„Der neue Kaukasus beginnt an den Universitäten“
Giorgi Khubua hat sein ganzes berufliches Leben an Universitäten verbracht und eine rein akademische Karriere eingeschlagen. Er studierte Jura in Tiflis und kam für Forschungsarbeiten zum ersten Mal mit 30 Jahren nach Deutschland. Seitdem lehrte und forschte er an Universitäten in Tiflis, Speyer, Heidelberg, Hannover, Jena und München. Von 2006 bis 2010 war Giorgi Khubua Rektor der Staatlichen Universität in Tiflis und damit vornehmlich mit administrativen Aufgaben betraut – „mit der Gefahr der wissenschaftlichen Dequalifikation“, wie er zugibt.
In der Zeit seines Rektorates gab es auch erste Kontakte zwischen ihm und der Bamberger Universitätsleitung. Als Rektor kämpfte er für die Freiheit der Wissenschaft: Die Universität Tiflis wahrte Distanz zur Politik, es gab kritische Veröffentlichungen der Professoren. „Die Universität darf keine Zweigstelle der Politik sein“, fordert der Wissenschaftler. Er ist sich bis heute nicht sicher, ob es diese Haltung war, die seine Karriere in Georgien beendete. „Vielleicht waren wir zu idealistisch. Nach den Wahlen und der Rosenrevolution 2003 haben wir gehofft, Georgien würde sich an demokratischen Standards nach europäischem Vorbild orientieren.“
2010 gab es verschiedene Vorwürfe gegen seine Person. Khubua versuchte zwar zunächst, seinen und vor allem den guten Ruf der Universität zu schützen, die sich auch zu Sowjetzeiten für Freiheit und Unabhängigkeit eingesetzt hatte. Die Professoren standen zu ihm. Trotzdem trat er unter politischem Druck gegen ihn und seine Familie im August 2010 als Rektor zurück, ein Jahr später wurde ihm auch sein Lehrstuhl entzogen. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete er bereits an der Universität in Jena, finanziert durch Stipendien der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, des DAAD und der Volkswagenstiftung. Seit August 2012 ist er Gastprofessor am Institut für Geographie der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, wo er das Wintersemester 2012/13 lehrend und forschend verbringend wird.
„Von dem, was man heute an den Universitäten denkt, hängt ab, was morgen auf den Plätzen und Straßen gelebt wird“
An seinem Glauben an die Wissenschaft konnten weder die Vorwürfe noch der politische Druck etwas ändern. Für Khubua ist eine wissenschaftliche Kooperation die Grundlage für politische Zusammenarbeit in der konfliktträchtigen Region Kaukasus, in der unterschiedlichste religiöse, ethnische und politische Interessen aufeinanderprallen und immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen führen. Seine politische Vision: die Entwicklung einer gemeinsamen kaukasischen Identität. „Im Moment steht die nationale Zugehörigkeit und Ethnozentrismus im Vordergrund.“
Die aktuellen Herausforderungen können die Nationalstaaten allein jedoch nicht lösen, dafür seien sie zu klein: Demokratie etablieren, Militärkonflikte vermeiden, Korruption bekämpfen, wirtschaftliche Stabilität schaffen. „Für die Politik ist es jedoch unpopulär und ein sehr unsympathischer Gedanke, eigene Souveränität aufzugeben, um eine regionale Institution zu gründen, die über den Nationalstaaten steht.“
Der Wissenschaftler denkt dabei an eine Institution wie es die EU für Europa war. „Auch wenn das fast wie eine politische Utopie klingt.“ Für eine regionale Kooperation sei zuerst eine kritische Selbstreflexion der beteiligten Länder notwendig, und die könne am besten innerhalb der Wissenschaft beginnen. „Denn Wissenschaft ist mobiler, dynamischer und nicht der politischen Konjunktur unterworfen“, erklärt Khubua. „Der neue Kaukasus beginnt an den Universitäten. Schon der spanische Philosoph José Ortega y Gasset erklärte: Von dem, was man heute an den Universitäten denkt, hängt ab, was morgen auf den Plätzen und Straßen gelebt wird.“ Wenn der Diskurs erst einmal gestartet sei, werde er in Bewegung bleiben, auf wissenschaftliche Kooperation werden Kooperationen in weiteren Feldern folgen.
Kaukasus-Kompetenzzentrum in Bamberg
Doch damit eine solche wissenschaftliche Kooperation gelingt, braucht es neutrale Dritte – eine deutsche Universität wie Bamberg beispielsweise. Die Universität plant deshalb, ihre Kooperationen im Kaukasus zu intensivieren. Im September 2012 war eine Bamberger Delegation in Kutaisi (Georgien), um weitere Vorbereitungen für deren Masterstudiengang European Studies zu treffen: Georgische Studierende werden nun voraussichtlich ab dem Wintersemester 2014/15 ein Auslandssemester in Bamberg absolvieren. „Wir haben ohnehin vorhandene Module für diesen Studiengang ausgewiesen und bekommen dafür Austauschstudierende und damit auch Austauschplätze“, erklärt der Vizepräsident für Lehre und Studierende, Prof. Dr. Sebastian Kempgen.
Auch mit Eriwan (Armenien) soll ein Austauschprogramm vor allem im Bereich Geschichte, Politik und Kultur aufgebaut werden. Prof. Dr.-Ing. Rainer Drewello, Direktor des Instituts für Archäologie, Denkmalkunde und Kunstgeschichte an der Universität Bamberg, ist darüber hinaus gefragter Fachmann für Restaurationsvorhaben an Weltkulturerbestätten in Armenien. Das größte Projekt wird aber ein Kompetenzzentrum für die Region Kaukasus in Bamberg sein. „Im Augenblick diskutieren wir ganz unterschiedliche Kooperationsformen, zwischen einzelnen Instituten, wie z.B. Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft oder Germanistik bis hin zu einem gemeinsamen Area-Studies-Studiengang“, resümiert der Vizepräsident. Dabei wolle man die vornehmlich linguistischen Kompetenzen, die bereits an anderen Universitäten etabliert sind, nicht duplizieren, sondern eine interdisziplinäre Kombination aus Sprach-, Geschichts- und Kulturstudien anbieten, die mit geographischem, politischem, wirtschaftlichem und sozialwissenschaftlichem Verständnis für die Region angereichert wird.
Auch die Virtuelle Hochschule Bayern (vhb) soll mit ihren Möglichkeiten einbezogen werden. „Konkurrierende Projekte an anderen bayerischen Universitäten sind nicht in Sicht“, gibt Präsident Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert seine Einschätzung wieder. Ein Stellenwunsch sei beim bayerischen Wissenschaftsministerium hinterlegt, denn: „Ohne zusätzliche Ressourcen geht es im Augenblick nicht. Erst wenn die großen Studierendenjahrgänge die Universität verlassen haben, ergibt sich unter Umständen eine Möglichkeit, neue Bereiche auch mit eigenen Ressourcen zu stärken“, so der Präsident. Die Universität Bamberg bringe jedenfalls für das Vorhaben beste inhaltliche Voraussetzungen mit, da sie mit den Fächern Slavistik, Turkologie und Iranistik bereits die Nachbarregionen abdecke.
Das bestätigt auch Giorgi Khubua, und er ist sich sicher: „Dies alles kann helfen, eine kaukasische Identität zu schaffen“. Die wäre dann zwar künstlich konstruiert – das sei die europäische aber ebenfalls. „Ich fühle mich noch nicht als Kaukasier, sondern als Georgier. Aber der europäische Gedanke gibt mir Hoffnung für den Kaukasus.“
Hintergrundinformation: Der Kaukasus – eine spannungsgeladene Region
Um den Kaukasus zu verstehen, muss man ihn zunächst näher kennenlernen. Damit bezeichnet man die Region zwischen Schwarzem und Kaspischen Meer, eine Brücke zwischen Europa und Asien. Sie besteht im engeren Sinn aus den drei Ländern Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Im Kaukasus treffen die russischen, türkischen und iranischen Einflüsse der Nachbarstaaten aufeinander.
In der Region leben 50 Volksstämme, deren Siedlungsgebiete nicht immer den Nationalgrenzen entsprechen. Vor allem im 20. Jahrhundert gab es außerdem starke Veränderungen der Bevölkerungsstruktur durch Zwangsumsiedlungen. Beides trägt zu den Konflikten der Region bei. Separatistische Initiativen führen immer wieder zu bewaffneten Konflikten, beispielsweise in den autonomen Regionen Süd-Ossetien (Georgien) und Berg-Karabach (Aserbaidschan) sowie in Tschetschenien in Russland.
Auch die unterschiedlichen Religionen bergen Konfliktpotential untereinander und mit den Nachbarn: Die Kaukasier sind zum Teil muslimisch, zum Teil russisch-, georgisch- oder armenisch-orthodox. Die Region ist zudem sicherheits- und geopolitisch spannend: Russland möchte im Süden seines Territoriums gerne eine Pufferzone gegen westlichen Einfluss erhalten und kooperiert deshalb mit Armenien und dem Iran (Nord-Süd-Achse). Die EU nutzt Erdöl- und Erdgas-Pipelines durch die Türkei, Georgien und Aserbaidschan, um Energiequellen außerhalb des russischen Einflussbereichs zu bekommen (Ost-West-Achse). „Das weltpolitische Interesse an der Region wächst“, erklärt Giorgi Khubua – und zeigt sich optimistisch: „Im Kaukasus zeichnet sich eine zunehmende Tendenz ab, sich gegenüber den verschiedenen Formen der Zusammenarbeit zu öffnen.“