Soziologie bietet Orientierung in einer sich schnell wandelnden Gesellschaft
Politische Kommunikation, (Re-)Produktion von Macht in Demokratien, digitale Transformation der Gesellschaft: Mit diesen Themen beschäftigt sich die neue Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt digitale Medien. Prof. Dr. Isabel Kusche hat die Professur seit 1. Oktober 2021 inne. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Im Interview verrät sie mehr zu ihren Forschungsschwerpunkten und berichtet von einem Forschungsprojekt, bei dem sie den politischen Klientelismus in Irland und Griechenland untersucht hat.
Sie sind Soziologieprofessorin. Warum sollte man aus Ihrer Sicht heute dieses Fach studieren?
Isabel Kusche: Die Gesellschaft wandelt sich ständig. Als Orientierungswissenschaft ist die Soziologie hier perfekt geeignet. Potentiell beschäftigt sich das Fach mit allen Bereichen der Gesellschaft. Die Soziologie gibt uns flexible Werkzeuge an die Hand. Mit ähnlichen begrifflichen Konzepten und theoretischen Ansätzen kann man ganz unterschiedliche Bereiche erschließen – von der Mikroebene bis zur Makroebene, von Gesellschaft über Organisationen bis hin zu Zweierbeziehungen. Gleichzeitig ist es ein Studium, das viele unterschiedliche berufliche Möglichkeiten eröffnet. Je nach Spezialisierung ist von Technikfolgenabschätzung bis Personalmanagement alles möglich.
Worauf haben Sie sich in Ihrer Forschung spezialisiert?
In meiner Forschung beschäftige ich mich vor allem mit politischer Kommunikation sowie der digitalen Transformation der Gesellschaft. Was mich dabei zurzeit besonders interessiert, ist das sogenannte Microtargeting. Also die Idee, dass Kommunikation – insbesondere politische Kommunikation – nicht mehr ein allgemeines Publikum anspricht, sondern sich die Fähigkeiten von Social-Media-Plattformen zu Nutze macht, um Zielgruppen zu identifizieren und diese gezielt anzusprechen. Dabei geht es mir nicht unbedingt darum, ob das Konzept tatsächlich funktioniert. Denn das ist nicht so leicht herauszufinden, weil die nötigen Informationen dazu bei Unternehmen wie etwa Facebook oder bei Datenanalysefirmen liegen, die natürlich ihre Dienstleistungen an politische Akteure verkaufen wollen und deshalb ein Interesse daran haben zu betonen, dass ihre Verfahren erfolgreich sind.
Worin liegt Ihr Interesse bei dem Thema Microtargeting?
Für mich sind die Befürchtungen interessant, die daran geknüpft sind, und wie politische Kommunikation auf sie reagiert. Gerade durch den Cambridge Analytica Skandal 2018 ist das Thema in die breite Öffentlichkeit vorgedrungen. Kurz erklärt: Damals hatte das Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica im US-Wahlkampf auf Daten von mehreren Millionen Facebook-Nutzerinnen und -Nutzern zurückgegriffen. Der Skandal war damals nicht nur, dass auf die Daten ohne das Wissen der Nutzerinnen und Nutzer zugegriffen wurde. Die Vermutung lag auch nahe, dass das Unternehmen mithilfe der Daten von über 87 Millionen Facebook-Profilen den Wahlkampf in den USA beziehungsweise dessen Ausgang beeinflussen konnte. Eine Befürchtung ist seitdem, dass durch politisches Microtargeting letztendlich die Demokratie untergraben werden könnte. Denn dadurch kann politisch kommuniziert werden, ohne dass diese Kommunikation öffentlich beobachtbar ist.
Mit welchen anderen Themen beschäftigen Sie sich?
Ein weiterer Schwerpunkt ist das Verhältnis zwischen politischen Akteurinnen und Akteuren und ihrer Wählerschaft. Parteien sowie Politikerinnen und Politiker setzen im Wahlkampf nicht überall – wie wir es in Deutschland kennen – nur auf Programme oder Personen, die wiederum mit Programmen verbunden sind. Es gibt auch andere Wege, auf denen politische Akteurinnen und Akteure versuchen, ihre Wählerschaft zu mobilisieren. Ein Stichwort ist hier politischer Klientelismus und verwandte Phänomene wie etwa Wahlkreisarbeit. Gerade seit der Finanzkrise 2008 wird politischer Klientelismus oftmals als Problem wahrgenommen. In einem Forschungsprojekt habe ich dieses Phänomen in Griechenland und Irland im Kontext der Finanzkrise untersucht.
Und was haben Sie dabei herausgefunden?
Von außen betrachtet sehen beide Fälle recht ähnlich aus, da beide Staaten massiv gelitten haben während der Krise. Sieht man genauer hin, so zeigen sich deutliche Unterschiede. In Irland werben Politikerinnen und Politiker nicht unbedingt mit programmatischen Positionen, sondern damit, dass sie eine Art Dienstleister sein wollen, wenn ihre Wahlkreisangehörigen Probleme haben. Wahlkreisarbeit spielt also eine zentrale Rolle. In Griechenland hingegen gab es bis zur Finanzkrise das, was man im engeren Sinne politischen Klientelismus nennt: Politische Parteien und einzelne Politiker waren so eng mit der Verwaltung verzahnt, dass sie es tatsächlich schaffen konnten, Verwaltungsentscheidungen über Einzelfälle zu ändern. Das hatte maßgeblichen Einfluss auf die darauffolgende Krise und die Möglichkeiten, mit ihr umzugehen. Auch in der Reflexion im Nachgang der Finanzkrise unterschieden sich die beiden Länder. In Irland wurde im Vergleich zu Griechenland das politische System insgesamt viel stärker kritisiert, statt nur bestimmte Parteien. Es wurde viel darüber diskutiert, ob programmatische Positionen von Politikerinnen und Politikern nicht doch wichtiger seien, als dass sie sich um Belange einzelner Bürgerinnen und Bürger kümmerten.
Zu was würden Sie gerne als Professorin in Bamberg forschen?
Ich könnte mir gut vorstellen, hier in Bamberg im Bereich Digitale Medien mit der Informatik zusammenzuarbeiten. Ich bin gespannt, was man da in Zusammenarbeit entwickeln kann, insbesondere was etwa Big Data angeht – also die Verarbeitung von großen Datenmengen. Außerdem ist das Thema Künstliche Intelligenz (KI) ja seit einer Weile in aller Munde. Aus soziologischer Sicht interessieren mich vor allem die Befürchtungen, die an KI geknüpft sind, besonders die Problematik des automatisierten, intransparenten Entscheidens. Denn hier geht es um sozialtheoretische Grundannahmen. Also beispielsweise darum, wem wir Akteursstatus zuschreiben.
Vielen Dank für das Interview!