Finanzkrisen verhindern
Hätte die Volkswirtschaftslehre die Finanzkrise 2007 kommen sehen können? Welche Lehren zieht sie aus der Krise? Und braucht die VWL einen Paradigmenwechsel? Das neue Promotionskolleg „Makroökonomik bei beschränkter Rationalität: Dynamik, Stabilisierung und Verteilung“ der Universität Bamberg beschäftigt sich unter anderem mit diesen Fragen. Das Kolleg, das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wird, betreut acht Doktorandinnen und Doktoranden der Bamberger VWL drei Jahre lang intensiv in ihren Promotionsprojekten und treibt damit die wissenschaftlichen Beiträge zu dem seit der Finanzkrise hochrelevanten Forschungsfeld gezielt voran. „In unserer aktuellen wirtschaftlichen Situation ist es selbstredend, dass wir den Ursachen auf den Grund gehen und Lösungsansätze mit Realitätsbezug finden müssen“, so der Sprecher des Promotionskollegs und Inhaber der Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Angewandte Wirtschaftsforschung, Prof. Dr. Christian Proaño.
Finanzkrise auch im Fokus der Veranstaltung
Zur Eröffnung des Promotionskollegs am 6. November 2017 beleuchteten Vorträge von Prof. Dr. Gustav Horn, Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung, und Prof. Dr. Stefan Thurner, Experte für Komplexe Systeme an der Medizinuniversität Wien, die Finanzkrise aus verschiedenen Perspektiven. Außerdem betonte Universitätspräsident Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert, dass die Universitäten als Denkwerkstätten der Gesellschaft durch ihre Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler leben. In der abschließenden Paneldiskussion wurden dann die zuvor angerissenen Themen näher ausgeführt und zum Teil hitzig debattiert.
Ökonomische Krisen frühzeitig erkennen
Ulrike Herrmann, Wirtschaftsjournalistin bei der taz, Prof. Dr. Zeno Enders, Wirtschaftswissenschaftler an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Gustav Horn sowie Stefan Thurner diskutierten über Möglichkeiten, künftige ökonomische Krisen frühzeitig zu erkennen und abzuwenden. Auch wenn gerade die Vertreter der akademischen Seite dafür plädierten, sich nicht völlig von bisherigen Modellen und Ansätzen der Makroökonomie zu entfernen, so stimmten die Diskutierenden darin überein, dass ein Wandel in der wissenschaftlichen Herangehensweise an Themen der VWL nötig sei. Die Finanzkrise habe die VWL gelehrt, dass nicht länger von einer unerschütterlichen Stabilität der Märkte ausgegangen werden kann und dass so komplexe Systeme wie das Wirtschaftssystem eine Vielzahl schwer zu lenkender Variablen mit sich bringen, die das Gesamtgefüge gefährden können. Die vier Diskutierenden gaben den Stipendiatinnen und Stipendiaten abschließend einstimmig mit auf den Weg: Die Theorien und Modelle sollten nicht außer Acht gelassen werden, doch vor allem käme es auf die gezielte Beantwortung von Fragen an, die die Gesellschaft interessieren.
Bamberger VWL ausbauen
Gesellschaftsrelevante Themen lassen sich auch in allen Dissertationsprojekten wiederfinden. Denn es geht um das Gestalten wirtschaftspolitischer Maßnahmen, also darum, ob und wie der Staat in die Wirtschaft eingreifen kann und soll – sei es durch Steuern oder durch Gesetze, die den Finanzmarkt regulieren. Dabei liegt das Augenmerk des Kollegs auf der beschränkten Rationalität in der Makroökonomie, das heißt, es wird bei der Gestaltung gezielt die Tatsache berücksichtigt, dass nicht alle Akteure des Wirtschaftssystems den effizientesten Weg kennen. Betreut werden die bisher sieben Promovierenden von Christian Proaño sowie von den beiden VWL-Professoren Mishael Milakovic, Ph.D., und Dr. Frank Westerhoff.
National und international vernetzen
Neben den Forschungsarbeiten hat das Promotionskolleg zwei weitere Ziele: Zum einen sollen sich die drei Doktorandinnen und vier Doktoranden untereinander vernetzen, von denen vier bereits ihren Master an der Universität Bamberg absolviert haben und die restlichen drei von Universitäten in Kiel, Würzburg und Berlin nach Bamberg gekommen sind. Sie werden sich im Rahmen von regelmäßigen Feedbackrunden austauschen und so einen umfassenden Einblick in die verschiedenen Themenschwerpunkte erhalten. Zum anderen soll auch die internationale Vernetzung durch Projekte und Workshops mit renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gefördert werden. Durch einen ein- bis zweimonatigen Forschungsaufenthalt an Universitäten in Amsterdam, New York oder Castellón in Spanien wird das Forschungsprofil der Promovierenden weiter geschärft.
Gesellschaftspolitisches Engagement ausschlaggebend
Unterstützt wird das Promotionskolleg nicht nur finanziell, sondern auch organisatorisch von der Hans-Böckler-Stiftung. Sie wählt die von der Universität Bamberg vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten anhand ihrer Leistungen und ihres gesellschaftspolitischen Engagements für die Stipendien aus. Durch stiftungsinterne Veranstaltungen, zum Beispiel im Bereich Hochschuldidaktik, erwerben die Promovierenden weitere Kompetenzen, werden in das Stipendiatennetzwerk aufgenommen und können von den zahlreichen Kontakten profitieren. Dr. Jens Becker vom Referat Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung machte bei der Eröffnungsveranstaltung deutlich, dass die Stiftung den Promovierenden mit Rat und Tat zur Seite stehen wird, um die Wirtschaftswissenschaft durch kritische Forschung präsenter zu machen.
Forschungszentrum aufbauen
Proaño war selbst Teil dieses Stipendiatennetzwerks der Hans-Böckler-Stiftung und hat das Kolleg ins Leben gerufen. „Wir möchten mit dem Promotionskolleg nicht nur die Promovierenden gezielt unterstützen und fördern, sondern auch die Bamberger VWL zu einem Forschungszentrum aufbauen, das bereits jetzt durch seine Größenordnung mit insgesamt 17 hochqualifizierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Alleinstellungscharakter in Deutschland hat“, erklärt Proaño. Ein achtes und letztes Stipendium wird zeitnah vergeben werden.