Dirk von Lowtzow, Sänger von Tocotronic und Autor, meisterte in seiner Lesung den Spagat zwischen Literatur und Musik (Bild: Heji Shin).

Prof. Dr. Hans-Peter Ecker (Mitte) und Martin Rehfeldt (rechts) holten Lowtzow (links) für die Reihe "Literatur in der Universität" nach Bamberg (Bild: Elisabeth von Sydow).

- Elisabeth von Sydow

Der Zweifel ist überall

Tocotronic-Sänger gab philosophische Musikstunde

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Künstler seine Texte in solch tiefsinniger Weise präsentiert, dass man nahezu dazu gezwungen wird, darüber nachzudenken. Dirk von Lowtzow, Sänger der Band Tocotronic, begeisterte mit seiner Lesung zwischen Literatur und Musik.

Die Ende 1993 gegründete Band Tocotronic zählt zu den wichtigsten deutschen Bands der 90er Jahre. Mit ihrem deutschen Indie-Pop haben sie eine ganze Generation in ihren Bann gezogen und begeistert. Das Anfang 1995 erschienene Debüt-Album „Digital Ist Besser“ setzte einen Meilenstein in der deutschsprachigen Indie-Pop-Geschichte. Der einzigartige rührend-melancholische Sound sowie die philosophischen und lehrreichen Texte sind das Markenzeichen der Band um Sänger und Gitarrist Dirk von Lowtzow. 2007 haben Tocotronic ihr achtes Studioalbum unter den Namen „Kapitulation“ veröffentlicht. 

Zusammen mit dem Musiker und Produzent Thies Mynther hat Lowtzow 2001 Phantom/Ghost gegründet – ein Projekt mit einer künstlerischen Mischung aus elektronischer Musik und Literatur. Außerdem hat Lowtzow im Jahr 2007 eine Auswahl seiner Lyrics in einem Gedichtband (Dekade 1993-2007) veröffentlicht. In der Zeitschrift „Texte und Kunst“ erscheinen regelmäßig Beiträge des Tocotronic-Sängers. Besonders angetan scheint Lowtzow von der Künstlerin Cosima von Bonins zu sein. Widmete er ihr doch einen selbst geschrieben Text mit dem bedeutungsschweren Titel „Relax it´s only a ghost. Installation.“.

Literatur und Musik begegnen sich

Die Professur für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Literaturvermittlung hatte Lowtzow gebeten, im Rahmen der Reihe „Literatur in der Universität“ eine Lesung zu halten, die Literatur und Musik vereint. Am 20. November 2008 war es dann tatsächlich so weit. Der Tocotronic-Sänger lud zu seiner Lesung „Im Zweifel für den Zweifel“ ein und hunderte Studierende folgten diesem Aufruf und quetschten sich in den Vorlesungssaal hinein. Diese Lesung der besonderen Art sollte vor allem den Grenzbereich zwischen Literatur und Musik mehr erforschen und diesem wissenschaftlichen Feld mehr Frische und Energie verleihen.

Und das ging so: Im Jackett, mit der Brille auf der Nase und angenehm rauer Stimme philosophierte Lowtzow eine halbe Stunde lang über Vernunft, Irrsinn und Zweifel. Unter anderem vermittelte er den Zuhörern nicht ganz ernst zu nehmende fünf Regeln, nach denen man sein Leben bestreiten sollte: „1. Meide Anekdoten – 2. Verbünde dich gegen dich selbst. – 3. Höre nie nachts betrunken Musik. – 4. Bügle deine Hemden. – 5. Fahre niemals Fahrrad.“ Mit dieser neuen Lebensphilosophie sorgte Lowtzow für Heiterkeit im Publikum.

Musikalische Werke über den Zweifel

Lowtzow bezog sich in seiner Lesung besonders auf den Text „Zweifel“ des Hamburger Dichters, Dramatikers und Regisseurs Herbert Schuldt, dessen Kernaussage darin besteht, dass alles bezweifelt werden kann. Lowtzow versuchte den Begriff „Zweifel“ dem Rezipienten näher zu bringen und zu erklären. Dabei entstand eine komplexe und philosophische Definition, die zum Interpretieren und Nachdenken anregt: Zweifel ist überredend, frech, erregend, hoffnungsvoll und düster. Zweifel attackiert das Ich. Zweifel zeugt Terror, ist in der  Philosophie, Werbung und Mode sowie im Charakter. Er kommt mit der Hoffnung und der Furcht. Zweifel nimmt am Leben der Nation teil.

Nachdem der Tocotronic-Sänger seine lyrischen Werke und Gedanken dem Publikum vorgestellt hatte, widmete er sich anschließend seiner Gitarre, mit der er ein herrlich stimmungsvolles Akkustik-Set, bestehend aus vier Songs, darbot. „Mach es nicht selbst”, der erste von vier Songs, ist ein Lied über die Aneignung, mit der durchaus tiefsinnigen Aussage die „Marke Eigenbau“ zu meiden. „Mein Ruin“ und „Andere Ufer“ folgten diesem heiteren Song und verwandelten die Lesung nun endgültig in ein Konzert. Mit dem nachdenklichen Song „Das Blut an meinen Händen“ ließ Lowtzow seinen Vortrag mit ruhigen, melancholischen Klängen ausklingen und das Publikum mit einem nachdenklichen, aber positiven Eindruck nach Hause gehen.