Felonenko (Mitte) mit ihrer Dolmetscherin Mariya Malyarova (links von ihr) und den Organisatoren (von links): Andreas Dornheim (Professor für Neueste Geschichte) Till Mayer (Autor des Buches "Roter Winkel, hartes Leben"), Nina Dobrenka (Leiterin des medico-sozialen Zentrums des Roten Kreuzes in Lemberg) und Rainer Scherzer (Vorsitzender des Förderkreises Bamberger Pfadfinder) (Bilder: Andreas Ullmann).
„Am Schlimmsten aber war der Hunger…“
1942 wurde Marija Felonenko mit 15 Jahren als Zwangsarbeiterin nach Deutschland verschleppt. Sie unternahm mehrere Fluchtversuche, wurde in Straflagern inhaftiert und kam schließlich in das KZ Ravensbrück. Das Ende der Nazi-Herrschaft erlebte sie nach einem mehrtägigen Todesmarsch fast bis zum Skelett abgemagert. Am 4. Dezember sprach die Ukrainerin an der Universität Bamberg über ihre leidvollen Erlebnisse.
„Am schlimmsten ist der Hunger. Dauernd dieser Hunger. Dünne Suppe, ein wenig Brot und hart arbeiten. Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Der Magen zieht und schmerzt. Er zieht und schmerzt beim Morgenappell. Wenn die Häftlinge akkurat aufgereiht und geduckt auf ihren Marschbefehl zur Arbeit im Steinbruch und in Fabriken warten, wenn sich der Wind im Winter eisig durch den groben Stoff frisst und die Füße taub vor Kälte in grob geschnitzten Holzpantoffeln stecken.“
Das hat Marija Felonenko im Konzentrationslager erlebt und so steht es im Buch „Roter Winkel, hartes Leben“ von Till Mayer. Auf Einladung des Förderkreises Bamberger Pfadfinder, des Bayerischen Roten Kreuzes und der Otto-Friedrich-Universität Bamberg berichtete die Ukrainerin am 4. Dezember über ihre Erlebnisse. Der Vortrag fand im Rahmen des Zeitzeugenprojektes, „Roter Winkel, hartes Leben“ statt, das in den letzten Monaten in zahlreichen Bamberger Schulen vorgestellt wurde.
Auch Bamberg besitzt eine „Zwangsarbeiter-Vergangenheit“!
In seiner Einführung erklärte Prof. Dr. Andreas Dornheim vom Lehrstuhl für Neueste Geschichte, dass während der Zeit der NS-Diktatur Millionen von Menschen zur Arbeit in Fabriken, Rüstungsunternehmen, der Landwirtschaft und in Konzentrationslagern gezwungen wurden. Nach dem Überfall auf Polen wurde begonnen, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den besetzten Gebieten nach Deutschland zu verschleppen. Im Spätsommer 1944 arbeiteten im Deutschen Reich ca. 5,9 Millionen Ausländer, 1,9 Millionen Kriegsgefangene aus 26 Ländern und 400.000 KZ-Häftlinge. Auch Bamberg besitzt eine „Zwangsarbeiter-Vergangenheit“, die bislang allerdings kaum bearbeitet worden ist. Vor allem ab 1943 wurden hunderte Menschen bei Bamberger und Gaustadter Unternehmen und wahrscheinlich auch der Stadt Bamberg selbst zur Zwangsarbeit verpflichtet.
Marija Felonenko war keine 16 Jahre alt, als sie 1942 als Zwangsarbeiterin aus der Ukraine nach Deutschland verschleppt wurde. Hier war sie gezwungen, in einer Rüstungsfabrik nicht weit von Magdeburg zu arbeiten. Mithilfe einer Deutschen gelang es ihr schließlich zu fliehen. Eine Familie, deren Sohn bei Kiew gefallen war, nahm sie auf. „Es war wie ein Paradies. Aber dann kam eines Tages der Fabrikdirektor mit Polizisten. Ich konnte mich nicht von der Stelle bewegen, war starr vor Angst und wurde zurück in die Fabrik gebracht.“
„Viele von uns wurden hier wie Hunde vor Angst und vor Hunger“
Doch ihr gelang noch ein weiteres Mal die Flucht. In der Nähe von Braunschweig wurde sie allerdings von einem Polizisten aufgegriffen und inhaftiert. Über das Braunschweiger Gefängnis kam sie schließlich in das Konzentrationslager Ravensbrück. „Hier war es viel, viel schlimmer als jemals zuvor. In Ravensbrück wurde ich zum ersten Mal sehr stark geschlagen. Viele von uns wurden hier wie Hunde vor Angst und vor Hunger.“ Denn jeder Morgenappell bedeutete Lebensgefahr: „Wer hierbei dem Wachpersonal auffiel, musste um sein Leben fürchten. Ein Häftling aus einem Nachbarblock nannte beim Appell eine falsche Nummer: Am nächsten Tag war er tot.“
Eines Morgens schließlich mussten sich die Häftlinge in Fünferreihen aufstellen und begannen, begleitet von Polizisten mit Waffen und Hunden, einen „Todesmarsch“. „Ich konnte weder Anfang noch Ende des Menschenzuges sehen. Wer fiel, wurde einfach getötet. Schließlich aber hörten wir Panzer, dann die russische Sprache. Unsere Bewacher waren bereits geflohen: Wir waren auf die Rote Armee gestoßen. Ich fühlte Glück und Freiheit, aber auch eine große körperliche Schwäche.“
„Wie grausam das ist, kann wohl niemand verstehen, der es nicht selbst erlebt“
Nach drei Monaten in einem russischen Militärkrankenhaus konnte Marija Felonenko endlich in ihr Zuhause nahe Kiew zurückkehren. Doch auch hier ließ sie ihre Vergangenheit nicht los: Die Heirat war KZ-Überlebenden nur untereinander gestattet. Häufig standen sie unter dem Verdacht, „Helfer der Faschisten“ gewesen zu sein und nur so überhaupt überlebt zu haben. Da sowohl Marija Felonenko als auch ihr späterer Ehemann, der im KZ Sachsenhausen interniert gewesen war, während dieser Zeit von den Nationalsozialisten sterilisiert worden waren, konnte das Paar keine Kinder bekommen.
Marija Felonenko hat den Terror der Nationalsozialisten erlebt und überlebt. Vergessen wird sie ihn nie können. Dazu schrieb sie: „Meine Erinnerungen an das Konzentrationslager sind wie Bilder. Was würde ich dafür geben, dass sie endlich verblassen. […] Doch wirklich frei lässt einen Häftling das Konzentrationslager nie mehr. Wie grausam das ist, kann wohl niemand verstehen, der es nicht selbst erlebt. Weil es unbeschreiblich ist. Und das Geschehene unvorstellbar.“
Zitate aus: Till Mayer: Roter Winkel, hartes Leben. Freiburg 2007.