Trauer um engagierten Sozialforscher
Johannes Schwarze hat nie ein Blatt vor den Mund genommen. Unermüdlich wies er auf aktuelle Missstände in Politik und Gesellschaft hin und das schon sehr lange: 1989 promovierte er an der Technischen Universität Berlin über „Nebenerwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland“ und untersuchte dabei Umfang und Ursachen von Mehrfachbeschäftigung und Schattenwirtschaft. Seitdem ließ ihn das Thema nicht mehr los. Ob politikfähige Vorschläge zur Begrenzung der geringfügigen Beschäftigung (1996), Analysen zur Reform der geringfügigen Beschäftigung (2001) oder Reflexionen zur steigenden Einkommensungleichheit in Deutschland (2008) – die Bereiche Einkommensverteilung sowie Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gehörten immer zu seinen wichtigsten Forschungsschwerpunkten. Hinzu traten angewandte Ökonometrie und individuelle Wohlfahrt (subjective well-being). Themen, mit denen sich Schwarze auch in seiner Habilitationsschrift „Analysen zur individuellen Risikoeinstellung mit mittelbaren und unmittelbaren Verfahren“ beschäftigte, und die ihn prägten. So bezeichnete er sich selbst als „mikroökonomisch arbeitenden, empirischen Sozialforscher“. Sein Wissen und seine Erfahrung brachte er in zahlreiche Vereine, Gremien und Projekte ein. So war er im Ausschuss für Bevölkerungsökonomik des Vereins für Sozialpolitik aktiv und stand dem Verein für Bevölkerungsökonomie der Deutschen Gesellschaft für Demografie vor.
Dass er einmal so eng mit dem Wissenschaftsbetrieb verbunden sein würde, hätte sich der zweifache Familienvater zunächst nicht träumen lassen, schließlich verlief seine Akademikerlaufbahn eher ungewöhnlich: Nach seinem Hauptschulabschluss besuchte Schwarze die Paderborner Handelsschule. Er absolvierte eine Banklehre und studierte anschließend Wirtschaftswissenschaften an der Universität-Gesamthochschule Paderborn und der TU Berlin. 1996 erlangte er seine venia legendi für das Fachgebiet Volkswirtschaftslehre. Er arbeitete mehrere Jahre beim Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und war dort Forschungsprofessor. Nach einem Vertretungsjahr übernahm er 1998 zunächst die Professur für Sozialpolitik an der Universität Bamberg, bevor er 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Empirische Mikroökonomik, wurde. Zweimal lehnte er auswärtige Rufe ab, 2001 nach Bochum und 2007 nach Bremen. Als Dekan lenkte er 2 Jahre lang (2007-2009) die Geschicke der Fakultät Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, trug in seiner Funktion als Mitglied der Erweiterten Universitätsleitung wichtige hochschulpolitische Entscheidungen mit und wurde 2009 zum Senator und Mitglied des Universitätsrates gewählt. Er war in vielfältiger Weise in kooperative wissenschaftliche Verbundprojekte eingebunden. Im Rahmen des an der Universität Bamberg angesiedelten Nationalen Bildungspanels (NEPS), das er mit konzipiert hatte, leitete er die Arbeitsgruppe „Bildungserträge im Lebenslauf“. Er war am Aufbau und an der Entwicklung des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Graduiertenkollegs „Märkte und Sozialräume in Europa“ beteiligt und begleitete bis zu seinem Tod das SOEP als Forschungspartner des DIW.
Johannes Schwarze wurde am 12. September 2010 das Opfer eines tragischen Unfalls. Universitätsleitung und Kolleginnen und Kollegen trauern um einen besonders geschätzten Mitstreiter: „Er war freundlich, unkompliziert und ebenso kompetent wie engagiert. Sein vorzeitiger Tod ist für die Universität ein großer Verlust“, unterstrich Vizepräsident Prof. Dr. Sebastian Kempgen die Bedeutung des Wirtschaftswissenschaftlers für die Universität Bamberg.