anhand von charmanten und üblen Seiten der Schulro-manzen (Rosenbusch 2005, S.136ff.).

Was wird erreicht? Akzentuiert wird unter besonderer Berücksichtigung der Pädagogischen Führung durch Schulleitung die moralische Güte der Schule, nicht nur die technische (vgl. Bätz 1991). Der Diskurs um pädagogisches Führungshandeln bekommt über das forschende Suchen nach empirisch wahren Wirkungszusammenhängen hinaus, die als kluges Mittelwissen Einsatz finden (können), eine Dynamik, die in jede Schule einziehen kann. Sie besteht darin, angesichts des Wandels der Zeiten und der lokalen, regionalen, individuellen Besonderheiten (der Einzelschule) Geltungsansprüche der Schulentwicklung im Sinne der edukativen Intentionalität zu prüfen und zu beurteilen. Hier: Gemessen wird die Schule an der Installation erfolgreicher Anerkennung - mit der Folge, dass man sich bei Übernahme des "Kampfes um Anerkennung" vor Ort auf normative Auseinandersetzung, die dem Muster des rationalen Dialogs folgt, wird einlassen müssen (vgl. Oelkers 2003). Dass diesbezüglich "eine Neuorientierung der Lehrerbildung [notwendig wäre], die Studierende nicht nur für Unterricht in der Klasse, sondern auch für Arbeit in einer Organisation ausbildet", ist eine weitere Implikation (Rosenbusch 2005, S.21).

Der theoretische Gegenstand "Schulentwicklung" wird von Rosenbusch speziell aus der Position der Schulleitung nicht allein als ein empirischer Wirkungszusammenhang zwecks intelligenter Schul- und Unterrichtsgestaltung zur Sprache gebracht, sondern ebenso zwecks gedeihlicher Praxis des Zusammenarbeitens und -lebens als ein dialogisch-rational konstituiertes Hand-lungsgefüge. Das bringt gegen den Trend in der Wissenschaft, die Empirie zum Empire auszubauen, und gegen die Monopolisierung der (historischen oder empirischen) Bewährung, dem Grundbegriff in Theorien deduktiver Bestätigung und der Wissenschaftsgeschichte (sensu Popper), in der Schulpädagogik eine sozialphilosophische Terminologie und diskursive methodische Verfahren als unverzichtbar ins Spiel. Damit kann die Verwirklichung von edu-kativer Intentionalität bei der Schulentwicklung auch als ein Zusammenhang guter Gründe für oder gegen Tradition und/oder Innovation expliziert werden. - Ein Erörterungsfortschritt in der Debatte.

Literatur

Bätz (1991), R.: Die List der Schule. Frankfurt/Main u.a.: Lang.

Bätz, R. (2004): Schulentwicklung - Zur handlungstheoretischen und evolutionstheoretischen Explikation eines akuten Begriffs.

Oelkers, J. (2003): Wie man Schule entwickelt. Weinheim: Beltz.

Rosenbusch, H.S. (1989): Der Schulleiter - ein notwendiger Gegenstand organisationspädagogischer Reflexion. In: Rosenbusch, H.S./Wissinger, J. (Hg.): Schulleiter zwischen Administration und Innovation, Braunschweig: SL-Verlag.